„Was wollen die hier?“ Warum die Oldtimer-Halle der IAA die Szene spaltet

Ein Volkswagen T1 auf der IAA Quelle: AP

Zum ersten Mal werden auf der IAA Oldtimer in einer eigenen Halle präsentiert. Zwar wächst der Markt kontinuierlich, doch in der Szene ist dieser Vorstoß äußerst umstritten.

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Das „komplett Überflüssige“ der Internationalen Automobil-Ausstellung befindet sich in Halle 4, zwischen der S-Bahn-Station „Messe“ und der Halle der VW-Marken. In Halle 4 ist auf einer Fläche von eineinhalb Fußballfeldern eine Ausstellung namens „IAA Heritage by Motorworld“ untergebracht: betagte Altautos, Porsche, Mercedes-Benz, Volkswagen, aber auch Ferrari und Bugatti aus den 80er, 70er, 60er Jahren. Kurzum: Oldtimer. Dazu treten Jazz- und Swing-Künstler auf, Männer in Knickerbockerhosen sind ebenso zu finden wie Schuhputzer, bekleidet mit Melone, Weste und Fliege: Reminiszenzen an ein eher unbestimmtes Früher. „Ein Hotspot, den man gesehen und erlebt haben muss“, jubelt der Veranstalter. „Komplett überflüssig“, findet Torben Pieper, Kfz-Meister und Betreiber einer Oldtimer-Werkstatt im schwäbischen Wäschenbeuren, östlich von Stuttgart. „Auf die IAA geht man, um etwas Neues zu sehen.“ 

Zwischen diesen beiden Polen bewegen sich die Meinungen zu dieser Premiere. Zwar gab es auch schon auf der letzten IAA 2017 Oldtimer zu sehen, also Autos, deren Erstzulassung mindestens 30 Jahre zurück liegt; aber in diesem Jahr steht dieser Fahrzeuggattung zum ersten Mal eine eigene Halle zur Verfügung. Ausgerechnet in jenem Jahr also, in dem die IAA (diesjähriges Motto: „Driving Tomorrow“) und die gesamte Autoindustrie unter Druck stehen wie nie zuvor: Autohersteller und auch Zulieferer stecken mitten in einem grundlegenden Wandel, getrieben von den beiden Megatrends Elektromobilität und autonomes Fahren. Gleichzeitig fordern Umweltaktivisten und Verbände von der Industrie, energie- und spritsparende Modelle zu entwickeln und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Wieso also nun dieser prominente Aufschlag für alte Autos, die verhältnismäßig viel Benzin verbrauchen und – auch wenn sie wenig gefahren werden – in aller Regel dreckiger, stinkender und lauter sind als moderne Autos? 

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McLaren, Lamborghini, Harley-Davidson - und eine Hotelkette

Eine Frage für Andreas Dünkel. Denn bei dem 55-jährigen Schwaben laufen diesbezüglich alle Fäden zusammen, er ist der Grund für die Oldtimer-Ansammlung auf der IAA. Dünkel ist Inhaber und Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Dünkel (Umsatz: 150 Millionen Euro), ansässig in der 8000-Einwohner-Gemeinde Schemmerhofen, südwestlich von Ulm. Die 1996 gegründete Unternehmung bündelt Firmen so unterschiedlicher Branchen wie Kiesverarbeitung (der Ursprung des Unternehmens), Immobilien, Projektentwicklung, Werbung sowie Metallverkleidungen. Hauptsächlich entwickelt und konzipiert Dünkel Immobilien und vermietet oder verkauft sie, etwa an Obi, Lidl oder Norma. Aber seine Leidenschaft sind alte Autos, denn sein Großvater erwarb eine Lizenz zum Geschäft mit Mercedes-Fahrzeugen, sein Vater sammelte die ersten Autos.

Seit 2009 zählt nun auch die Motorworld Group zur Unternehmensgruppe, die sich auf das Entwickeln, Bauen und Betreiben sogenannter Erlebniswelten für Oldtimer spezialisiert hat (Leitspruch: „Raum für mobile Leidenschaft“). Damals eröffnete in Böblingen auf dem ehemaligen Landesflughafen Baden-Württemberg die erste Motorworld. Hier können Interessierte alte Fahrzeuge bestaunen, zur Verfügung gestellt etwa von Händlern wie Arthur Bechtel Classic Motors, aber auch Sportwagen von McLaren und Lamborghini sowie Motorräder von Harley-Davidson. Im vergangenen Jahr eröffnete ein zweiter Standort in Köln; Motorwelten in Berlin, Herten, Metzingen, München und Rüsselsheim werden derzeit fertiggestellt und laufen bereits im Teilbetrieb. Und weil Andreas Dünkel ein umtriebiger Geschäftsmann ist, vermietet er Teile seiner Motorworld-Immobilien auch an Hotels und Gastronomen. Hotels, die an Motorworld-Standorten eröffnen, heißen „V8“. Wer mag, kann dort in Auto-Betten schlafen.

„Gibt bereits zu viele Oldtimer-Messen“

Mit der Messe Frankfurt sei er schon länger im Gespräch gewesen, erzählt Dünkel. Man wünschte sich einen gut vernetzten Oldtimer-Experten, um eine Ausstellung zu organisieren. „Aber da es in Deutschland aus unserer Sicht bereits zu viele Oldtimer-Messen gibt, wollten wir nicht noch eine zusätzliche aufmachen.“ Schließlich sei die Idee aufgekommen, zusammen mit dem Verband der Deutschen Automobilindustrie die IAA um eine Oldtimer-Halle zu erweitern. Diese Lösung halte er „für gelungen“, sagt Dünkel.

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In einem modernen Elektroauto wie dem ID.3 darf natürlich ein entsprechendes Cockpit nicht fehlen. Quelle: Volkswagen

Zumindest in einem Punkt stimmt ihm der schwäbische Oldtimer-Reparateur Torben Pieper zu: „Der Markt für Oldtimer ist übersättigt und war lange überteuert.“ Messen gebe es mehr als genug. Er kenne die recht eigenwillige Kundschaft genau, behauptet er und stützt sich auf eine gewisse Glaubwürdigkeit, schließlich begegne er Oldtimer- und auch Youngtimer-Besitzern beinahe jeden Tag in seiner Werkstatt. Aber die IAA sei nicht der geeignete Ort: „Oldtimer-Fans wollen unter sich sein“, sagt er. „Das ist ihr spezielles Hobby, die wollen entsprechend behandelt werden.“

Pieper verweist auf die Oldtimer-Messe Retroklassik in Stuttgart, auf der seit Jahren auch der Mercedes-Tuner Lorinser seine neumodischen, tiefergelegten Karren ausstelle: „Die werden belächelt von den Klassik-Fans. Die Besucher fragen sich: Was wollen die hier?“ Separierung hin oder her: Er selbst profitiert vom Oldtimer-Boom. Aufträge zu Reparatur und Restauration von Altautos seien konstant hoch, erzählt Pieper: „Weil die Leute ihre Autos mehr fahren.“ 

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ADAC organisiert jährlich 800 Oldtimer-Treffen – doppelt so viele wie vor fünf Jahren

Den wachsenden Trend beobachtet auch der ADAC. Der Verkehrsklub und seine Ortsvereine organisieren heute rund 800 Oldtimer-Veranstaltungen und -Ausfahrten pro Jahr – vor fünf Jahren waren es noch 400. Dieser Anstieg lässt sich zum Teil erklären mit dem natürlichen Wachstum an Oldtimer-Modellen: Jedes Jahr dürfen mehr Fahrzeuge ein H-Kennzeichen tragen, da ihre Erstzulassung 30 Jahre zurückliegt. Knapp 310.000 dieser offiziellen Oldtimer waren 2015 auf den deutschen Straßen unterwegs – heute sind es rund 477.000.

Zudem dürfte es eine Dunkelziffer geben: Seit 1987 ist der Katalysator Pflicht; die allermeisten Oldtimer, die seit 2017 die 30-Jahr-Schwelle erreichen, haben also einen Kat. Dadurch begünstigt, liegt der Steuersatz nun für diese frischeren Oldtimer möglicherweise noch unter jenem, der einheitlich für Oldtimer vorgeschrieben ist. Das dürfte viele Besitzer dazu bewegen, auf die H-Kennzeichnung zu verzichten. Überdies dürfte es zahlreiche Klassiker geben, die in Museen und Sammlungen parken.

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