Es könnte fast ein wenig Ferienstimmung aufkommen. Auf dem See dümpeln ein paar Boote vor sich hin, am Anleger hat ein Ausflugsschiff festgemacht. Wenn es die Temperaturen im Sommer zulassen, springt hier schon einmal der eine oder andere ins erfrischende Nass.
An dieser Uferzeile sticht ein Bürogebäude hervor. Es ist sehr offen gebaut, große weite Fensterflächen lassen mehr Licht als üblich hinein. Vor dem Gebäude steht eine ganze Armada von Volkswagen-Modellen, die meisten mit Wolfsburger Kennzeichen. Und das in Potsdam, direkt am wunderschönen Tiefen See, die Berliner Stadtgrenze liegt kaum weiter als einen Steinwurf entfernt.
Im Inneren des Gebäudes zeigt sich eine junge hübsche Frau an der Rezeption unerbittlich: „Nein, das Handy müssen Sie wirklich abgeben.“ An diesem Tag scheinen besonders viele Besucher im Haus zu sein. Auf dem Tresen liegen gleich Dutzende ausgeschalteter Smartphones.
Es hat seinen guten Grund, dass Besucher ihr Handy abgeben müssen. Im „Future Center Europe“ von Volkswagen wird an Design-Studien künftiger Modelle aus dem Konzern gearbeitet. Gäste sind zwar willkommen, aber eben deren Smartphones nicht. Zu groß ist die Gefahr, dass geheime Fahrzeug-Details zu früh an die Öffentlichkeit gelangen.
In Potsdam ist eines von weltweit drei Future Centern des Volkswagen-Konzerns beheimatet. Wie in San Francisco und Peking wird dort an Fahrzeugen der Zukunft gearbeitet. Gemein ist allen drei Standorten der immense Bedeutungszuwachs der Digitalisierung.
Ohne Computer geht in einem solchen Design-Studio überhaupt nichts mehr. Die Zahl der Mitarbeiter soll sich in Potsdam auf absehbare Zeit von 60 auf etwa 120 verdoppeln, und die neuen Mitarbeiter werden überwiegend im digitalen Design eingesetzt.
„Mit dem neuen Design beschreiten wir neue Wege. Der Designprozess hat sich enorm beschleunigt. Dabei helfen ganz besonders unsere digitalen Werkzeuge“, erläutert Peter Wouda, einer der drei Geschäftsführer in Potsdam. Wouda arbeitet schon einige Jahre in Potsdam und hat dort angefangen, als die VW-Niederlassung noch „Volkswagen Design Center“ hieß. Seit gut zehn Jahren ist der Wolfsburger Konzern damit am Tiefen See von Potsdam vertreten.
Bislang stand die eher klassische Design-Arbeit im Vordergrund: Die Potsdamer bekamen Design-Aufträge von den verschiedenen Konzernmarken und machten sich an die Arbeit. Das bekannteste in Potsdam entwickelte Modell ist der XL1, das einzige Serienmodell der Welt mit einem Kraftstoffverbrauch von einem Liter auf 100 Kilometer.
Doch seit dem Jahreswechsel ändert sich so einiges am VW-Standort in Brandenburg. Erst einmal der Name: Aus dem Design- ist das Future Center geworden. Hinter dieser Änderung steckt vor allem Johann Jungwirth, der neue Chief Digital Officer (CDO) des Volkswagen-Konzerns. „Wir befinden uns mitten in einem tiefgreifenden Umbruch der Automobilindustrie“, erläutert er.
Wie in anderen Branchen hält auch bei den Fahrzeugherstellern die Digitalisierung Einzug. Sie müssen sich zum Mobilitätsanbieter wandeln, schon in wenigen Jahren könnte das selbstfahrende Auto seine Serienreife erreicht haben.
Die Designer setzen ihre VR-Brillen auf
Was Jungwirth beschreibt, verändert an allererster Stelle die Endprodukte, die der Volkswagen-Konzern in den kommenden Jahren immer öfter anbieten will. Und in Potsdam geht es darum, wie die Digitalisierung ganz speziell im Design eine immer größere Bedeutung bekommt und wie die Autos beim Wandel des Konzerns zum Mobilitätsanbieter entsprechend angepasst werden können.
Früher zählte im Design häufig nur der Modellbau. Die kreativen Kräfte im Konzern mühten sich ab, die Autos der Zukunft zunächst auf dem Reißbrett und später in einem ersten Miniaturmodell aus Ton zu entwerfen. Mit dem Computer ist alles anders geworden.
Die Designer setzen sich Virtual-Reality-Brillen auf und testen ihre Entwürfe per Rechner unter den unterschiedlichsten Bedingungen. Und wenn es eilig ist, lassen sie ihre Design-Ideen schnell per 3-D-Drucker Realität werden. Feile und Fräse aus dem traditionellen Modellbau geraten damit in den Hintergrund.
Mit dem Wechsel vom Design- zum Future-Center passiert in Potsdam noch etwas anderes. Die neuen Auto-Designer betreiben dort so etwas wie eine automobile Grundlagenforschung, eben auch angetrieben durch die Digitalisierung. Das sogenannte „Digital UX Design“ ist als neue Disziplin dazugekommen. Die englische Abkürzung UX steht für „User Experience“, also Nutzererfahrung. Mit dem Computer simulieren die Potsdamer, wie Menschen wirklich mit einem Auto umgehen – und wollen diesen Umgang um einiges besser und einfacher machen.
„Für mich ist User Experience, also die Nutzererfahrung, der Anfang des neuen Designs“, berichtet Ulrike Müller, die in Potsdam für die neue Sparte verantwortlich ist. Sie und ihre Kollegen sehen sich etwa an, wie ein Autofahrer einsteigt und wie er sich im Wagen zurechtfindet.
Solch eine Fragestellung wird vor allem dann immer wichtiger, wenn sich ein Autohersteller zum Mobilitätsanbieter wandelte. Die Kunden, die Autofahrer, werden dann selten noch ein eigenes Auto besitzen, sondern je nach Bedarf das Modell wechseln.
Dann wird die vermeintlich banal klingende Frage nach dem Einsteigen plötzlich ganz wichtig: Wer kein eigenes Auto mehr hat, dem wird die gewohnte Vertrautheit fehlen. Wird dann auch noch das Modell häufiger gewechselt, sollen das Einsteigen und der Start trotzdem schnell, einfach und bequem von der Hand gehen.
Im zweiten Stock des Potsdamer Design-Gebäudes steht die sogenannte „Sitzkiste“. Ein sehr spartanisch ausgestattetes Fahrzeug-Cockpit mit zwei Autositzen. Auch hier wird grundlegend untersucht, in welche Richtung sich die Autos künftig entwickeln sollten. Im Lenkrad haben die Techniker Touchpads montiert, also dem Smartphone vergleichbare Bedienoberflächen.
Welche Töne warnen, ohne zu erschrecken?
Im Auto der Zukunft werden absehbar mehr Funktionen als heute Einzug halten. Dafür sorgt allein schon das Autonome Fahren. Wenn das Auto selbst steuert, dann gewinnt die Insassen neue Freiheiten dazu und können sich etwa gewissen Bürotätigkeiten widmen. Damit stellt sich die Frage: Was sind dann die richtigen Bedienoberflächen in einem Auto? Nach den ersten Erfahrungen in Potsdam sind die Touchpads nicht unbedingt der richtige Weg.
Noch viele Hürden für selbstfahrende Autos
Autopiloten sind in Flugzeugen Standard. Auch in Schiffen übernimmt zumindest außerhalb der Häfen oft der Computer das Ruder. Am Ende geht es auch beim autonomen Fahren um einen Autopiloten, der das Fahrzeug steuert. Doch der Autoverkehr ist komplex. Auf der Autobahn können die Prototypen der Industrie bereits ohne größere Probleme ohne Eingriffe des Fahrers unterwegs sein. Im Stadtverkehr wird es schon schwieriger. Halbautomatische Funktionen sind allerdings inzwischen Alltag. Ob Tempomaten, Einparkhilfen, Stauassistenten oder Abstandsregler - viele Funktionen entlasten den Fahrer bereits. Auch etwa Mähdrescher können längst eigenständig über das Feld fahren.
Eins der wichtigsten Argumente ist die Sicherheit. Die meisten Unfälle gehen auf Fahrfehler zurück. Weit oben in der Statistik: zu hohe Geschwindigkeit, zu geringer Abstand oder Abbiegefehler. Automatisch gesteuerte Autos würden solche Fehler minimieren. Denn Risikofreude, Spaß an der Geschwindigkeit und Selbstüberschätzung kennt ein Computer nicht. Er bremst, wenn der Abstand zu gering wird und nimmt nicht aus Unachtsamkeit anderen die Vorfahrt.
Die Entwicklung ist recht weit fortgeschritten. BMW etwa testet seit Jahren automatisch fahrende Autos, auch auf deutschen Autobahnen. Die Fahrzeuge können auch eigenständig überholen. Solche Tests müssen sich die Hersteller aber von Behörden genehmigen lassen. Audi ließ jüngst zur US-Technikmesse CES einen Wagen „autonom“ rund 900 Kilometer aus dem Silicon Valley nach Las Vegas fahren. Auch Daimler präsentierte auf der CES seine Vision für ein selbstfahrendes Auto der Zukunft. Der silberne Mercedes-Prototyp fuhr autonom auf die Bühne nach einer Tour durch die Wüste und die Hotel-Meile der Glücksspiel-Stadt. Zumindest für die Autobahn können sich manche Hersteller pilotiertes Fahren bereits in fünf bis sieben Jahren vorstellen.
Hier beginnen die Schwierigkeiten jenseits der Technik. Die erste Hürde ist das „Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr“ von 1968, das die Basis für die meisten Verkehrsregelungen ist. Darin gibt es zwar Hinweise zu Zugtieren, aber von selbstfahrenden Autos ist nicht die Rede. Dafür aber davon, dass jedes Auto einen Fahrer braucht, der am Ende verantwortlich ist. Dass Autofahrer am Ende Verantwortung und Kontrolle völlig abgeben werden, gilt eher als unwahrscheinlich. Noch fehlen dafür aber Regeln und Gesetze. Bei den bisher fahrenden Prototypen auf normalen Strecken müssen in Deutschland die Fahrer darauf geschult sein.
Europas größter Versicherer, die Allianz, würde auch selbstfahrende Autos versichern. Allerdings würde sich die Risikoeinschätzung ändern, denn das Risiko verlagere sich vom menschlichen Fehler des Fahrers zum Entwickler der Autopiloten. Allerdings glauben die Versicherer nicht daran, dass es vollständig selbstfahrende Auto geben wird. Ein Fahrer werde auch künftig einen Führerschein brauchen, und das Gefährt im Notfall oder in Situationen wo es nötig ist, kontrollieren zu können.
Sicherlich auch, um Kunden mit immer ausgereifteren Extras zu locken. Doch daneben spielt auch die mögliche Konkurrenz durch andere Spieler eine Rolle. So arbeitet etwa auch der Internetkonzern Google seit einigen Jahren an selbstfahrenden Autos.
Wichtig ist auch, wie der Wagen und der Fahrer am besten miteinander in Interaktion treten. Bei selbstfahrenden oder teilautonomen Fahrzeugen werden Warnsignale eine große Bedeutung bekommen. Was wären die besten Signaltöne, die den Fahrer nicht erschrecken? Genau das wird in Potsdam erprobt. „Wir testen auch den sensiblen Umgang mit akustischen Signalen bei der Kommunikation zwischen Fahrer und Auto. Die Sicherheit spielt dabei natürlich eine ganz zentrale Rolle“, erläutert Ulrike Müller.
Die Arbeit der Potsdamer Designer wird sich nicht innerhalb weniger Monate in den Autos des Wolfsburger Konzerns niederschlagen, sondern eher auf längere und grundlegende Sicht. „Ziel ist es, unsere Kollegen bei den Marken in ihrer Arbeit, Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, zu bestätigen und zu unterstützen“, so Designerin Müller ergänzend.
Wenn es in ein paar Jahren im Audi zischt oder pfeift, dann könnte sie dafür verantwortlich gewesen sein.