Hans Dieter Pötsch Volkswagen im Kreuzfeuer

Acht Monate Abgasskandal und kein Ende in Sicht: Die Hauptversammlung von Volkswagen zeigt den Graben, der durch den Weltkonzern läuft. Vor allem an Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch scheiden sich die Geister.

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Der Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG, Hans Dieter Pötsch Quelle: dpa

Es ist eine neue Situation für Hans Dieter Pötsch. Über Jahre waren VW-Hauptversammlungen für ihn angenehme Veranstaltungen. Als Finanzchef lieferte er meist Rekordergebnisse und machte sich im Konzern viele Freunde. Seit 2003 gehört Pötsch zur Volkswagen-Familie, zwölf Jahre als Finanzvorstand und seit Herbst an der Spitze des Kontrollgremiums. Seit diesem Wechsel steht er im Kreuzfeuer der Kritik.

So mancher Aktionär sieht in dem 65 Jahre alten Pötsch eine Fehlbesetzung bei der Aufklärung der Hintergründe der Diesel-Affäre. Nicht nur, dass er ohne Abkühlphase vom Vorstand in den Aufsichtsrat wechselte, ist einigen Aktionären übel aufgestoßen. Ein Beispiel für die problematische Corporate Governance: Bei der Beschlussfassung zur Entlastung des Vorstands hat sich Pötsch enthalten. Logisch, saß er doch im vergangenen Jahr noch selbst im VW-Vorstand.

Bis heute ist seine Rolle als Vorstandsmitglied im Abgasskandal nicht unabhängig geklärt. Gegen den Konzern laufen Klagen, weil Anleger sich zu spät über die Abgas-Manipulationen informiert fühlen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig laufen ausdrücklich nicht gegen Pötsch.

Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat

Eine der Fragen, welche die Aktionäre in der Hannoveraner Messehalle 3 umtreibt: Kann Finanzmann Pötsch, der sich über Jahre bewusst im Hintergrund gehalten hat, nun die Rolle des Aufklärers und Reformers verkörpern?

Pötsch kann den Worten keine Taten folgen lassen

Seine einführenden Worte auf der Hauptversammlung am Mittwoch konnten den Kritikern denn auch den Wind nicht aus den Segeln nehmen. „Wir bedauern aufrichtig, dass die Diesel-Thematik einen Schatten auf dieses großartige Unternehmen wirft“, sagte Pötsch vor Aktionären, Vorständen und Aufsichtsräten. „Die vordringlichste Aufgabe für uns alle ist es deshalb, das Vertrauen wiederzugewinnen.“

Das Versprechen ist da - nur kann Pötsch noch keine Taten vorweisen. Neue Erkenntnisse zum Stand der Aufklärung fehlen. „Ich hatte gehofft, dass wir bereits heute über eine umfassende Einigung mit den US-Behörden berichten können“, sagt Pötsch. „Die Frist wurde bis zum 28. Juni verlängert. Die Verhandlungen befinden sich deshalb noch in einem sehr sensiblen Stadium.“ Es wäre für Volkswagen mit erheblichen Risiken verbunden, jetzt die vertraulichen Verhandlungen zu gefährden.

Dass Pötsch bei seinem Werben um Vertrauen noch viel Arbeit vor sich hat, zeigt die Generaldebatte. Gleich der erste Redner fordert seine Abwahl als Versammlungsleiter: „Herr Pötsch, Sie machen sich zum Richter in eigener Sache! Es ist schlicht untragbar, dass der blinde Wegseher die Versammlung leiten soll.“

Oder auch: „Es ist schon fast eine Binsenweisheit, dass die Führung von VW nicht den Standards einer guten Unternehmensführung entspricht“, schimpft Markus Dufner, Geschäftsführer des Dachverbands der kritischen Aktionäre. „Das ist vor allem die Schuld des Aufsichtsrats. Herr Pötsch, einen Neuanfang kann es mit Ihnen nicht geben!“

Immerhin: als Versammlungsleiter abgewählt wird Pötsch dann doch nicht. Nur 0,02 Prozent der Anwesenden stimmen für den Antrag.

Mit seinem Auftritt kann Pötsch die Bedenken der Aktionäre nur bedingt zerstreuen. Ja, er tritt klar auf, spricht trotz allen Gegenwinds mit fester Stimme – wohl auch, weil er sich an die empfohlenen Formulierungen der VW-Juristen hält. Aber: War die Macht im VW-Aufsichtsrat zwischen den Familien, dem Land Niedersachsen und Katar stets klar verteilt und gesichert, ist das Kontrollgremium unter Pötsch selbst zur Baustelle geworden.

Im Aufsichtsrat ist Pötsch unumstritten


Zahlreiche Umbesetzungen – zum Teil noch Spätfolgen des Rückzugs von Ferdinand Piech und Gattin Ursula im Frühsommer 2015 – haben die stabilen Strukturen geschwächt. Das Machtgefüge bröckelt: Kurz vor der Hauptversammlung haben die Familien und Katar ihr Vorhaben gestoppt, das Land Niedersachsen mit einer Kapitalerhöhung unter die 20-Prozent-Marke zu drücken – und durch Wegfall des Vetorechts damit zu entmachten.

Das Bild eines starken Aufsichtsratsvorsitzenden, der analysiert, kontrolliert und bestimmt handelt, sieht anders aus. Auch, weil Pötsch wegen der fehlenden Einigung mit den US-Behörden in wichtigen Bereichen noch die Hände gebunden sind.

Zumindest im Aufsichtsrat und im Konzernvorstand ist Pötsch inzwischen unumstritten. Er leite die Aufsichtsratssitzungen sehr souverän, sachlich und fungiere auch dank seiner klaren Worte als professioneller Mittler zwischen den Interessensgruppen, heißt es unisono von unterschiedlichsten Mitgliedern. Wann immer in den vergangenen Monaten in den Medien an Pötsch gezweifelt wurde, es dauerte nicht lange, bis ihm namhafte Aufsichtsräte wie VW-Großeigner Wolfgang Porsche zur Seite standen.

Doch auch ein geschlossener Auftritt der Familien als wichtigste Eigentümer konnte nicht verhindern, dass institutionelle Investoren wie auch Privatanleger ihrem Unmut mit Gegenanträgen Luft machen. Aktionäre wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), der britische Pensionsfonds-Vertreter Hermes oder der Hedgefonds TCI wollen VW wegen der angeblich zu späten Information an die Finanzwelt zu einer unabhängigen Sonderprüfung zwingen.

Außerdem schmeckt es vielen Investoren nicht, Vorstand und Aufsichtsrat zu entlasten, wie es die Tagesordnung vorsieht. Sie fordern angesichts der Krise und des bisherigen Umgangs mit ihr das Gegenteil. Pötsch betont, man habe auch nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vom Montag die Empfehlung, der Entlastung zuzustimmen, von zwei Anwaltskanzleien prüfen und bestätigen lassen.

Für Daniel Vos, Partner bei der Kanzlei Müller Seidel Vos, zeigt das Festhalten an dem Vorschlag „das weiterhin fehlende Verständnis des Unternehmens für die eigene Verantwortung“. Für Pötsch hingegen ist die Entlastung „ein Zeichen des Vertrauens in die Zukunft von Volkswagen“.

Immerhin einmal brandet für Pötsch Applaus auf – als er das heikle Thema der Vorstands-Gehälter anspricht. „Mir ist bekannt, dass viele von Ihnen den Beitrag des Vorstands für zu gering halten“, sagt Pötsch und erntet die uneingeschränkte Zustimmung der Aktionäre. Eine echte Lösung hat er aber auch nicht parat: Der Aufsichtsrat arbeite gemeinsam mit dem Vorstand an den Veränderungen des Konzerns. „Dazu gehört auch, dass wir die Vergütung des Vorstands auf den Prüfstand stellen“.

Immerhin: Im vergangenen Jahr erhielt der Aufsichtsrat keine variable Vergütung, erklärt Pötsch. Macht nur 700.000 statt zwölf Millionen Euro.

Bislang muss Pötsch erklären, beschwichtigen, um Vertrauen werben. Die Aufgaben eines Reformers sehen anders aus.

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