Freytags-Frage

Wie funktionieren Kartelle am besten?

Die deutsche Autoindustrie steht unter Kartellverdacht. Unter welchen Bedingungen Kartelle besonders gut funktionieren - und warum der Staat oft eine Mitschuld trägt.

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Nach den neuesten Enthüllungen über die deutsche Autoindustrie stehen die großen Hersteller unter Druck. Quelle: dpa

Nach den neuesten Enthüllungen über die deutsche Autoindustrie stehen die großen Hersteller unter Druck. Sie sollen ein Kartell gebildet haben, um - kurz gefasst - die Kosten für Dieselfahrzeuge zu senken.

Sollte das stimmen, dürften die Kosten extrem hoch sein und der Ruf der deutschen Automobilindustrie noch weiter leiden. Die denkbaren Konsequenzen des möglichen Kartells sollen allerdings in dieser Kolumne keine Rolle spielen. Sie sind hoch spekulativ.

Weniger spekulativ dagegen ist die Analyse, unter welchen Bedingungen Unternehmen am leichtesten Kartelle bilden und den Wettbewerb behindern können.  Der erste entscheidende Punkt ist die Marktform. Auf polypolistischen Märkten mit sehr vielen relativ kleinen Anbietern fällt die Kartellbildung schwer. Gut geeignet sind dagegen enge Oligopole, die zudem ein stark nachgefragtes Gut verkaufen.

Daneben gibt es ein Muster, das sich bei den spektakulärsten Kartellfällen zu wiederholen scheint. Es fällt Unternehmen immer dann leicht, miteinander in unlauterer Form zu kooperieren, wenn sie dabei staatliche "Unterstützung" erhalten. Diese Unterstützung ist natürlich keine explizite Aufforderung zur Kartellbildung, erleichtert sie aber. Zwei Beispiele erhärten diese These.

Erstens: das deutsche Kabelkartell. Ein knappes Jahrhundert lang erleichterte es den deutschen Stromerzeugern, die Ausrüstung zu überhöhten Preisen zu verkauften. Die Mitglieder bildeten ein - durchaus bekanntes - Preiskartell, das von einer Zentrale aus den Verkauf organisierte. Erst Mitte der 1990er Jahre wurde das Kartell vom Bundeskartellamt zu einer Geldstrafe in dreistelliger Millionenhöhe verurteilt und anschließend aufgelöst. Die Strafe wurde von den Mitgliedern ohne Verzug gezahlt.

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Der Grund für das Funktionieren und den langen Bestand des Kartells lag an den kaufkräftigen Kunden: Es waren die regionalen Strommonopolisten, die dem Kartell die teure Ausrüstung zu fast jedem Preis abkauften – und die Mehrkosten direkt an ihre Kunden, die Verbraucher, weiterleiten konnten. Der nachgelagerte Markt für das Kartell war also staatlich reguliert und wenig wettbewerblich organisiert.

Auch heute ist das noch der Fall. Erst vor drei Jahren wiederholte sich der Fall – diesmal mit globalen Ausmaßen. Ein neues Kabelkartell beutete die Stromkunden in Europa und Asien aus. Die Europäische Komission verhängte Strafen in Höhe von über 300 Millionen Euro.

Ein zweites Beispiel ist die chemische Industrie. Sie nutzte ein handelspolitisches Instrumentarium zur Kartellbildung aus. Bereits in den 1980ern konnte der französische Ökonom Patrick Messerlin zeigen, dass die chemische Industrie die Anti-Dumping Politik dazu nutzte, Preiskartelle zu bilden.

Das Prinzip war einfach: Sobald eine europäischer Industriesektor ein Unternehmen im Ausland des Dumpings verdächtig und die Kommission den Fall aufgreift, kann das betroffene Unternehmen das Anti-Dumping Verfahren dadurch vermeiden, dass es freiwillig die Preise erhöht. Messerlin konnte zeigen, dass die europäischen und ausländischen Chemiekonzerne deswegen Anti-Dumping Fälle konstruierten, die nur ein Ziel hatten: höhere Preise. Auf diese Weise bildeten sie völlig legal ein Kartell. Rechtliche Konsequenzen gab es keine.

Der Staat als Unterstützer wettbewerbswidrigen Verhaltens privater Unternehmer

Hier ist der Fall noch deutlicher. Durch seine Handelspolitik wird der Staat zu einem willigen Unterstützer wettbewerbswidrigen Verhaltens privater Unternehmer. Gerade die Anti-Dumping Politik ist dafür anfällig. Auch in anderen Industrien gibt es Fälle, die dem Anti-Dumping-Kartell der chemischen Industrie ähneln.

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Was hat das alles nun mit der Autoindustrie zu tun?

Die Beispiele legen nahe, dass eine Kartellbildung und wettbewerbsbeschränkendes Veralten in der Automobilindustrie nicht ausgeschlossen sind. Denn die deutsche Automobilindustrie genießt in der deutschen Politik außergewöhnliche Vorrechte. Darunter fällt zunächst das Dienstwagenprivileg, also die steuerliche Subventionierung von Dienstwagen. Mehr als die Hälfte der in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge der gehobenen Kategorie sind Dienstwagen. Davon profitieren die fünf deutschen Autohersteller naturgemäß am meisten.

Der Volkswagenkonzern gehört sogar zu einem signifikanten Anteil dem Land Niedersachsen, das deswegen besondere Stimmrechte genießt. Ob so eine Konstruktion zu Interessenkonflikten beim Staat als Eigentümer auf der einen und Kontrolleur auf der anderen Seite führt, ist offen. Ausgeschlossen ist es aber nicht.

Schließlich – und das ist im vorliegenden Fall besonders relevant – ist die Automobilindustrie ein Vollprofi darin, der Bundesregierung immer wieder allzu ambitionierte Umweltauflagen auszureden, selbst wenn diese technisch umsetzbar waren. Älteren Lesern sind vielleicht die Gymnicher Gespräche von 1975 ein Begriff. Auch in jüngster Zeit haben deutsche Wirtschaftsminister zum Beispiel in Brüssel regelmäßig die Interessen der deutschen Hersteller vertreten.

All das ist kein Beleg für ein aktuelles Fehlverhalten der Automobilhersteller. Wie gesagt: darum geht es nicht. Doch all das zeigt, dass die Bedingungen und Anreize für Kartellbildung in der Automobilindustrie recht hoch sind.  Die Lehre daraus ist keineswegs neu: Der Staat sollte sich als Akteur aus den Märkten so weit wie möglich zurückziehen. Dennoch ist er noch immer in viel zu vielen Märkten aktiv, sei es als Eigentümer oder als Regulierer. Die nächste Bundesregierung hat hier eine interessante Aufgabe vor sich.

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