Kampf um Kundenrechte Wie ein Golffahrer vergeblich versuchte, das Software-Problem lösen zu lassen

Volkswagen Golf 8 Quelle: dpa Picture-Alliance

Mitte April 2021 kauft Daniel Meier einen Golf 8. Wenig später gerät das Auto wegen massiver Softwaremängel in die Kritik. Tatsächlich bemerkt Meier schon bald Fehler. Protokoll eines Kampfs um Kundenrechte. 

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Am Ende ist Daniel Meier (Name geändert) richtig geladen: Er sei verärgert, schreibt er der Kundenbetreuung von Volkswagen Mitte Oktober 2021. Ihm fehle jegliches Verständnis. „Für ein Unternehmen, wie es VW vorgibt zu sein, ist es einfach blamabel, wenn nicht fast eine Bankrotterklärung. So kann man mit Kunden, die viel Geld für ein Auto bezahlt haben, nicht umgehen“, poltert er. Er fühle sich nicht ausreichend ernst genommen. „Wieso ist es nach Monaten nicht möglich, den Fehler in meinem Navi zu beheben beziehungsweise eine Erklärung dafür abzugeben, um welchen Fehler es sich handelt und welche Schritte mit Zeitangaben zur Behebung des Mangels vorgesehen sind?“, fragt er. Für VW ist er zu diesem Zeitpunkt bloß eine Vorgangsnummer. Eine von vielen – denn zu diesem Zeitpunkt haben bereits einige Kunden Probleme mit ihren Autos. 

Schon Anfang Juli 2021 hat Meier die Fehler an seinem Navi gemeldet. Damals ist er noch freundlich, bittet um Hilfe: Mehrfach bereits habe er zehn Ziele als Favoriten gespeichert. „Die Vorgehensweise entsprach der Anleitung. Leider sind diese Adressen nach einigen Tagen nicht mehr verfügbar“, teilt er VW mit. Die gleiche Situation ergebe sich bei dem Menü „letzte Ziele“. Er fragt: „Gibt es dafür eine Erklärung, muss das eventuell so sein? … Ich bin Ihnen für eine Hilfestellung dankbar.“ Mit freundlichem Gruß. 

In Deutschland rund 220.000 Fahrzeuge betroffen

Doch auf eine Antwort muss er erstmal warten. Meier schreibt VW erneut: „Wenn das so lange dauert, scheint es mir vielleicht ein größeres Problem. Oder?“ Er soll Recht behalten. Mitte Dezember beordert VW „wegen der anhaltenden Software-Probleme beim Golf 8„ alle Fahrzeuge des neuen Modells freiwillig in die Werkstätten. Es ist kein offizieller Rückruf, aber trotzdem soll dort ein großes Software-Update aufgespielt werden, um Anwendungen wie Navigation und Sprachbedienung zu verbessern, sagt ein Konzern-Sprecher. Allein in Deutschland sind rund 220.000 Fahrzeuge betroffen.  

Lesen Sie auch: Wenn die Software in Volkswagens Golf 8 durchdreht

In der Tat gab es mit dem Auto größere Probleme. Ein Rechtsanwalt etwa least einen Golf 8 – und erlebt Erstaunliches. Das Auto beschleunigt selbstständig, bremst plötzlich ab oder schaltet die Mediaanlage von alleine ein. Dem Anwalt gelingt schließlich die Rückgabe – er hat erfolgreich auf den Rücktritt vom Leasingvertrag geklagt. Die WirtschaftsWoche berichtete hier.    

So weit wie bei dem Anwalt, dessen Auto sich teils selbstständig macht, gehen die Probleme bei Meiers Auto nicht. Sicher – auch sein Golf erkennt mal ein Verkehrsschild nicht. Aber ernste Probleme macht nur das Navi. Anfangs klingt VW noch recht optimistisch. Mitte Juli meldet der Autobauer über seinen Kundenservice „We Connect Support“, dass „nach derzeitigem Stand der Analyse eine Lösung für die von Ihnen gemeldeten Einschränkungen bei der Nutzung der „We Connect“ Dienste verfügbar“ sei. Meier soll zu einem Volkswagen-Partner fahren, er sucht sich eine Werkstatt in Brandenburg aus. 

Doch leider ist sein Fall nach dem Besuch der Werkstatt nicht gelöst. Mitte August meldet Meier: Das Fahrzeug habe zwar ein Update erhalten. Doch: „Am gestrigen Abend habe ich vier Adressen als Favoriten eingegeben und gespeichert, heute Morgen sind diese leider nicht mehr vorhanden.“ Das gleiche gelte für seine Privatadresse. „Wie soll es mit der Fehlerbehebung nun weitergehen?“, fragt er VW und teilt mit, dass er Mitte September in den Urlaub fahre. Bis „spätestens dahin“ hätte er gerne „ein einwandfrei funktionierendes Navigationsgerät“.

VW will nun Fotos und Videos als Beweis

Doch Volkswagen kommt dem Wunsch nicht nach. Stattdessen fordert der We Connect Support nun etwas von Meier: Fotos oder vorzugsweise ein Video, welches dokumentiert, dass Ziele eingegeben aber nicht gespeichert werden. „Diese werden zur weiteren Problemanalyse benötigt.“ Meier ist außer sich: Der Wunsch nach Fotos sei ihm total unverständlich. „Was soll ich fotografieren, den leeren Bildschirm?“ Langsam verliert er die Geduld.

Die VW-Botschaften an Meier fallen aus seiner Sicht immer verwirrender aus.  Eine Mitarbeiterin habe ihn angerufen und telefonisch darüber informiert, „dass das von mir beauftragte Autohaus über die weiteren Schritte der Fehlerbehebung informiert wurde“. Doch bei einem Telefonat mit einem Mitarbeiter der Werkstatt habe ihm dieser erklärt, dass ihm „keine weiteren Angaben zur Lösung des Problems vorliegen.“ Meier solle in 14 Tagen noch einmal nachfragen. Dem Support schreibt er nun böse Mails: Er sei „inzwischen sehr verärgert. Ich werde das Gefühl nicht los, zwischen den Häusern Wolfsburg und Autohaus (…) vertröstet zu werden, ohne dass etwas in Sachen Mängelbeseitigung passiert.“ Er sei nicht mehr bereit, „Spielball der Instanzen“ zu sein. 

In seiner Verzweiflung wendet er sich an den Verkäufer des Autos: „Inzwischen finde ich, macht sich VW in der Art und Weise der Bearbeitung dieser Reklamation lächerlich. So stellt man keine Kundenzufriedenheit her.“ Könne er als sein Verkäufer vielleicht Einfluss nehmen? Und er schreibt dem We Connect Support erneut: „Warum wird das Navi nicht ausgetauscht? Offenbar liegt der Fehler ja wohl nicht bei der Software, sonst müsste es ja jetzt einwandfrei funktionieren.“ 

Zuerst meldet sich der Verkäufer des Autos: Er telefoniere heute Mittag mit einem ihm bekannten Ansprechpartner. „Ich hoffe, dass dieser die Angelegenheit an der richtigen Stelle unterbringen kann. Es tut mir persönlich sehr leid für Sie.“ 

Ende August schreibt Meier in seiner Verzweiflung dann sogar der Volkswagen Bank: „Ich werde weiter vertröstet, bekomme keine konkrete Terminangabe sondern lediglich den Hinweis: „Der Hersteller arbeitet mit Hochdruck an einer Lösung“. Bisher habe er lediglich standardisierte Formbriefe erhalten.

Plötzlich soll der Importeur entscheiden. Der wer?

Das lustige Spiel geht weiter. Anfang September meldet sich der We Connect Support wieder: „Wir haben Ihre Werkstatt damit beauftragt, Kontakt mit dem Importeur aufzunehmen. Diese entscheiden ob der Austausch des Steuergerätes erfolgen muss. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte Ihre Werkstatt.“

Meier versteht die Welt nicht mehr. Er schreibt der Werkstatt, denn ihm ist nicht klar, weshalb eine Antwort vom „Importeur“ so lange braucht. Wo sind die Schwierigkeiten? Der Mitarbeiter antwortet ausnahmsweise umgehend: Seine neue Anfrage habe keine neuen Erkenntnisse gebracht. „Ich kann Ihnen das Schreiben von We Connect nicht beantworten.“

Wie solle er, Meier, das Schreiben von WeConnect verstehen, wenn selbst die Werkstatt damit ein Problem habe, fragt er? Antwort: „Es wird mit Hochdruck an einer Lösung gearbeitet! Nur leider kann ich ohne Freigabe noch nichts machen! Ich hoffe ich kann Ihnen zeitnah helfen!“ 

„Von Ihnen geschilderte Beanstandung vereinzelt bekannt“

Am 13. Oktober 2021 schreibt die Volkswagen Kundenbetreuung aus Wolfsburg. Sie entschuldigt sich. „Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie erwarten, dass unsere Fahrzeuge hohen Ansprüchen genügen.“ Der Kunde solle jedoch versichert sein, „dass Qualität bei uns nach wie vor an erster Stelle steht“. Und dann, endlich: Meier ist nicht alleine! „Uns ist die von Ihnen geschilderte Beanstandung vereinzelt bekannt. Derzeit arbeiten wir mit Hochdruck an einer Abhilfemaßnahme. Wir sind zuversichtlich, dass in absehbarer Zeit mit einer Kundendienstlösung zu rechnen ist. Ein genaues Einsatzdatum können wir Ihnen noch nicht nennen und bitten Sie deshalb noch um ein wenig Geduld.“  

„Allgemeinplätze ohne jegliche Aussagekraft“

Meier ist gereizt, er antwortet, dass man „sicher verstehen“ werde, dass ihn der Inhalt sehr überrascht, „besser gesagt, verärgert hat“. VW liefere „Allgemeinplätze ohne jegliche Aussagekraft“. Zum ersten Mal denkt er nun an eine Rückgabe des Autos – und will von VW wissen, wie man die samt einer Erstattung des Kaufpreises umsetzten kann. Er sei nicht länger bereit, diese Art und Weise der Bearbeitung seiner Reklamation hinzunehmen. Er werde zwischen „der VW-Kundenbetreuung (schon ein sehr fragwürdiger Name), der VW-Werkstatt und dem VW Verkaufshaus wie ein Ping-Pong-Ball hin- und hergeschoben. Keiner kann oder will sich äußern oder aber ernsthaft um das Problem kümmern.“ 

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Dann geht plötzlich alles erstaunlich schnell: Volkswagen schreibt, dass sich Meier an den Verkäufer des Neuwagens wenden müsse. Der verfüge über alle zur Klärung des Wunsches nach Rücktritt vom Kaufvertrag notwendigen Unterlagen. Und dann passiert etwas, mit dem Meier nicht gerechnet hätte: Er wendet sich an den Händler, bekommt kurz darauf Formulare zur Rückabwicklung -  und einen Termin zur Abgabe seines Autos. Es dauert nicht lange, dann bekommt Meier Geld von VW zurück. Nur knapp 2100 Euro muss er selber tragen, weil er das Auto genutzt hat. Der abzuziehende Betrag hängt auch davon ab, wie viele Kilometer ein Kunde gefahren ist. „Die Rückabwicklung war viel einfacher als die Reklamation des kaputten Navis“, sagt Meier. 

Möglichkeit zum Rücktritt vom Kaufvertrag

Grundsätzlich, so Volkswagen, bestehe im konkreten Einzelfall beim Golf 8 – wie bei jedem anderen Modell auch – unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit des Rücktritts vom Kaufvertrag. „Die entsprechende Prüfung des Einzelfalls erfolgt durch den jeweiligen Vertragspartner – in der Regel ist das der verkaufende Volkswagenhändler. Bei einem zurückgenommenen Fahrzeug werden potentielle Fehler behoben, und das Auto wird im Anschluss weitervermarktet.“

Meier hat sich nun einen Tesla gekauft. Sein Model 3 fahre sich super, sagt er. Ein paar Kurzurlaube habe der Wagen schon hinter sich. Volkswagen dürfte das nicht so gerne hören. 

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