Nach dem Vorwurf eines möglichen Autokartells ruft Europas größter Autobauer Volkswagen außerplanmäßig seine Aufsichtsräte zusammen. Wie ein Sprecher von Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch am Montag auf Anfrage erklärte, hat Pötsch vor dem Hintergrund der aktuellen Lage kurzfristig zu einer außerordentlichen Sitzung des Kontrollgremiums eingeladen. Diese sei für Mittwoch angesetzt. Dem Vernehmen nach soll es am Mittwochnachmittag um die Kartellvorwürfe gehen, über die der „Spiegel“ berichtet hatte.
Derweil erhöht sich der Druck auf die deutschen Autobauer, die schweren Vorwürfe möglichst rasch aufzuklären. Sowohl aus dem Gewerkschaftslager und von Betriebsräten als auch aus Politik und Forschung mehren sich entsprechende Stimmen.
So forderte der Betriebsrat von Daimler Aufklärung rund um die Vorwürfe. „Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung“, sagte Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht, der auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Stuttgarter Dax-Konzerns ist, am Montag auf Anfrage. „Es ist eindeutig, dass danach Konsequenzen gezogen werden müssen“, fügte er an. Wie diese aussehen, könne noch nicht beurteilt werden
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann fordert die Branche in der „Welt“ (Montag) zu Transparenz auf: „Wir verlangen eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären.“ Der Gewerkschafter ist auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrats.
Der „Spiegel“ hatte zuvor über ein angebliches Autokartell berichtet. Demzufolge sollen Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler sich schon seit den 90er Jahren gemeinsam über Technik, Kosten und Zulieferer verständigt haben. Die EU-Kommission prüft Hinweise dazu. Es könnte auch eine Verbindung zu Diesel-Affäre geben, falls es Absprachen über zu kleine Tanks für AdBlue gegeben haben sollte. Dieser Stoff kann Stickoxide aus Abgasen effizienter entfernen.
Treffen die Vorwürfe zu, steht illegales Kartellverhalten im Raum. Damit können etwa Preise gegenüber Kunden künstlich hoch gehalten oder gegenüber Zulieferern gedrückt werden. Daimler sprach von „Spekulationen“, VW-Chef Müller in der „Rheinischen Post“ von „Sachverhaltsvermutungen“. BMW stellte mit Blick auf die AdBlue-Tanks jedoch klar: „Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück.“
Die Grünen verlangen ein Sondertreffen des Verkehrsausschusses im Bundestag. Beantragt werde „eine kurzfristig einzuladende Sondersitzung für Ende Juli“, kündigte Verkehrsexperte Oliver Krischer an. Man wolle so Klarheit über die möglichen „Machenschaften des Autokartells“ bekommen, die - sollten sie sich bestätigen - „ungeheuerlich“ seien. SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann sprach von einer größeren Dimension der Abgasaffäre als bisher bekannt.
FDP-Chef Christian Lindner nannte den Verdacht schockierend. „Sollte sich der Kartell-Verdacht erhärten, darf diese Aushebelung marktwirtschaftlicher Prinzipien nicht folgenlos bleiben.“ Der Umweltverband BUND forderte „ein sofortiges Verkaufsverbot für alle Pkw, welche Grenzwerte auf der Straße nicht einhalten“. Autoexperte Stefan Bratzel bekräftigte, „dass in großen Teilen der Autoindustrie ein ethisch-organisatorischer Kulturwandel stattfinden muss“.
Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt
Der Verdacht gegen große deutsche Autobauer, ein Kartell gebildet zu haben, wiegt schwer. Sollte es zutreffen, dass sich - wie der „Spiegel“ am 21. Juli 2017 berichtet - Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre untereinander unter anderem über Technik und Kosten absprachen, wäre dies ein neuer, aufsehenerregender Fall. Der Kampf der Wettbewerbshüter für mehr Markttransparenz ist im 60. Jahr des deutschen Kartellrechts aktueller denn je. Zentrales Thema des Bundeskartellamts mit seinem Chef Andreas Mundt ist der Schutz der Verbraucher. Neben der Wettbewerbsaufsicht zählen auch noch die Fusionskontrolle sowie die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen zu den Aufgaben der Behörde.
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Definiert ist es als Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleiben, aber etwa durch Preisabsprachen den Wettbewerb ausschalten. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel des Bundeskartellamts, den Wettbewerb gegen jede Beschränkung zu schützen. Dabei kann es um rechtswidrige Absprachen über Preise zwischen einzelnen Unternehmen oder in ganzen Branchen gehen. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Kartelle den Wettbewerb aushebeln und damit den „Motor der Marktwirtschaft“ zum Schaden von Kunden und Verbrauchern zum Stottern bringen. Dies kann etwa durch künstlich hoch gehaltene Preise oder beschränkte Mengen geschehen.
Kartellstrategien werden in der Regel im Geheimen besprochen, sie sind daher nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Bei seinen Ermittlungen ist das Bundeskartellamt daher weitgehend auf Hinweise von Eingeweihten angewiesen. Auf ihrer Internet-Seite fordert die Behörde offensiv: „Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Hinweise auf illegale Absprachen haben!“ Dabei werden auch anonyme Hinweise telefonisch oder schriftlich entgegengenommen. Eine Rückverfolgung derartiger Hinweise ist dabei technisch ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu kommen eigene Ermittlungen etwa auf der Grundlage anderer Verfahren, wenn die Verhältnisse in einem Markt verdächtig scheinen.
An einem Kartell Beteiligte haben so die Chance, im günstigsten Fall durch die sogenannte Kronzeugenregelung straffrei zu bleiben. Etwa jedes zweite Verfahren wird so ins Rollen gebracht. Derartige Anträge können jedoch nicht anonym gestellt werden. Es gilt dabei eine abgestufte Bonusregelung: Nur wer sich offenbart, bevor auch nur der leiseste Anfangsverdacht besteht, kann auf die vollen 100 Prozent hoffen. Eine spätere Kooperation wird nur noch mit abgestuften Abschlägen an einem späteren Bußgeld honoriert.
Das Bundeskartellamt verhängt Bußgelder, es vertritt aber nicht die möglichen Schadenersatz-Forderungen von Betroffenen. Kartell-Geschädigte müssen ihre Ansprüche daher in separaten Verfahren notfalls vor Gericht durchsetzen. Dabei steigen die Chancen jedoch deutlich, wenn die Wettbewerbsbehörde zuvor ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet und vielleicht schon abgeschlossen hat.
Das Bundeskartellamt ermittelt in den unterschiedlichsten Branchen. In der jüngsten Zeit hatten unter anderem Verfahren gegen Zuckerhersteller und Bierbrauer für Schlagzeilen gesorgt. Aber auch Autozulieferer sind ins Visier der Bonner Kartellwächter geraten.
Sowohl Wirtschafts- als auch Verkehrsministerium betonten, sie hätten erst am Freitag von den Kartellvorwürfen gehört. Die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums sagte, sie könne sich nicht vorstellen, dass die Vorwürfe beim Treffen des "Nationalen Forums Diesel" Anfang August keine Rolle spielen würden. Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, es sei jetzt Sache der Kartellbehörden, den Sachverhalt aufzuklären. Klar sei, dass die Autoindustrie wichtig für Deutschland sei
Dabei wird wohl die Wettbewerbsbehörde der EU-Kommission und nicht das Bundeskartellamt die Untersuchungen zum Verdacht illegaler Absprachen unter deutschen Autoherstellern federführend vorantreiben. Sowohl dem Bundeskartellamt als auch der EU-Kommission lägen Informationen "zu möglichen Absprachen im technischen Bereich zwischen deutschen Autoherstellern" vor, teilte die Bonner Behörde am Montag mit. Im Bereich des Kartellrechts innerhalb der EU führe aber entweder das Bundeskartellamt oder Brüssel ein Kartellverfahren. Dabei arbeiteten beide Behörden eng zusammen. "Eine Verfahrenseinleitung durch das Bundeskartellamt zum derzeitigen Zeitpunkt kommt daher nicht in Betracht", unterstrich die Bonner Behörde.
Auch am Aktienmarkt sorgen die Kartellvorwürfe für Unruhe. Die Aktien von BMW, Daimler und VW verloren bis zu 3,3 Prozent. "Die möglichen finanziellen Belastungen – Strafzahlungen, Schadensersatz etc. – lassen sich auf Basis der aktuell vorliegenden Informationen nicht abschätzen", schrieb DZ Bank-Analyst Michael Punzet in einem Kommentar. Die Aktien der Autobauer seien zwar teilweise günstig, abhängig vom Nachrichtenfluss müsse in den kommenden Wochen aber mit kräftigen Kursausschlägen gerechnet werden.