Die zwei Ds – Dieselgate und Digitalisierung – haben auch vor der Transportbranche nicht Halt gemacht. Das zeigt sich in diesen Tagen auf der IAA Nutzfahrzeuge deutlicher denn je. Richten sollen es autonome Fahrzeuge, elektrische Antriebe und neue Logistikkonzepte. Der Blick in die Zukunft der Transporter scheint spannender und zugleich realistischer denn je.
Ein Beispiel ist das Projekt „Truck2030“, das eine Forschungsgruppe der Technischen Universität München (TUM) in Kooperation mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg und fünf Partnern aus der Industrie dieses Jahr auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover vorstellen.
Sie zeigen das Modell eines Lkw, wie er in gut zwölf Jahren über deutsche Straßen rollen könnte – wenn die Bedingungen stimmen. Und die Vorstellungen von Autobauern und Zulieferern auf der IAA bestätigen: So könnte der Truck 2030 tatsächlich aussehen. Vier Aspekte, was der Truck der Zukunft zu bieten hat und was ihn beeinflusst:
Aspekt 1: Mensch und Maschine beim Autonomen Fahren
Die Wissenschaftler der TUM haben in ihrem Konzept für den Truck der Zukunft eine multifunktionale Fahrerkabine erdacht. Dahinter steht die Annahme, dass Lkw zukünftig auf der Autobahn automatisiert fahren werden.
Mit dieser Einschätzung sind die Forscher keineswegs alleine: „Wir gehen davon aus, dass komplett selbstfahrende Lkw zwischen 2025 und 2030 auf der Straße sein werden", sagt auch Norbert Dressler, Leiter des Automotive Competence Center des Beratungsunternehmens Roland Berger. „Entscheidend ist allerdings, dass gleichzeitig die entsprechende Infrastruktur für autonomes Fahren geschaffen wird, also etwa auch rechtliche Haftungsfragen, etwa bei Unfällen, geklärt sind."
Laut Analysen von Roland Berger gibt es für die Logistikbranche weitere gute Gründe, diese Entwicklung zu unterstützen: Durch effizientere Prozesse dank automatisierter Langstreckentransporte im Konvoi, günstigere Personalkosten und effizientere, ökonomischere Fahrweisen ließen sich enorme Kosten sparen. Pro Kilometer könnte ein autonom fahrender Lkw zu einer Kostenersparnis von bis zu 40 Prozent führen, rechnen die Experten vor.
Dass selbstfahrende Lkw auf dem Vormarsch sind, zeigen nicht zuletzt zahlreiche Studien und Testfahrzeuge der Hersteller. So wollen der Autozulieferer Continental und der Bremsenhersteller Knorr Bremse künftig gemeinsam Systeme für hochautomatisiertes Fahren von Nutzfahrzeugen anbieten, kündigten sie auf der IAA an. In einem ersten Schritt wollen die Partner ab Anfang 2019 bei der Entwicklung von Systemen für automatisierte Kolonnenfahrten, das so genannte Platooning, kooperieren. In einer weiteren Stufe sollen automatisiertes Fahren auf der Autobahn folgen.
Daimler wirbt bereits mit dem neuen Schwerlaster Actros, der mit zahlreichen teilautomatisierten Funktionen ausgestattet ist, die beim Bremsen oder Kolonne-Fahren helfen. Und der schwedische Lkw-Bauer Volvo gibt auf der IAA dieses Jahr einen Vorgeschmack auf die fernere Zukunft: Der elektrische Schwerlaster Vera, der als Studie vorgestellt wurde, kommt sogar ganz ohne Fahrerkabine aus.
„So digital und autonom wie nie“ – Mercedes stellt neue LKW-Generation vor
In den Augen der TUM-Wissenschaftler können vom automatisierten Fahren auch die Lkw-Fahrer profitieren, die bei dem Gedanken an diese Entwicklung bislang vor allem ihre Jobs in Gefahr sehen: „Die für die Fahrer gewonnene Zeit könnten sie in ihre Gesundheit investieren“, meinen die TUM-Wissenschaftler. Deshalb statteten sie in ihrem „Truck2030“ die Fahrerkabine etwa mit Seilzügen aus – quasi als mobiles Fitnessstudio und planten spielerische Tools mit ein, um die Motivation mithilfe eines virtuellen Belohnungssystems zu steigern. Von Freizeit im Truck sprechen die Wissenschaftler und sehen darin eine Chance, den Beruf des Fernkraftfahrers wieder interessanter zu machen.
Wichtiges Detail: Für 2030 rechnen die Wissenschaftler mit einem Autonomen Fahren der Stufe 4 von 5 – das heißt, das Eingreifen eines Fahrers ist noch möglich. „Wir gehen davon aus, dass Lkw nicht in allen Verkehrssituationen voll autonom fahren werden“, sagt Sebastian Wolff vom TUM- Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik. „Dementsprechend brauchen wir noch den Fahrer, der weiterhin innerhalb einer bestimmten Zeit die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen kann.“
Schneller schlau: Die fünf Stufen des autonomen Fahrens
Das „assistierte Fahren“ ist bereits in unterschiedlicher Ausprägung bis in untere Fahrzeugsegmente verbreitet. Wie der Name schon sagt, helfen Assistenten beim Fahren. Sie warnen beispielsweise vor Fahrzeugen im toten Winkel, beim Verlassen der Fahrspur oder halten den eingestellten Abstand zum Vordermann. Die Helfer assistieren nur, fahren muss immer noch der Mensch hinter dem Steuer.
Beim „teilautomatisierten Fahren“ kann der Wagen bereits einzelne Fahraufgaben selbst übernehmen, muss dabei aber immer vom Fahrer überwacht werden. Dieses Stadium haben die meisten Autohersteller aktuell erreicht. Beispiel dafür ist ein Stau-Assistent, der im Stop-and-Go-Verkehr lenkt, abbremst und selbstständig wieder anfährt. Der Fahrer muss dabei zwar nicht aktiv lenken, darf die Hände aber nicht vom Steuer nehmen. Tut er das doch, wird er nach wenigen Sekunden vom Auto aufgefordert, das Lenkrad zu greifen. Zuletzt hat sich eine Ausbaustufe der Technik etabliert, die als „Level 2 Plus“ oder „Level 2 Hands Free“ bezeichnet wird und das Loslassen des Steuers explizit erlaubt und auch für längere Zeit toleriert.
Das Auto übernimmt beim „hochautomatisierten Fahren“ in bestimmten Verkehrssituationen diverse Funktionen, kann zum Beispiel längere Autobahnstrecken vollständig allein bewältigen. Der Fahrer muss aber das Steuer nach einer Aufforderung durch das Auto wieder übernehmen können. Theoretisch beherrschen bereits mehrere Pkw-Modelle diese Technik, legal nutzen dürfen sie aktuell aber nur wenige, darunter die Mercedes S-Klasse und der BMW 5er. Einschränkungen gibt es etwa bei Geschwindigkeit und Straßenart – so ist Level-3-Fahren in Deutschland nur auf geeigneten Autobahnabschnitten und mit maximal Tempo 130 erlaubt.
Ist das Fahrzeug „voll automatisiert“, kann das Auto spezifische Anwendungsfälle komplett allein meistern – von der Autobahnfahrt bis zu hochkomplexen urbanen Verkehrssituationen. Der Fahrer kann derweil zum Beispiel schlafen und haftet bei Schäden oder Verkehrsverstößen nicht mehr. Hier verlassen wir den Bereich, den Privat-Pkw heute noch beherrschen. Vollautomatisiert fahren aktuell unter anderem die Robotaxis oder -Shuttle von Mobilitätsdienstleistern, die in lokal begrenzten Gebieten unterwegs sind. Ein weiteres Beispiel ist das auch in Deutschland angebotene „Automated Valet Parking“ von Bosch und Mercedes, bei dem sich Pkw in speziell ausgerüsteten Parkhäusern selbstständig ihren Stellplatz suchen.
Beim „autonomen Fahren“ werden die Insassen vollständig zu Passagieren, nicht mal mehr ein Lenkrad oder Pedale sind notwendig. Das Auto kann alle Fahraufgaben alleine bewältigen. Auf jeder Straße, bei jedem Wetter und in komplexesten Verkehrssituationen. Noch Anfang des Jahrzehnts hofften Ingenieure, die oberste Stufe noch Mitte der 2020er-Jahre erreichen zu können. Das wird nicht passieren. Einige Branchenvertreter zweifeln, ob es jemals so weit kommt. Nicht zuletzt, weil die Kosten wohl so hoch wären, dass sich der Einsatz kaum lohnen würde. Bosch-Experte Lanwer kennt ein weiteres Problem: „So ist es beispielsweise sehr schwierig ein autonomes Fahrzeug auf eine Hebebühne zu bekommen, wenn man es nicht steuern kann.“ Es sieht Level 5 erst mal nicht im Markt, weil es im Vergleich zu Level 4 derzeit keinen Vorteil bringt.
Aspekt 2: Logistik und Transport
Effizienz steigern, das ist der größte Vorteil, den sich die Logistikbranche von den aktuellen Entwicklungen verspricht. Der TUM-Lkw für das Jahr 2030 ist wohl auch deshalb ein Lang-Lkw, der eine europaweite Zulassung hat – davon gehen die Münchner Forscher bei ihrer Zukunftsstudie aus. Mit einer Länge von 25,25 Metern seien sie für einen effizienten Güterverkehr ideal, argumentieren die Wissenschaftler. Schließlich ersetzten zwei Lang-Lkw drei Lkw von normaler Länge. So lasse sich zum einen Kraftstoff einsparen, zum anderen reduziere sich die Zahl der Lkw auf der Straße.
Auch die Digitalisierung schlägt sich ihrer Meinung nach in der Logistik- und Transportbranche nieder: Dank digitalisierter Systeme sehen die TUM-Forscher Apps als sinnvolle Ergänzung, mit deren Hilfe die Ladung etwa via Scancode oder NFC-Chip erfasst werden kann. So könnten Zeit und Ressourcen beim Be- und Entladen gespart werden. „Der Grundgedanke ist, die Industrie 4.0 auch in den Lkw zu bringen“, erklärt Wolff. „Vor allem die Digitalisierung der Frachtabwicklung haben wir dabei als Chance gesehen.“ Dazu zählt beispielsweise Frachtpapiere am Werkstor irrelevant zu machen, weil Apps den Papierkram übernehmen. „Allein das kann Prozesse optimieren, Zeit und wahrscheinlich häufig auch Nerven beim Fahrer sparen“, meint Wolff.
Hinzu kommen intelligente Ladeträger. In Industrie-4.0-Konzepten kann etwa der Gabelstapler mit der Gitterbox via NFC kommunizieren – dadurch lässt sich beispielsweise falsche Ladung schneller erkennen oder von vornerein vermeiden. Eine derartige Kommunikation soll nach Vorstellung der TUM-Wissenschaftler auch mit dem „Truck2030“ möglich werden.
Roland Bergers Automotive-Experte Dressler sieht weitere wesentliche Entwicklungen in der Vernetzung kommen: Schon in wenigen Jahren werde der Lkw mit seiner Umgebung voll vernetzt und somit ein Teil von effizienteren Logistikabläufen. Dafür ist vielerorts gewaltiger Spielraum vorhanden. So sind laut Roland Berger Leerfahrten keine Seltenheit: In Europa und den USA seien etwa 20 Prozent der Laster heute leer unterwegs – in China sogar 40 Prozent. „Diese Ineffizienzen werden durch die Digitalisierung von Prozessen und Künstliche Intelligenz deutlich vermindert“, prognostiziert Dressler.
Einer aktuellen Studie von Strategy&, der Strategieberatung des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC, liefert den Zahlenbeweis: Bis 2030 könnten sich demnach die Logistik-Kosten um bis zu 47 Prozent reduzieren, wenn Logistikprozesse und Lastwagen automatisiert werden.
„Der Diesel-Plug-in-Hybridantrieb ist die beste Lösung“
Aspekt 3: Umwelt
Elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge zählen zu den Präsentationen, die auf der IAA 2018 die meiste Aufmerksamkeit genießen und am stärksten gefeiert werden. Die führenden Autozulieferer Bosch, Continental und ZF Friedrichshafen übertrumpfen sich geradezu gegenseitig bei der Entwicklung der Technik für elektrisch fahrende Laster und Autos. ZF sei mit Abstand Marktführer für elektrische Antriebsachsen für Nutzfahrzeuge über alle Größenklassen hinweg, sagte ZF-Chef Wolf-Henning Scheider zum Messeauftakt in Hannover und Boschs Nutzfahrzeug-Chef Markus Heyn bekräftigte: „Weltweit Marktführer bei der Elektromobilität zu werden, ist unser Ziel.“ In Teilen haben sie sogar schon Einzug in den Messealltag der IAA gehalten – in Form von vollelektrischen Scania-Bussen, die Besucher über das Hannoveraner Messegelände transportieren.
Das dürfte im Grunde niemanden überraschen. Fordern doch Politik und Gesellschaft von der Branche gerade in Zeiten der Dieselgate-Aufarbeitung verstärkt effiziente und vor allem umweltfreundlichere Transportkonzepte. Die Vermeidung von Emissionen wie Kohlendioxid, Rußpartikel und Stickoxide hat deshalb an Bedeutung gewonnen. Und die bestmögliche Lösung wird derzeit von der Mehrheit in elektrischen Antrieben gesehen. Nach Einschätzung von Bosch werden bis 2025 noch 80 bis 90 Prozent der Nutzfahrzeuge mit Dieselmotoren unterwegs sein. Bis 2030 soll laut dem Automobilzulieferer etwa jedes vierte Fahrzeug mit Strom fahren.
Deutlich wird aber gleichzeitig auch: Die meisten rein elektrischen Fahrzeuge, die die Hersteller präsentieren, sind Busse und Transporter, eher weniger Lkw – und wenn, geht es in erster Linie um den Stadtverkehr.
Auch die TUM-Forscher zeigen beim strombasierten Antrieb eine gewisse Zurückhaltung und statteten ihren „Truck2030“ lediglich mit einem Diesel-Hybrid-Antrieb aus. „Der Diesel-Plug-in-Hybridantrieb ist sowohl für den Umweltschutz als auch aus wirtschaftlicher Sicht die beste Lösung“, so das Fazit der TUM-Forscher. Sie halten einen reinen Stromer beim jetzigen Stand der Technik nicht für sinnvoll. Der Spagat zwischen Reichweite und Nutzlast gelingt dafür derzeit einfach noch nicht: „Ich kann schon einen Lkw bauen, der 600 Kilometer elektrisch fährt, aber dann kann ich nichts mehr laden – und dann erfüllt er ja nicht mehr seinen Zweck“, beschreibt es Wolff.
Die Automotive-Experten von Roland Berger kommen zum gleichen Ergebnis: Selbst, wenn die Kosten für Batteriezellen sinken würden, könnten Lkw mit E-Motor für weite Strecken aktuell nicht profitabel betrieben werden. Lediglich bei Lkw im Nahverkehr bis zu 400 Kilometern halten sie den Elektroantrieb für eine wirtschaftlich rentable Alternative. Und auch Thomas Sedran, Chef bei Volkswagen Nutzfahrzeuge, unterstrich auf der IAA die Bedeutung des Diesel als Rückgrat der Logistik: „Bei Langstrecken, in schwierigem Gelände, bei Baustelleneinsätzen und hohen Lasten sind hochmoderne Dieselmotoren auch weiterhin besser – sowohl wirtschaftlich als auch aus Umweltgesichtspunkten.“
Aspekt 4: Politik
Um den „Truck2030“ tatsächlich auf die Straße bringen zu können, sehen die TUM-Forscher vor allem zwei Hürden: die europaweite Zulassung des Lang-Lkw und eine ausreichende Lade-Infrastruktur. Beides halten sie bis zum Jahr 2030 für möglich.
Die Gegenargumente zu den Lang-Lkw, wie etwa eine geringere Fahrzeugsicherheit oder eine stärkere Straßenabnutzung, kann das „Truck2030“-Forscherteam eigenen Angaben zufolge mit ihren Untersuchungen entkräften. Laut Wolff seien sogar noch längere Lkw denkbar und ökonomisch sowie aerodynamisch sogar sinnvoll. Die Vorteile dürften sich in den nächsten Jahren auch in der Politik durchsetzen und der Lang-Lkw in Europa flächendeckend eingesetzt werden, erwarten die Wissenschaftler.
Auch die Chance auf eine ausreichende Versorgung mit Ladesäulen an deutschen Autobahnen halten Wolff und seine Kollegen für hoch: „Schon für Elektroautos ist eine gute Infrastruktur von Nöten. Wenn wir nun auch noch für die Lkw ein solches flächendeckendes Netz benötigt wird, ist das nur ein Argument mehr für die Politik, den Ausbau der Infrastruktur mit aller Kraft voranzutreiben.“
Beim Autonomen Fahren muss noch deutlich mehr passieren, damit der „Truck2030“ größtenteils unter eigener Kontrolle auf deutschen Autobahnen unterwegs sein kann. Ein Vorbild könnte die Progressivität Frankreichs sein. Emmanuel Macron kündigte im März an, Gesetze aufzusetzen, die selbstfahrende Technologien auf den Straßen zulassen. Dem aktuellen Plan zufolge sollen ab 2019 hochautomatisierte Roboterfahrzeuge landesweit getestet werden. Dazu gehören laut dem französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire auch Tests auf öffentlichen Straßen mit Fahrzeugen, bei denen kein Fahrer hinter dem Steuer sitzt. Wird auch die deutsche Politik so mutig, könnte der „Truck2030“ Realität werden.
Mit Material von Reuters