Hauptversammlung Jetzt kommt die Quittung für Daimler

Baustelle Daimler-Aufsichtsrat: Viele Mitglieder sind einfach schon lange dabei – manch einer zu lange? Quelle: dpa

Auf der virtuellen Hauptversammlung von Daimler haben Aktionäre ihrem Ärger über den Aufsichtsrat Luft gemacht.

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Eigentlich finden Investoren von Daimler seit Kurzem wieder lobende Worte. Unter der neuen Führung von CEO Ola Källenius und Finanzchef Harald Wilhelm wehe jetzt „ein anderer Wind“, Daimlers chronisches Effizienzproblem werde „endlich angepackt“, sagt etwa Janne Werning von Union Investment. Das neue Management überzeuge, stelle wichtige Weichen und die Gewinnwarnungen hätten ein Ende. „Umsatz, Gewinn und Cashflow sind einer Daimler wieder würdig“, lobt Ingo Speich von Deka Investment.

Doch für ein Gremium hagelte es auf der Hauptversammlung Kritik: den Aufsichtsrat. Viele Aktionäre stellten kritische Fragen zur Arbeit des von seit langen 14 Jahren durch Manfred Bischoff geführten Gremiums.

Deka kündigte vor der digitalen Hauptversammlung an diesem Mittwoch sogar an, gegen die Entlastung des Aufsichtsrates stimmen. Die Gründe: Eine „unbefriedigende Nachfolgeplanung des Aufsichtsratsvorsitzenden“ sowie die „mangelnde Unabhängigkeit“ von Aufsichtsrat Clemens Börsig.   

Was ist passiert? Mit dem Ende der Hauptversammlung übernimmt ein Mann das Amt, der mitnichten für den Aufbruch der Autoindustrie in ein neues Zeitalter steht: Bernd Pischetsrieder, der schon seit 2014 im Aufsichtsrat von Daimler sitzt. Der dann 73-Jährige soll nach der Hauptversammlung an die Spitze des Kontrollgremiums rücken. 

Er verstößt damit schon gegen die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats. Nach der sollten für die volle Amtszeit in dem Gremium eigentlich nur Kandidaten vorgeschlagen werden, die bei der Wahl nicht älter als 72 Jahre sind. Dass es anders kommt, hat bei Daimler bereits Tradition: Schon sein Vorgänger Bischoff, Jahrgang 1942, war bei seiner letzten Wiederwahl älter.

Neuer Aufsichtsratschef wirkt wie aus der Zeit gefallen  

Bischoff verteidigte auf der digitalen Versammlung die Entscheidung für Pischetsrieder. Der Vorsitz des Gremiums sei bei ihm "in den besten Händen", Pischetsrieder habe "einzigartige Erfahrung" in der Autoindustrie. Er sei der Richtige, um das Unternehmen durch die aktuell herausfordernde Phase der Transformation zu führen. 

Dass Pischetsrieder die Branche bestens kennt, steht zwar außer Frage. Trotzdem wirkt die Entscheidung wie aus der Zeit gefallen. Denn der ehemalige BMW- (1993 bis 1999!) und VW-Chef (2002 bis 2006!) verkörpert das Gestern einer Branche, die sich gerade komplett neu erfindet. In Zukunft sollen Autos nicht nur nicht mehr mit Benzin, sondern mit Strom fahren, schon in einigen Jahren werden Jugendliche womöglich keinen Führerschein mehr machen müssen, weil ein Roboter sie chauffiert. Soll da wirklich einer, der in der alten Autowelt groß geworden ist und schon lange keinen operativen Posten mehr dort hatte, der neue Heilsbringer für Daimler sein?

Und so fragte auch Investor Speich von Deka auf der Hauptversammlung: „Wie sah der Prozess zur Nachfolgeplanung des Aufsichtsratsvorsitzenden aus? Gab es wirklich keinen alternativen internen Kandidaten?“ Er meint: „So gut es im Vorstand läuft, so holprig gestaltet es sich im Aufsichtsrat. Dort ist die Chance auf einen Generationenwechsel und einen Neuanfang leider vertan worden.“ Die „aus der Not geborene Personalie“ Pischetsrieder könne für ihn „nur eine Übergangslösung“ sein. Und: „Wir hätten uns einen Kandidaten gewünscht, der den Vorstand über die nächste Dekade hinweg begleiten kann.“ Pischetsrieder stehe für die „alte Verbrennerwelt und nicht für Internationalität, Elektromobilität und Digitalisierung“, so Speich.

Bischoff verteidigte die Wahl: Natürlich hätte es alternative Kandidaten gegeben. Schließlich habe er darauf geachtet, dass das Gremium mit Menschen besetzt sei, die Führungserfahrung hätten. 

Und auch Aufsichtsrat Börsig ist manch einem Investor ein Dorn im Auge. Er ist Vorsitzender des Prüfungsausschusses sowie des Ausschusses für Rechtsangelegenheiten. Der ehemalige Chefaufseher der Deutschen Bank ist Jahrgang 1948 – und sitzt seit dem Jahr 2007 im Aufsichtsrat von Daimler, also 14 Jahre. Dabei sollen nach den Regeln der daimlereigenen Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat „zur Wahl für eine volle Amtszeit als Mitglied des Aufsichtsrats in der Regel nur Kandidaten vorgeschlagen werden, die dem Aufsichtsrat zum Zeitpunkt ihrer Wahl nicht bereits 12 Jahre angehört haben“. Andernfalls gelten sie bei vielen als nicht mehr unabhängig.

Bischoff aber räumte ein, hier seine eigenen Regeln zu machen: Man schätze bei Daimler selber ein, ob jemand unabhängig sei. Und das treffe selbstredend auf die Mitglieder im Aufsichtsrat zu.

„Aufsichtsrat nicht unabhängig“

Und doch kritisierte auch Union Investment den Aufsichtsrat auf der Hauptversammlung: „Wir bemängeln die Zusammensetzung der Ausschüsse im Aufsichtsrat, die überwiegend aus nicht unabhängigen Mitgliedern bestehen“, sagt Werning. Er kritisiere, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses nicht unabhängig sei. Börsig gehöre dem Aufsichtsrat seit 2007 an und könne „daher nicht mehr als unabhängig angesehen werden. Ein abhängiger Prüfungsausschussvorsitzender entspricht nicht unseren Anforderungen an gute Corporate Governance.“ Und so stimmt Union Investment gegen die geplante Erhöhung der Vergütung des Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtsangelegenheiten, sie erscheine „unverhältnismäßig hoch“. Bischoff begründete die geplante, höhere Vergütung mit "erweiterten Aufgaben" von Börsig und seinem Gremium. Das müsse honoriert werden. 

Ins gleiche Horn stieß jedoch auch Speich: Besonders problematisch sei, dass Börsig „nicht unabhängig“ sei. „Gerade im Hinblick auf die offenen Rechtsverfahren wünschen wir uns mehr Unabhängigkeit und Reformwillen im Aufsichtsrat.“

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Was die Investoren nicht sagen: Der Fisch stinkt auch vom Kopf. Denn mit dem noch bis zum Ende der Hauptversammlung amtierenden Aufsichtsratschef Bischoff geht ebenfalls ein Urgestein der alten Autowelt. Er wurde schon 2006 in den Aufsichtsrat und nur ein Jahr später zu dessen Vorsitzenden gewählt. Der Duzfreund von Ex-Chef Dieter Zetsche hielt nicht nur zu lange am alten CEO, sondern auch an seinem Amt fest. Er verpasste es dabei auch, den Aufsichtsrat rechtzeitig zu erneuern.

Jetzt kommt die Quittung.

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