Autofahren „Den Stress beim Fahren machen wir uns größtenteils selbst“

Autofahren: „Den Stress machen wir uns größtenteils selbst“ Quelle: imago images

Moderne Technik soll das Autofahren erleichtern und irgendwann ganz das Steuer übernehmen. Trotzdem sind heute viele Fahrer überfordert und gereizt. Der Psychologe Thomas Wagner erklärt, was dahintersteckt.

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Thomas Wagner ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) und arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Verkehrspsychologe. Seine Aufgabenbereiche in der DGVP: Weiterentwicklung fachlicher Grundlagen, zum Beispiel zur Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung. Zudem hat er einen Lehrauftrag an der TU Dresden. Zu seinen Forschungsaktivitäten gehören ältere Kraftfahrer, geschwindigkeitsaffine Fahrer und Humanfaktoren beim automatisierten Fahren.

WirtschaftsWoche: Herr Wagner, wie stressig ist Autofahren heute?
Thomas Wagner: Zunächst müssen wir klarstellen, was wir eigentlich mit Stress meinen. Brechen wir es herunter, verstehen Psychologen unter Stress eine bedrohliche Situation, die als belastend empfunden wird und bei der man keine ausreichende Bewältigungsmaßnahme wahrnimmt. Ein entsprechender Belastungsfaktor beim Autofahren ist zum Beispiel eine hohe Verkehrsdichte auf den Straßen. Durch sie werden Autofahrer in ihrer Wunschgeschwindigkeit eingeschränkt. Deutschland ist ein Hochgeschwindigkeitsland. Und wir wissen durch Studien, dass die Differenz zwischen der eigenen Wunschgeschwindigkeit und der durch den Verkehr möglichen, realen Geschwindigkeit ein Belastungsfaktor sein kann – insbesondere dann, wenn ich einen engen Zeitplan habe und merke, ich werde ihn nicht einhalten können. Vorausfahrende Fahrzeuge, die trotz ausreichender Lücke beispielsweise nicht nach rechts ausweichen, werden als Hindernis wahrgenommen und lösen ebenso Unbehagen aus, wie aggressiv drängelnde Fahrer von hinten.

Das heißt, weil wir als Autofahrer häufig mehr wollen, stressen wir uns?
Den Stress machen wir uns größtenteils selbst. Hinter dem Steuer sitzt ein ganzheitliches Wesen mit Zielen, Plänen, Bedürfnissen und natürlich auch mit Verhaltensmustern, die nicht immer zur Situation passen. Da spielt Egozentrizität eine wichtige Rolle. Das heißt, wenn ich meine allein auf der Straße zu sein – alle müssen Platz machen, wenn ich mit meinem dicken Auto komme –, dann passt das nicht in unsere Verkehrskultur. Das führt zwangsweise zu negativen Emotionen – auf beiden Seiten. Der auslösende Faktor kann also durchaus eine falsche Einstellung sein. Und narzisstische und egozentrische Tendenzen sowie mangelnde Empathie sind kontraproduktiv für das vom Gesetz geforderte partnerschaftliche und rücksichtsvolle Verhalten gemäß Straßenverkehrs-Ordnung.

von Matthias Hohensee, Stefan Hajek, Martin Seiwert

Zeigen sich solche Tendenzen beim Autofahren deutlicher als anderswo?
Wenn ich mich mit einer negativen Grundstimmung ins Auto setze und die in der Fahrschule eigentlich gelernte Haltung vergesse – sprich mit Fehlern anderer zu rechnen und selbst so zu fahren, dass niemand anderes in Unfallgefahr geraten kann – und vor allem eigene Ziele im Blick habe, erhöht das die Stress-Anfälligkeit. Ebenso wie unrealistische Planungen meiner Fahrt. Dann habe ich Frustrationserlebnisse im Grunde schon programmiert. Konkret gesagt: Steige ich bereits überfordert ins Auto und merke nach fünf Minuten auch noch, dass wird eng mit meinem Termin, reicht ein kleines Fünkchen weiterer Frustration, um den Organismus auf Stressverarbeitung zu schalten. Unser Gehirn ist in solchen Reizsituationen darauf getrimmt, auf Flucht oder Angriff zu schalten. Blut wird in die Muskulatur gepumpt, die Durchblutung des Magens wird reduziert und unser Gehirn schaltet auf vereinfachte Verhaltensstrukturen. Wir sind nur noch auf einfache Reizmuster programmiert, können deswegen mehrdeutige Verkehrssituationen schlechter interpretieren und gehen schneller hoch, wie man umgangssprachlich sagt.

Autofahren hat sich in den vergangenen Jahren verändert, weil die Technik die Möglichkeiten im Innenraum des Fahrzeugs verändert hat. Freisprechanlagen und Sprachsteuerung geben Autofahrern ganz andere Möglichkeiten. Macht das Autofahren stressfreier oder gar stressiger?
Die moderne Technik hat in dem Maße Einfluss auf den Autofahrer, wie er es zulässt. Moderne Systeme wie Freisprechanlagen oder Sprachsteuerungen haben Schutz- und Unterstützungsfunktion, sind zugleich aber auch ein Risikofaktor – je nachdem, wie der Fahrer gepolt ist. Wenn ich mir vornehme, hinter dem Steuer mein gesamtes Büro zu managen, setze ich mich einem wahnsinnigen Risiko aus. Unser Organismus schafft es nicht, mehrere Dinge in der gleichen Genauigkeit zu überwachen.

So sieht der erste autonome VW aus
Solche zum Roboterauto aufgerüsteten Elektro-Golf ziehen gerade in Wolfsburg ihre Bahnen. Quelle: Presse
VW gibt den autonomen Autos den letzten Schliff, bevor sie in Hamburg den Alltagstest bestehen müssen. Quelle: Martin Seiwert für WirtschaftsWoche
In der Hansestadt will die Konzernforschung erstmals automatisiertes Fahren bis Level 4 unter realen Bedingungen in einer deutschen Großstadt testen. Die e-Golf mit Laserscannern, Kameras, Ultraschallsensoren und Radaren fahren auf einer ausgewiesenen Teststrecke. Ein Fahrer, der im Notfall eingreifen kann, ist immer an Bord. Quelle: Martin Seiwert für WirtschaftsWoche
Audi hat im Konzern offiziell die Entwicklungshoheit beim autonomen Fahren. Der Audi A8 verfügt schon über umfangreiche Technik für das teilautonome Fahren. Quelle: Presse
Die Ingolstädter kämpfen aber mit zahlreichen Schwierigkeiten in der Entwicklung. Angeblich sollen sie sich künftig sich auf Fahrerassistenzsysteme beschränken. Die wirklich autonom fahrenden Autos soll die Marke VW in Wolfsburg entwickeln. Quelle: Presse
Roboterautos mit vier Ringen gibt es auf absehbare Zeit wohl nur im Format 1:8 – beim Studentenwettbewerb „Audi Autonomous Driving Cup“, bei dem Autos in Spielzeuggröße ihre künstliche Intelligenz unter Beweis stellen sollen. Quelle: Presse

Die Prämisse wäre also ein wohldosierter Einsatz von Technik.
Genau. Ich muss mit der Technik vernünftig umgehen. Ich kann sie als Unterstützung einsetzen, aber mir muss klar sein, dass selbst ein vom Anspruch mittelhohes Telefonat genauso viel geistige Energie absorbiert, wie wenn ich auf einem Tablet etwas eingebe oder in Gedanken einen Strategieplan für die nächste Vorstandssitzung erdenke. Wir haben nur eine endliche Ausstattung an geistigen Kapazitäten. Wenn ich die auf mehrere Aufgaben verteile, geht notwendigerweise die Überwachungsfähigkeit für meine Hauptaufgabe, das Autofahren, zurück.

Was können gestresste Autofahrer tun?
Dreh- und Angelpunkt ist die Planung der Fahrt. Ich muss realistisch Zeit für Staus und unvorhersehbare Verzögerungen einplanen. Wenn ich als Reisender quer durch die Republik fahre, muss ich mir zudem eingestehen, dass ich regelmäßig und ausreichend lange Pausen brauche, weil ich mich entspannen und Kraft tanken muss. Außerdem muss ich mir über meine Rolle als Autofahrer im Klaren sein. Ich bin ein Element im sozialen und partnerschaftlichen Gefüge des Straßenverkehrs. Ich bin nicht alleine unterwegs und muss mit Fehlern anderer rechnen. Es tut auch wirklich nicht weh, jemandem einmal die Vorfahrt zu geben, anstatt sich aufzuregen, weil er sich jetzt die Vorfahrt genommen hat. Das schadet nie.

Assistenz-Systeme, die uns in kleinen Schritten dem autonomen Fahren näherbringen, gelten als Stress-Reduzierer. Automatisierte Abstandshalter, Fahrspurassistenten, Tempomat – sie sollen das Fahren angenehmer und entspannter machen. Es gibt aber Studien, die zeigen, dass so manche dieser Techniken mehr Stress auslösen können. Wie ist es denn tatsächlich?
Der Einsatz von Assistenz-Systemen bedeutet auch, dass Autofahrer Kontrolle abgeben müssen. Ich verlasse mich nicht auf mich selbst, sondern muss einer Technik vertrauen, die mir möglicherweise noch nicht geheuer ist. Das kann Angst auslösen und ein Stressfaktor sein. So mancher dürfte infolgedessen auf den automatisierten Modus verzichten und lieber selbst steuern, weil er sich eher auf die eigenen Fähigkeiten verlässt.

„Eine wahre Revolution steht uns dort ins Haus“

Halten Sie die Furcht vor entsprechenden Assistenz-Systemen für eine Charaktereigenschaft Einzelner oder handelt es sich um grundsätzliche Zweifel an etwas, das uns Menschen noch neu ist?
Das ist eine wahre Revolution, die uns dort ins Haus steht. Darauf sind wir nicht vorbereitet. Der Fahrer ist mit diesen neuen Chancen und Grenzen noch viel zu wenig vertraut. Es werden immer wieder Bedenken an der Einhaltung des Datenschutzes, der Systemzuverlässigkeit in wirklich allen Verkehrssituationen und an der Schuldfrage bei Unfällen vorgebracht. Es gibt aber auch den gegenläufigen Effekt, wonach sich der Fahrer „blind“ dem System anvertraut und deshalb unvorsichtig und „selbstgefällig“ wird. Dies hat im weitesten Sinne etwas mit Selbstüberschätzung zu tun, die wir gerade bei jungen Autofahrern immer wieder beobachten. Jungfahrer, die ihren Führerschein erst ein, zwei Jahre haben, glauben zu spüren, dass sie schon besonders gut fahren und immunisieren sich damit vollkommen von Gefahrenreizen. Ein ähnliches Gefahrenpotenzial muss man für das automatisierte Fahren auch postulieren, wenn die Menschen nicht ausreichend darauf vorbereitet werden.

Das heißt, Sie sehen ein Risiko im Wandel zum automatisierten Fahren?
Uns als Fachgesellschaft bereiten die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die für automatisierte Fahrsysteme geschaffen wurden, viel größere Sorge als die mangelnde Akzeptanz. Demnach gehört es zu den Rechten und Pflichten des Fahrzeugführers, dass er sich von der Fahraufgabe abwenden darf. Er muss allerdings derart wahrnehmungsbereit sein, dass er jederzeit die Steuerung in einer Gefahrensituation übernehmen kann. Entweder, wenn das System dazu auffordert, oder offensichtliche äußere Umstände eine Übernahme erforderlich machen. Diese Regelung ist so jedoch nicht mit den menschlichen Fähigkeiten konform. Ein Mensch kann sich im vollautomatisierten Fahrmodus nicht abwenden und sich auf eine andere Tätigkeit konzentrieren – etwa auf einem Display spielen oder etwas suchen – und gleichzeitig die Umgebung so überwachen, sodass er Gefahren schnell genug erkennen und das Steuer im Notfall übernehmen kann. Das geht einfach nicht.

Eine bewusste Informationsverarbeitung ist nur in einem ganz engen Fokus unserer Aufmerksamkeit möglich. Ich habe ein plastisches Beispiel, wie Sie sich Ihren Aufmerksamkeitsrahmen vergegenwärtigen können: Sie strecken den Arm aus und gucken auf Ihren Daumen. Im Bereich des Daumennagels und ein wenig um ihn herum haben Sie scharfes Sehen. Was an den Rändern passiert, können Sie nur erahnen – und das ist das Problem. Wenn Sie im automatisierten Fahrmodus im Auto auf einen Monitor schauen und sich darauf konzentrieren, ist es Ihnen unmöglich, von der Peripherie einströmende Gefahren so zu erkennen, wie wenn Sie selbst steuern würden. Hier sind Konflikte absehbar. Damit hat der Gesetzgeber ein schier unlösbares Anforderungskonglomerat geschaffen, das mit den menschlichen Möglichkeiten nicht einhergeht.

Haben Sie denn einen Vorschlag, wie es besser, realitätsnaher, geregelt werden könnte?
Die technischen Systeme müssten so ausgestattet sein, dass sie in der Außenüberwachung alles erkennen und den Fahrer rechtzeitig warnen und zur Übernahme auffordern. So würde der Fahrer von den Systemen gewarnt und müsste erst dann übernehmen. So wäre er von der Verpflichtung entbunden – wie es jetzt im Gesetz steht – als übermächtiger Beobachter alles innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs im Blick zu haben. Des Weiteren muss herausgefunden werden, welche Grenzen es bei den Nebentätigkeiten gibt. Von so mancher Tätigkeit kann ich mit Sicherheit schneller wieder ans Steuer umswitchen als von anderen. Und manche Beschäftigung wird einen so fesseln, dass eine schnelle Umorientierung zurück an die Fahrzeugsteuerung gar nicht möglich ist. Hier gibt es noch enormen Klärungsbedarf, welche Form der Ablenkung möglich, zulässig, zumutbar ist – und wo Grenzen hermüssen. Auch dürfen wir uns der evidenzbasierten und langjährig bekannten Faktenlage nicht verschließen, wonach Menschen unterschiedlich lange Reaktionszeiten und eine hohe Streubreite bei der Verarbeitung von Informationen aufweisen. Allen Fahrern zu unterstellen, sie könnte gleichgut und stabil auf zum Beispiel. Systemanforderungen zur Übernahme der Fahraufgabe reagieren, sind Wunschdenken und passen nicht zu den verfügbaren Daten aus wissenschaftlichen Studien.

Wird in diesem Bereich denn ausreichend geforscht?
Eindeutig nein! Meines Wissens gibt es wenige Studien, die sich mit den Grenzbedingungen des automatisierten Fahrens auseinandersetzen. Und wir schauen zu wenig über den Tellerrand hinaus und lassen Chancen ungenutzt, z.B. von den Erkenntnissen aus der Luftfahrt zu lernen. Relativ viel wird zum Thema Übernahmefähigkeit – im Englischen Take-over-request – geforscht. Hierzu erhalten wir aus dem englischsprachigen Raum alarmierende Daten, die allerdings hierzulande bislang kaum Beachtung findet. Demnach variiert die Übernahmefähigkeit eines Fahrers von 2,8 bis 40 Sekunden. Das ist immens. In jedem Falle braucht ein Mensch mehrere Sekunden nachdem das Auto einen Alarm ausgelöst hat, bis er reagiert und übernehmen kann. Dabei scheint ein gesprochener Übernahmeappell, ähnlich wie in der Luftfahrt etabliert, günstiger zu sein als ein Sinuston. Solche Ergebnisse werden derzeit noch zu wenig einbezogen, um das Mensch-Maschine-System im Auto zu optimieren. Man gewinnt stellenweise den Eindruck, als sollte sich der Mensch dem System anpassen und nicht umgekehrt.

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