Nicht vor Ort, aber dennoch das Gesprächsthema Nummer eins: Teslas Truck. Bei der ersten US-Nutzfahrzeugmesse „North American Commercial Vehicle Show“ in Atlanta stellten Truckhersteller – darunter Daimler, Volvo und Navistar – ihre Neuheiten vor. Tesla hingegen mied das Scheinwerferlicht. Dabei ist die Neugier auf den neuen Tesla-Truck bei Kunden, Zulieferern und Wettbewerbern groß.
Mitte November – über sechs Wochen später als geplant – will Gründer Elon Musk das erste Nutzfahrzeug aus dem Hause Tesla vorstellen. Die Präsentation sollte bereits im September stattfinden, wurde aber zuerst auf Ende Oktober, dann nochmals auf den 16. November verschoben. Musk will erst die massiven Produktionsprobleme bei seinem potenziellen Volumenmodell Model 3 in den Griff bekommen.
Glaubt man den Gerüchten, soll das „Beast“, zu Deutsch: Monster, so Musk, eine Reichweite von knapp 500 Kilometern haben. Auch ein elektrischer Pick-up-Truck soll folgen. Perspektivisch plant Musk eine ganze Flotte selbstfahrender Fahrzeuge, die als Roboter-Transporter den Verkehr revolutionieren sollen.
Daimler – mit einem Marktanteil von 39,3 Prozent in der Nafta-Region mit Abstand Marktführer in den Gewichtsklassen sechs bis acht (rund neun bis 36 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht) – gibt sich demonstrativ gelassen. „Ein Start-up braucht Schlagzeilen, um Investoren zu gewinnen“, sagt Martin Daum, Chef der Lkw-Sparte bei Daimler, ohne den neuen Konkurrenten beim Namen zu nennen. Statt wie die E-Visionäre Quantensprünge zu versprechen, setze Daimler auf kontinuierliche und nachhaltige Verbesserungen. „Unsere Kunden verlangen Verlässlichkeit. Dafür stehen wir als Marke“, sagt Daum. Das Lkw-Geschäft sei kompliziert. Das werde auch Tesla noch merken. „Sie sind zwei Schritte hinter uns.“
Neuerungen gibt es bei Daimler dennoch: Daimler erprobt als erster Lkw-Hersteller in den USA den Einsatz von digital gekoppelten Trucks – das sogenannte Platooning – auf öffentlichen Straßen. Die Lastwagen sollen dank der neuen Technik deutlich dichter auffahren können; beträgt der Sicherheitsabstand heute mindestens 50 Meter, sollen die Trucks mit der Daimler-Technik auf 15 Meter aneinander heranfahren können. Dank des Fahrens im Windschatten können bis zu fünf Prozent Benzin gespart werden.
Mit dem Platooning will Daimler Sprit sparen
Beim Platooning kommunizieren die beiden Fahrzeuge, in diesem Fall Lastwagen des Typs Freightliner, per WLAN miteinander und interagieren mit den Fahrerassistenzsystemen, etwa dem Abstandsregeltempomat, dem Spurhalte- und Notbremsassistent. Dadurch, dass die Reaktionszeit des Computers bei gerade einmal 0,2 bis 0,3 Sekunden liegt – und damit weit unter der menschlichen Reaktionszeit von durchschnittlich einer bis zwei Sekunden –, können die Trucks dichter auffahren.
„Langfristig hoffen wir, dass der zweite Fahrer nicht benötigt wird, und etwa schlafen kann, während der Fahrer im Frontfahrzeug die Strecke meistert“, sagt Daum. Sollte diese Vision Wirklichkeit werden, bräuchten die Trucker keine Pausen einlegen, die Fracht wäre schneller am Ziel. Daimler-Ingenieure glauben, bis zu fünf Trucks miteinander koppeln zu können. Doch Lkw-Chef Daum bremst: „Lasst uns erst einmal das System mit zwei Lastwagen perfektionieren. Dann sehen wir weiter.“
Auch in Deutschland erprobt Daimler die Technologie: Auf der A81 in Baden-Württemberg und der A52 in Nordrhein-Westfalen hat der Konzern jeweils die Sondererlaubnis, bis zu drei Lastwagen miteinander zu vernetzen. Bei der ersten Vorstellung des Systems im Frühjahr 2016 zeigte sich der damalige Nutzfahrzeug-Vorstand Wolfgang Bernhard zuversichtlich, das System in wenigen Jahren zur Serienreife bringen zu können.
„Das Koppeln im Verbund können wir auch zeitnah umsetzen“, sagte Bernhard der WirtschaftsWoche. „In diesem Fall geht es aber nicht nur darum, eine Mercedes-Lösung, sondern eine Industrie-Lösung anzubieten. Wir müssen uns mit den anderen Herstellern auf ein gemeinsames Protokoll verständigen, damit sich die Fahrzeuge auch markenübergreifend austauschen können.“ Auch Scania, MAN und Volvo erproben ähnliche Konvoi-Systeme.
Tesla schaut auf eine andere Zielgruppe
Die Arbeit am Platooning zeigt, dass Daimler nicht an wettbewerbsfähige Elektro-Lastwagen in den kommenden Jahre glaubt. Tatsächlich wäre auch Teslas E-Truck mit seiner Reichweite deutlich hinter dem, was die Nutzfahrzeuge heute an Kilometern abreißen. Über 1000 Meilen, also bis zu 1600 Kilometer, können Lkw derzeit über die amerikanischen Highways fahren, ohne zu stoppen. Im Flächenland USA ist Reichweite wichtiger denn je.
Hier wird der Tesla-Truck nicht mithalten können. Offiziell hat sich das kalifornische Unternehmen noch nicht zu Eckdaten wie Reichweite, Nutzlast oder Preis geäußert. Im August zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Scott Perry, Manager des Nutzfahrzeugvermieters und Logistikkonzerns Ryder, mit der Aussage, Tesla werde mit einer Batterieleistung von 200 bis 300 Meilen (320 bis 480 Kilometer) an den Start gehen. Er bezog sich auf Gespräche, die er mit Vertretern von Tesla zu Beginn des Jahres geführt habe.
Damit läge Tesla am unteren Ende der US-Definition von Langstreckenfahrzeugen. Mit den klassischen Semi-Trucks wird der Elektro-Lkw deshalb kaum konkurrieren. Das hat Tesla erkannt und richtet das „Beast“ auf einen anderen Einsatzzweck aus: Den Verteilverkehr auf der Mittelstrecke.
Musk zielt auf eine große Kundengruppe
Gerüchten zufolge verzichtet Tesla sogar auf eine große Kabine mit Schlafplatz. Anstatt irgendwo am Rande eines Highways zu nächtigen, soll der Tesla-Truck offenbar irgendwo im Depot an der Steckdose hängen. Es geht also nicht darum, Waren von Detroit nach San Francisco zu transportieren, sondern eher Häfen oder Bahnhöfe mit großen Verteilzentren zu verbinden oder große Supermärkte zu beliefern.
Wenn Musk seinen Truck mit einer solchen Reichweite liefern kann, könnte er eine große Zielgruppe ansprechen. Laut Sandeep Kar, Chef-Stratege bei Fleet Complete aus Toronto, umfassen rund 30 Prozent aller Lkw-Fahrten in den USA zwischen 100 und 200 Meilen. Das Unternehmen ist darauf spezialisiert, Lkw-Bewegungen zu erfassen und auszuwerten. „Solange Musk die 200 Meilen schafft, kann er seinen Truck als Langstreckenfahrzeug bezeichnen und wird damit recht haben“, so Kar.
Dass es in naher Zukunft einen elektrischen Langstrecken-Lkw mit einer deutlich höheren Reichweite geben wird, halten Forscher aus Kostengründen für unwahrscheinlich. Eine Diesel-Zugmaschine kostet in den USA etwa 120.000 Dollar. Laut den Batterie-Forschern Shashank Sripad und Venkat Viswanathan von der Carnegie Mellon University kosten alleine die Akkus für eine Reichweite von 200 bis 400 Meilen bei ähnlicher Nutzlast so viel wie ein ganzer Diesel-Truck. Batteriegewicht und -eigenschaften würden elektrische Trucks auf rund 300 Meilen limitieren.
Damit hätte Tesla bei den Nutzfahrzeugen die Reichweitenkrone inne. Die Konkurrenz setzt vorerst auf geringere Reichweiten und wiederum eine andere Zielgruppe: den innerstädtischen Transport. Schließlich fragen Großkunden wie UPS die Technik schon jetzt nach. Der Logistiker fürchtet, dass US-Städte, vor allem im öko-freundlichen Kalifornien oder an der US-Ostküste, perspektivisch nur noch Transporter in die Stadt lassen, die keine Schadstoffe ausstoßen. „Die Autoindustrie muss darauf Antworten finden“, heißt es von UPS unmissverständlich.
Die Tesla-Chronik
Zwei Teams um den US-Ingenieur Martin Eberhard und den Milliardär Elon Musk entwerfen die Vision eines Elektrofahrzeugs, das mit Akkus angetrieben wird. Auf der Basis des Prototyps T-Zero. Neben Musk stecken auch die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page und der eBay-Gründer Jeff Skoll Geld in das Projekt.
Drei Jahre arbeitet Tesla am ersten Modell, im Juli 2006 stellt das Unternehmen den Roadster vor. Der zweisitzige Sportwagen auf der Basis des britischen Leichtgewicht-Roadster Lotus Elise verfügt über einen 215 kW (292 PS) starken Elektromotor, der seine Energie aus 6.831 Lithium-Ionen-Notebook-Akkus bezieht.
Im August 2007 tritt der damalige CEO Martin Eberhard zurück, im Dezember 2007 verlässt er das Unternehmen komplett. Am Ende landet der Streit der Gründer fast vor Gericht – bis eine außergerichtliche Einigung erzielt werden kann.
Musks finanzielle Mittel alleine reichen zum Wachstum nicht mehr aus. Mit Daimler und Toyota steigen zwei große Autokonzerne bei Tesla ein. Trotzdem schreibt das Unternehmen weiterhin Millionenverluste.
Lange war der Bau einer eigenen Limousine unter dem Codenamen „WhiteStar“ geplant. Auf der IAA in Frankfurt feiert das Model S, eine 5-sitzige Limousine die Premiere. Anfangs übernimmt Lotus die Fertigung. Ab 2011 wird das Modell in einer ehemaligen Toyota-Fabrik in Freemont gebaut. Pro Jahr werden zunächst 10.000 Modelle gefertigt.
Tesla erhält vom US-Energieministerium einen Kredit über 450 Millionen Dollar. Das Geld investiert das Unternehmen in den Aufbau einer eigenen Fertigung.
Musk wagt den Börsengang. Mit einem Ausgabepreis von 17 Dollar geht der Elektrohersteller in den Handel – und macht den Gründer wieder reich. Über Nacht erreicht erreichen die Anteile von Musk einen Wert von 650 Millionen Dollar, obwohl das Unternehmen bis zu diesem Zeitpunkt noch nie Gewinne gemacht hat.
Tesla veröffentlicht Pläne einen eigenen SUV an den Start zu bringen. Das Model X soll im Sommer 2015 erstmals ausgeliefert werden und die Modellpalette von Tesla erweitern. Am Ende verzögern sich die Pläne, die Produktion des Model X läuft erst im Herbst an – und das nur schleppend.
Endlich schreibt Tesla schwarze Zahlen. Auch den Millionenkredit des Staats zahlt das Unternehmen neun Jahre früher als es nötig gewesen wäre. Mit der Ausgabe neuer Aktien und Anleihen nimmt das Unternehmen rund eine Milliarde Dollar ein. Der Aktienkurs des Unternehmens beläuft sich mittlerweile auf 147 Dollar. Damit ist das Unternehmen an der Börse mehr wert als Fiat.
Im Mai haben die Bauarbeiten in Reno, Nevada, für die weltgrößte Batteriefabrik begonnen. Hier will Tesla nicht nur die Akkus für seine Elektroautos und auch sogenannte "Powerwalls" für den Hausgebrauch montieren, sondern auch die Batteriezellen selbst aus Rohstoffen herstellen. Das Investitionsvolumen beträgt fünf Milliarden Dollar, als Partner ist Panasonic mit im Boot.
Tesla gibt Pläne bekannt, mit dem Model 3 ein kompaktes Auto für den Massenmarkt auf den Markt bringen zu wollen. Der Wagen, der rudimentär erstmals im März 2016 gezeigt wurde, soll rund 35.000 Dollar kosten und soll über eine Reichweite von 320 Kilometern (200 Meilen) verfügen.
Nach der Vor-Premiere des Model 3 im März steht zur Jahresmitte ein weiterer Meilenstein an: In der Gigafactory werden die ersten Batteriezellen gefertigt. Diese sind zwar vorerst für die PowerWall-Heimakkus gedacht, bringen das Unternehmen aber einen Schritt näher an die Massenfertigung des Model 3.
Ende Juni 2017 übergibt Tesla die ersten 30 Model 3 an ihre Besitzer übergeben - allesamt sind Tesla-Beschäftigte. Die ersten 30 von mehr als einer halben Million Vorbestellungen, die Tesla erst einmal lange abarbeiten muss.
Tesla erreicht am 1. Juli das Produktionsziel für seinen Hoffnungsträger Model 3. In den sieben letzten Tagen des zweiten Quartals seien 5031 Fahrzeuge hergestellt worden, teilt der Konzern. Vom Erfolg der Serienfertigung beim Model 3 hängt ab, ob sich Tesla mit seinen 40.000 Beschäftigten vom unrentablen Nischenplayer zum profitablen Hersteller wandeln kann.
Daimler hat die Botschaft verstanden – und UPS den ersten in Serie produzierten, vollelektrischen Lkw, den eCanter, auf den Hof gestellt. Innerhalb der nächsten Jahre plant die Daimler-Tochter Mitsubishi Fuso Truck, insgesamt 500 Lkw an ausgewählte Kunden zu liefern. Die Großserienproduktion ist für 2019 geplant. 100 Kilometer soll der eCanter mit einer Batterieladung fahren können. Nicht viel für einen Transporter, aber ein Anfang. Zumal wenn es darum geht, Pakete und Waren innerhalb einer Stadt zu bewegen. Vor allem aber rechnet sich der E-Truck für den Kunden. Daimler verspricht: Mit dem eCanter lassen sich Betriebskosten in Höhe von 1000 Euro je 10.000 Kilometer im Vergleich zur Dieselvariante einsparen.
Eine Revolution ist das nicht. Aber es sind – sofern verlässlich – deutliche Verbesserungen für den Kunden. Tesla muss mit seinen Trucks im November beweisen, dass sie da mithalten können.