
Nach den neuesten Enthüllungen über die deutsche Autoindustrie stehen die großen Hersteller unter Druck. Sie sollen ein Kartell gebildet haben, um - kurz gefasst - die Kosten für Dieselfahrzeuge zu senken.
Sollte das stimmen, dürften die Kosten extrem hoch sein und der Ruf der deutschen Automobilindustrie noch weiter leiden. Die denkbaren Konsequenzen des möglichen Kartells sollen allerdings in dieser Kolumne keine Rolle spielen. Sie sind hoch spekulativ.
Weniger spekulativ dagegen ist die Analyse, unter welchen Bedingungen Unternehmen am leichtesten Kartelle bilden und den Wettbewerb behindern können. Der erste entscheidende Punkt ist die Marktform. Auf polypolistischen Märkten mit sehr vielen relativ kleinen Anbietern fällt die Kartellbildung schwer. Gut geeignet sind dagegen enge Oligopole, die zudem ein stark nachgefragtes Gut verkaufen.
Daneben gibt es ein Muster, das sich bei den spektakulärsten Kartellfällen zu wiederholen scheint. Es fällt Unternehmen immer dann leicht, miteinander in unlauterer Form zu kooperieren, wenn sie dabei staatliche "Unterstützung" erhalten. Diese Unterstützung ist natürlich keine explizite Aufforderung zur Kartellbildung, erleichtert sie aber. Zwei Beispiele erhärten diese These.
Erstens: das deutsche Kabelkartell. Ein knappes Jahrhundert lang erleichterte es den deutschen Stromerzeugern, die Ausrüstung zu überhöhten Preisen zu verkauften. Die Mitglieder bildeten ein - durchaus bekanntes - Preiskartell, das von einer Zentrale aus den Verkauf organisierte. Erst Mitte der 1990er Jahre wurde das Kartell vom Bundeskartellamt zu einer Geldstrafe in dreistelliger Millionenhöhe verurteilt und anschließend aufgelöst. Die Strafe wurde von den Mitgliedern ohne Verzug gezahlt.
Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt
Der Verdacht gegen große deutsche Autobauer, ein Kartell gebildet zu haben, wiegt schwer. Sollte es zutreffen, dass sich - wie der „Spiegel“ am 21. Juli 2017 berichtet - Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre untereinander unter anderem über Technik und Kosten absprachen, wäre dies ein neuer, aufsehenerregender Fall. Der Kampf der Wettbewerbshüter für mehr Markttransparenz ist im 60. Jahr des deutschen Kartellrechts aktueller denn je. Zentrales Thema des Bundeskartellamts mit seinem Chef Andreas Mundt ist der Schutz der Verbraucher. Neben der Wettbewerbsaufsicht zählen auch noch die Fusionskontrolle sowie die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen zu den Aufgaben der Behörde.
Quelle:dpa
Definiert ist es als Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleiben, aber etwa durch Preisabsprachen den Wettbewerb ausschalten. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel des Bundeskartellamts, den Wettbewerb gegen jede Beschränkung zu schützen. Dabei kann es um rechtswidrige Absprachen über Preise zwischen einzelnen Unternehmen oder in ganzen Branchen gehen. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Kartelle den Wettbewerb aushebeln und damit den „Motor der Marktwirtschaft“ zum Schaden von Kunden und Verbrauchern zum Stottern bringen. Dies kann etwa durch künstlich hoch gehaltene Preise oder beschränkte Mengen geschehen.
Kartellstrategien werden in der Regel im Geheimen besprochen, sie sind daher nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Bei seinen Ermittlungen ist das Bundeskartellamt daher weitgehend auf Hinweise von Eingeweihten angewiesen. Auf ihrer Internet-Seite fordert die Behörde offensiv: „Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Hinweise auf illegale Absprachen haben!“ Dabei werden auch anonyme Hinweise telefonisch oder schriftlich entgegengenommen. Eine Rückverfolgung derartiger Hinweise ist dabei technisch ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu kommen eigene Ermittlungen etwa auf der Grundlage anderer Verfahren, wenn die Verhältnisse in einem Markt verdächtig scheinen.
An einem Kartell Beteiligte haben so die Chance, im günstigsten Fall durch die sogenannte Kronzeugenregelung straffrei zu bleiben. Etwa jedes zweite Verfahren wird so ins Rollen gebracht. Derartige Anträge können jedoch nicht anonym gestellt werden. Es gilt dabei eine abgestufte Bonusregelung: Nur wer sich offenbart, bevor auch nur der leiseste Anfangsverdacht besteht, kann auf die vollen 100 Prozent hoffen. Eine spätere Kooperation wird nur noch mit abgestuften Abschlägen an einem späteren Bußgeld honoriert.
Das Bundeskartellamt verhängt Bußgelder, es vertritt aber nicht die möglichen Schadenersatz-Forderungen von Betroffenen. Kartell-Geschädigte müssen ihre Ansprüche daher in separaten Verfahren notfalls vor Gericht durchsetzen. Dabei steigen die Chancen jedoch deutlich, wenn die Wettbewerbsbehörde zuvor ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet und vielleicht schon abgeschlossen hat.
Das Bundeskartellamt ermittelt in den unterschiedlichsten Branchen. In der jüngsten Zeit hatten unter anderem Verfahren gegen Zuckerhersteller und Bierbrauer für Schlagzeilen gesorgt. Aber auch Autozulieferer sind ins Visier der Bonner Kartellwächter geraten.
Der Grund für das Funktionieren und den langen Bestand des Kartells lag an den kaufkräftigen Kunden: Es waren die regionalen Strommonopolisten, die dem Kartell die teure Ausrüstung zu fast jedem Preis abkauften – und die Mehrkosten direkt an ihre Kunden, die Verbraucher, weiterleiten konnten. Der nachgelagerte Markt für das Kartell war also staatlich reguliert und wenig wettbewerblich organisiert.
Auch heute ist das noch der Fall. Erst vor drei Jahren wiederholte sich der Fall – diesmal mit globalen Ausmaßen. Ein neues Kabelkartell beutete die Stromkunden in Europa und Asien aus. Die Europäische Komission verhängte Strafen in Höhe von über 300 Millionen Euro.
Ein zweites Beispiel ist die chemische Industrie. Sie nutzte ein handelspolitisches Instrumentarium zur Kartellbildung aus. Bereits in den 1980ern konnte der französische Ökonom Patrick Messerlin zeigen, dass die chemische Industrie die Anti-Dumping Politik dazu nutzte, Preiskartelle zu bilden.
Das Prinzip war einfach: Sobald eine europäischer Industriesektor ein Unternehmen im Ausland des Dumpings verdächtig und die Kommission den Fall aufgreift, kann das betroffene Unternehmen das Anti-Dumping Verfahren dadurch vermeiden, dass es freiwillig die Preise erhöht. Messerlin konnte zeigen, dass die europäischen und ausländischen Chemiekonzerne deswegen Anti-Dumping Fälle konstruierten, die nur ein Ziel hatten: höhere Preise. Auf diese Weise bildeten sie völlig legal ein Kartell. Rechtliche Konsequenzen gab es keine.