Roter Knastanzug, Handschellen und Fußfesseln – so erscheint Oliver Schmidt am Mittwoch vor Gericht. Das Outfit ist für den VW-Manager inzwischen Gewohnheit – seit Januar bereits ist er in Untersuchungshaft. Nun sitzt der 48-Jährige, den die USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltrecht angeklagt haben, vor dem Richter Sean Cox und erwartet sein Urteil.
„Ich akzeptiere die Verantwortung für die Fehler, die ich gemacht habe“, sagt der Angeklagte reumütig. Doch es hilft nichts mehr.
Richter Cox wird seinem Ruf gerecht und verhängt die Höchststrafe gegen den langjährigen Volkswagen-Mitarbeiter: Sieben Jahre Gefängnis, dazu kommt eine Geldstrafe über 400.000 Dollar. Cox spricht von einem „sehr ernsten und beunruhigenden Verbrechen“, er lässt die volle Härte des Strafrechts walten. Damit geht der Albtraum weiter, in dem sich Schmidt seit Anfang des Jahres befindet.

„Die letzten elf Monate hinter Gittern in den Vereinigten Staaten waren die schwierigste Zeit in meinem Leben“, hatte der Angeklagte dem Richter zuvor noch sein Leid geklagt. Doch dass er nicht auf eine milde Strafe hoffen konnte, muss ihm klar gewesen sein.
Denn schon beim ersten Urteil gegen einen mutmaßlich am Abgas-Betrug beteiligten VW-Ingenieur hatte Cox keine Gnade gezeigt. Der Richter war deutlich über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinausgegangen, er schickte den Kronzeugen James Liang trotz umfassender Kooperation bei den Ermittlungen für 40 Monate in Haft und verhängte eine Geldstrafe von 200.000 Dollar.
Im Fall Schmidts, der laut Anklage von Februar 2012 bis März 2015 in leitender VW-Funktion mit Umweltfragen in den USA betraut war, sah es noch schlechter aus. Das FBI hatte den Deutschen am 7. Januar vor dem Rückflug von einem Florida-Urlaub in die Heimat geschnappt. „Auf der Toilette des Flughafens von Miami von acht Beamten verhaftet und in Handschellen zu meiner Frau geführt zu werden“, beschrieb Schmidt als eines seiner bis dahin „erniedrigendsten Erlebnisse“.
Die Vorwürfe gegen Oliver S.
Nach Angaben der US-Behörden hat Schmidt seit 1997 für den Konzern gearbeitet. Von 2012 bis März 2015 soll er als führender Angestellter in den USA mit Umweltfragen betraut gewesen sein. Das US-Justizministerium wirft ihm eine Beteiligung beim massenhaften Abgasbetrug vor. VW hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörden zugegeben, bei Hunderttausenden Dieselautos mit einer speziellen Software die Emissionswerte gefälscht zu haben.
Der VW-Manager war laut FBI-Angaben im Urlaub in Florida – was sich seit der Festnahme ereignete, gleicht einem Krimi: Der Beschuldigte landete bereits wenige Tage später erstmals in Miami vor Gericht – er wurde dort laut US-Medien filmreif in Handschellen und Gefängnisuniform vorgeführt.
In den Gerichtsdokumenten zur Strafanzeige werden heftige Vorwürfe gegen das Management erhoben. Demnach war die Konzernspitze nicht nur seit Juli 2015 in die Manipulationen eingeweiht, sie soll die zuständigen US-Mitarbeiter sogar autorisiert haben, den Betrug gegenüber den US-Behörden weiter zu leugnen. Solche Anschuldigungen Waren im Januar 2017 zwar nicht gänzlich neu, doch diesmal stützte sich die US-Justiz auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und Aussagen gleich mehrerer Konzern-Insider. Einer der Zeugen behauptet, er habe sich über die Vorgaben seiner Vorgesetzten hinweggesetzt, als er die Tricksereien letztlich gegenüber den US-Behörden einräumte.
Doch die Demütigungen hätten damit erst begonnen, so der 48-Jährige in einer Art Gnadengesuch, das er vor der Urteilsverkündung an Cox geschickt hatte. Sein Foto im Knastanzug – der in den USA übliche „Mugshot“ – habe Schande über ihn gebracht und ihn weltweit zum Gesicht von „Dieselgate“ gemacht. Seitdem wird Schmidt der Öffentlichkeit bei Gerichtsterminen in Gefängniskluft vorgeführt.
Die letzten Monate schildert der Angeklagte als Spießrutenlauf durch verschiedene US-Hochsicherheitsgefängnisse. Dass sich das Mitleid von Richter Cox in Grenzen hält, hatte Schmidt aber schon einmal erfahren müssen. Zunächst hatte er eine Mittäterschaft am Abgas-Skandal abgestritten und versucht, gegen Kaution auf freien Fuß zu kommen. Doch trotz 1,6 Millionen Dollar an finanziellen Sicherheiten und etlicher Empfehlungsbriefe von Freunden und Familie: Cox schmetterte den Antrag im März ab, die Anschuldigungen seien „sehr, sehr ernst“.
Es folgten zermürbende Monate, bevor Schmidt im August schließlich ein Schuldbekenntnis abgab und sich bereit erklärte, mit den Strafverfolgern zusammenzuarbeiten. Durch diesen Deal wurden wesentliche Teile der Anklage fallengelassen, um eine sehr harte Strafe kam er damit dennoch nicht herum. Während Schmidt jahrelang im Knast bleibt, hat VW den Abgas-Betrug in den USA weitgehend abgehakt.
Auf Konzernebene haben die Wolfsburger ein Geständnis abgegeben und damit kriminelle Vergehen eingeräumt - den angeklagten Mitarbeitern erleichterte das die Verteidigung nicht eben. VW hat bei zivil- und strafrechtlichen Vergleichen über 25 Milliarden Euro an Kosten verbucht und sich so von weiteren Ermittlungen freigekauft.
Die Suche nach den verantwortlichen Managern ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen, sie geht nach der Verurteilung Schmidts weiter. Das Problem der US-Fahnder ist aber, dass die restlichen Beschuldigten – darunter auch Schwergewichte wie etwa der frühere VW-Entwicklungsvorstand Heinz-Jakob Neußer – in Deutschland vermutet werden. Von dort dürfte den meisten von ihnen keine Auslieferung in die USA drohen, auch wenn Reisen für sie gefährlich bleiben.
Die Milliarden-Buße für VW im Überblick
Der Konzern hat mit US-Klägern einen Vergleich ausgehandelt. Demnach muss VW die knapp 15 Milliarden Dollar für verschiedene Dinge ausgeben: für einen Umweltfonds und die Förderung von emissionsfreien Autos etwa. Der weitaus größte Teil wird aber an Kunden fließen, die in den USA einen manipulierten VW oder Audi besitzen.
Die reine Entschädigung für Autobesitzer soll zwischen 5100 und knapp 10.000 Dollar pro Fahrzeug liegen. Das kommt darauf an, wie alt das Auto ist. Zusätzlich muss der Konzern den Kunden anbieten, ihre Autos zurückzukaufen. Die Diesel-Besitzer sollen dabei so viel Geld bekommen, wie ihr Auto vor Bekanntwerden der Manipulationen wert war.
Jein. Generell haben US-Kunden eine Wahlmöglichkeit: Entweder Rückruf mit einer Nachbesserung oder Rückkauf, also Rückgabe. Diese Varianten stehen in Deutschland und Europa nicht zur Auswahl. Dafür hat der Rückruf hierzulande schon begonnen und in den nächsten Wochen soll er weiter Fahrt aufnehmen, so dass zum Jahresende alle 2,5 Millionen Diesel in Deutschland nachgebessert sein könnten. In den USA hat VW bis Mai 2018 Zeit, um sich technische Nachbesserungslösungen von den Behörden absegnen zu lassen. Das gilt dort als deutlich kniffliger.
Wahrscheinlich nicht viel. Volkswagen hat wiederholt betont, dass eine Entschädigung wie in den USA in Europa und damit auch in Deutschland nicht infrage komme. Vorstandschef Matthias Müller selbst hat das mehrfach ausgeschlossen. Verbraucherschützer kritisieren, dass Kunden in den USA mehr bekommen sollen. Einige Anwaltskanzleien haben sich zum Ziel gesetzt, auch für betroffene Autobesitzer in Europa Schadenersatz zu erstreiten. Die Erfolgsaussichten sind aber aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme ungewiss.
Nein. Zum einen müssen sich nicht alle Kläger in den USA einem Vergleichsvorschlag anschließen und können individuell weiter klagen. Auch von drei US-Bundesstaaten sind inzwischen Klagen eingegangen. Zum anderen muss VW auch außerhalb der USA viele Verfahren bewältigen. In Deutschland fordern ebenfalls Kunden Entschädigungen oder Rückkäufe. Gerichte haben hier in ersten Instanzen unterschiedlich geurteilt. Zudem fühlen sich zahlreiche VW-Aktionäre von dem Konzern zu spät über die Manipulationen informiert. Sie wollen sich Kursverluste erstatten lassen.
Ob mit Schmidt ein Schlüsselspieler oder ein Bauernopfer verurteilt wurde, bleibt ungewiss. Die Ermittler in den USA gehen von einer Verschwörung bis in oberste Kommandoebenen aus, dieses Format hat der bestenfalls der mittleren Führungsebene zuzuordnende Manager nicht. Schmidt selbst blickt heute verbittert und enttäuscht auf VW: „Ich muss sagen, dass ich mich im Diesel-Skandal von meinem Unternehmen missbraucht fühle“. Sein Fehler sei vor allem gewesen, Befehle befolgt zu haben: „Ich hätte diese Anweisungen ignorieren sollen.“