Halbleitermangel Die Chipkrise als Chance für VW, BMW und Daimler

Die Halbleiterknappheit mit ihren negativen Folgen etwa für Autobauer wird sich nach Experteneinschätzung noch weit ins kommende Jahr hinziehen. Quelle: dpa

Im zweiten Halbjahr wird sich die Chipkrise bei den deutschen Autobauern verschärfen. Hunderttausende Autos werden wohl nicht gebaut werden können. Aber: Wenn VW, BMW und Daimler die Krise besser managen als ihre Konkurrenten, könnten sie sogar als Gewinner aus der Krise hervorgehen.

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Es ist gerade die ruhigste Zeit in den Produktionshallen der Autoindustrie. Etliche Autobauer haben Werksferien, weshalb viele Bänder stillstehen. Nun macht sich in der Branche aber die traurige Gewissheit breit, dass es auch nach den Ferien erschreckend ruhig bleiben dürfte in vielen Autowerken. Denn der Halbleiter-Mangel, den die Hersteller ursprünglich innerhalb von Monaten bewältigen wollten, hat die Industrie weiter voll im Griff. 

Im zweiten Halbjahr könnte der Mangel an Computerchips sogar noch gravierendere Folgen haben als in der ersten Jahreshälfte. Bei der VW-Hauptversammlung am Donnerstag räumte Volkswagen-Chef Herbert Diess ein: „Die Auswirkungen der Halbleiter-Engpässe werden sich eher im zweiten Halbjahr bemerkbar machen.“ So bleibt den Herstellern bis auf weiteres nur eines: kluge Mangel-Verwaltung – aus den wenigen Chips, die sie kriegen, also das meiste herauszuholen. 

Wie das in der Praxis läuft, verriet Porsche-Chef Oliver Blume im Podcast Chefgespräch der WirtschaftsWoche. Porsche fahre in den nächsten Wochen weiter im Krisenmodus, sagte Blume. „Es ist noch nicht absehbar, wann sich die Situation verbessert.“ Deshalb gebe es innerhalb des VW-Konzerns eine genau geplante und täglich angepasste Verteilung der begehrten Chips. Modelle, die höhere Ergebnisbeiträge erwirtschafteten als andere, hätten oft Vorrang – was aber nicht bedeute, dass die hoch profitablen Porsche-Modelle immer zum Zug kämen. Es gebe auch andere Kriterien, die wichtig seien, etwa die Wartezeit bei den einzelnen Modellen. 

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Logisch: Auch einen Skoda-Kunden will der Konzern nicht ein Jahr lang auf sein neues Auto warten lassen. Die Konsequenz für Porsche: „Wir konnten den Porsche Taycan vier Wochen lang nicht produzieren, wir hatten Produktionsstopps beim 911er, beim Cayenne, beim Macan“, so Blume. Laut VW-Einkaufsvorstand Murat Aksel, der die Beschaffung mit einer Halbleiter-Taskforce koordiniert, habe der Konzern im ersten Halbjahr eine hohe sechsstellige Anzahl von Fahrzeugen nicht produzieren können.

Wie sich die Krise auf die größte Marke des Konzerns, die Marke VW, auswirkt, zeigt sich im Werk Emden. Dort wird vor allem der VW Passat produziert. Seit Wochen schon steht die Produktion still. Mit einer Ausnahme jedoch: In der laufenden Woche wird dieses Mal in Emden produziert. Das liege daran, sagt ein Insider, dass der Konzern dem Werk in der aktuellen Woche die benötigten Bauteile mit Halbleitern zugeteilt habe. Normalerweise bekämen Produkte mit höheren Margen – also Top-Modelle von VW, Audi oder Porsche – die begehrten Chips. Doch nun habe der Passat Priorität. 

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Der Grund: Es nähern sich auch im Emden die Werksferien und deshalb will Volkswagen Platz in den Hallen schaffen, in Vorbereitung auf die dort geplante Produktion von Elektrofahrzeugen. Der Konzern hat beschlossen, dass das Werk in Emden Stück für Stück auf Stromer umgestellt wird. Also braucht man im Werk mehr Platz – es werde „leergefahren“, wie der Insider erzählt. Das ist aber nur ein kurzer Frühling. Direkt danach gibt es im Werk wieder Kurzarbeit.

Der Mangel an Halbleitern trifft auch Daimler hart: Der Autobauer erwartet, dass die weltweiten Lieferengpässe bei Chips das Geschäft auch in der zweiten Jahreshälfte beeinflussen werden. Auf Basis dieser Einschätzung werde der Umsatz im Jahr 2021 zwar deutlich über dem Vorjahresniveau liegen. Allerdings geht Daimler davon aus, dass der weltweite Lieferengpass bei Halbleitern den Absatz von Autos der Marke Mercedes-Benz auch im dritten Quartal beeinflussen werde. Er könne „auf dem Niveau des zweiten Quartals oder auch darunter liegen“, teilte Daimler mit. 2021 werde der Absatz nur noch auf dem Niveau des Vorjahres liegen – bislang erwartete Daimler Verkäufe „deutlich über Vorjahr“. 

Kluges Management in der Krise

Man müsse mit Unsicherheiten arbeiten, sagte Konzernchef Ola Källenius und verwies etwa auf Corona-Lockdowns in Malaysia, die die Arbeit in Werken blockierten. „Das kommt sehr plötzlich“, so Källenius. Entsprechend muss auch der Autobauer tagesaktuell umplanen. Als Reaktion schaue sich Daimler jetzt die gesamte Lieferkette an. 

Kurzfristig aber lenkt man die Priorität, ähnlich wie bei VW, zunächst auf Autos mit einer höheren Marge. Doch auch dies funktioniert nicht immer: Zuletzt stand etwa die Produktion des margenstärksten Flaggschiffes S-Klasse in Sindelfingen zeitweise still. Die Bänder liefen aber wieder, versicherte Källenius. So schnell aber wird die Autobauer das Problem mit den Halbleitern nicht loslassen: „Wir erwarten, dass es ein Thema 2022 bleibt, aber es wird eine Verbesserung gegenüber 2021 geben", sagte Daimler-Finanzvorstand Harald Wilhelm.

Welche Bedeutung ein kluges Management der Krise hat, zeigt sich anhand der Produktionszahlen der Hersteller im ersten Halbjahr in den USA. Die Krise traf die Autobauer dort in sehr unterschiedlichem Ausmaß – wohl auch, weil sie die Krise unterschiedlich gut managten. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der britischen Unternehmensberatung LMC Automotive. 

Ford hat laut der Studie in den USA am meisten Produktionsvolumen eingebüßt, über 50 Prozent mehr als der am zweistärksten geschädigte Hersteller GM. Toyota, Tesla, Hyundai aber auch die deutschen Hersteller BMW und Daimler hätten dagegen – in den USA zumindest – kaum oder gar nicht gelitten. Für Volkswagen dagegen weist die Studie den vierthöchsten Produktionsausfall sowie eine schlechte Werksauslastung aus. 

Trotz des Rückgangs in der Produktion konnte VW im ersten Halbjahr in den USA seinen Marktanteil steigern, ebenso die Hersteller BMW, Tesla, Hyundai und Toyota. Ford, GM und Stellantis (mit den US-Marken Chrysler, Dodge, Jeep), die massiv Produktion einbüßten, verloren auch am stärksten bei den Marktanteilen. 

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Der Halbleitermangel könnte am Ende auch Gewinner hervorbringen – und die deutschen Autobauer könnten dazugehören, wenn sie weiter in der Mangelverwaltung glänzen. 

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