
Noch sprechen die Autobauer angesichts des Kartellverdachts zwar von Spekulationen – doch Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB hat bereits versucht, ihn zu berechnen: den möglichen Schaden. Auf drei bis fünf Milliarden Euro kalkuliert er die Strafzahlungen „für alle deutschen Pkw-Hersteller“.
Nimmt man mögliche Schadensersatzforderungen von Zulieferern und Autokäufern sowie den Imageschaden hinzu, könnte der Schaden „den Wert zehn Milliarden Euro sogar übersteigen“.
Das wären Peanuts gemessen an dem, was die EU-Kartellbehörde rechnerisch dürfte. Weist die EU den deutschen Herstellern ein Kartell nach, kann sie ein Bußgeld von bis zu zehn Prozent des Umsatzes aus dem vorangegangenen Geschäftsjahr verlangen. Im Jahr 2016 waren das für den Volkswagen-Konzern samt Audi und Porsche sowie für BMW und Daimler satte 465 Milliarden Euro – zwar schöpft die EU-Kommission den Spielraum bei den Strafen selten aus, zweistellige Milliardenbußgelder wären aber drin.
Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt
Der Verdacht gegen große deutsche Autobauer, ein Kartell gebildet zu haben, wiegt schwer. Sollte es zutreffen, dass sich - wie der „Spiegel“ am 21. Juli 2017 berichtet - Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre untereinander unter anderem über Technik und Kosten absprachen, wäre dies ein neuer, aufsehenerregender Fall. Der Kampf der Wettbewerbshüter für mehr Markttransparenz ist im 60. Jahr des deutschen Kartellrechts aktueller denn je. Zentrales Thema des Bundeskartellamts mit seinem Chef Andreas Mundt ist der Schutz der Verbraucher. Neben der Wettbewerbsaufsicht zählen auch noch die Fusionskontrolle sowie die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen zu den Aufgaben der Behörde.
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Definiert ist es als Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleiben, aber etwa durch Preisabsprachen den Wettbewerb ausschalten. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel des Bundeskartellamts, den Wettbewerb gegen jede Beschränkung zu schützen. Dabei kann es um rechtswidrige Absprachen über Preise zwischen einzelnen Unternehmen oder in ganzen Branchen gehen. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Kartelle den Wettbewerb aushebeln und damit den „Motor der Marktwirtschaft“ zum Schaden von Kunden und Verbrauchern zum Stottern bringen. Dies kann etwa durch künstlich hoch gehaltene Preise oder beschränkte Mengen geschehen.
Kartellstrategien werden in der Regel im Geheimen besprochen, sie sind daher nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Bei seinen Ermittlungen ist das Bundeskartellamt daher weitgehend auf Hinweise von Eingeweihten angewiesen. Auf ihrer Internet-Seite fordert die Behörde offensiv: „Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Hinweise auf illegale Absprachen haben!“ Dabei werden auch anonyme Hinweise telefonisch oder schriftlich entgegengenommen. Eine Rückverfolgung derartiger Hinweise ist dabei technisch ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu kommen eigene Ermittlungen etwa auf der Grundlage anderer Verfahren, wenn die Verhältnisse in einem Markt verdächtig scheinen.
An einem Kartell Beteiligte haben so die Chance, im günstigsten Fall durch die sogenannte Kronzeugenregelung straffrei zu bleiben. Etwa jedes zweite Verfahren wird so ins Rollen gebracht. Derartige Anträge können jedoch nicht anonym gestellt werden. Es gilt dabei eine abgestufte Bonusregelung: Nur wer sich offenbart, bevor auch nur der leiseste Anfangsverdacht besteht, kann auf die vollen 100 Prozent hoffen. Eine spätere Kooperation wird nur noch mit abgestuften Abschlägen an einem späteren Bußgeld honoriert.
Das Bundeskartellamt verhängt Bußgelder, es vertritt aber nicht die möglichen Schadenersatz-Forderungen von Betroffenen. Kartell-Geschädigte müssen ihre Ansprüche daher in separaten Verfahren notfalls vor Gericht durchsetzen. Dabei steigen die Chancen jedoch deutlich, wenn die Wettbewerbsbehörde zuvor ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet und vielleicht schon abgeschlossen hat.
Das Bundeskartellamt ermittelt in den unterschiedlichsten Branchen. In der jüngsten Zeit hatten unter anderem Verfahren gegen Zuckerhersteller und Bierbrauer für Schlagzeilen gesorgt. Aber auch Autozulieferer sind ins Visier der Bonner Kartellwächter geraten.
Dabei gilt: Je länger das Kartell tagte, desto höher die Strafe. Sollte die Kommission Beweise finden, dass die Autohersteller tatsächlich mehr als zwei Jahrzehnte lang gekungelt haben, so würde dies teuer.
Unklar ist, wie hart es Daimler treffen könnte. Einerseits soll der Konzern mit seiner angeblichen Selbstanzeige schneller gewesen sein als Volkswagen. Andererseits hat die Kommission den Schwaben schon im vergangenen Jahr für die Beteiligung an einem Lkw-Kartell eine Geldbuße von einer Milliarde Euro auferlegt. Die Richtlinien der EU sehen saftige Aufschläge für Wiederholungstäter vor. Dies würde erklären, warum Daimler sich neben Volkswagen offenbar auch selbst bezichtigt hat. Kronzeugen können nach EU-Recht darauf hoffen, dass ihnen die Strafe erlassen wird – allerdings gilt das für den, der am schnellsten ist. Beim Lkw-Kartell waren die Schwaben eine halbe Stunde langsamer als MAN, heißt es in Brüssel. Der Strafnachlass betrug nur noch 30 Prozent.
Doch Kartellstrafen sind nicht die einzigen Mehrkosten, die den Autobauern drohen.
Zulieferer könnten die Autobauer nicht nur auf Schadensersatz verklagen, etwa, wenn sich die Hersteller bei den Preisen für Bauteile abgesprochen haben sollten –, sondern die Teile könnten demnächst auch mehr kosten. Der Grund: Wird das Kartell aufgelöst, ist der Wettbewerb wieder in Kraft. Dann sollte kein Hersteller mehr wissen, welche Pläne die anderen haben. Kauften alle den gleichen Tank, würde dieser nur ein Mal entwickelt, häufiger produziert und er wäre billiger.
Künftig aber müsste jeder Autobauer selber festlegen, welche Teile welche technischen Voraussetzungen haben sollen – „das kann zu zusätzlichem Aufwand in der Entwicklung führen, was wiederum einzelne Bauteile verteuern kann“, sagt ein Zulieferer. Folge: Auch die Autos könnten teurer werden – falls die Hersteller diese Kosten an ihre Kunden weitergeben. Falls nicht, sinken die Margen.Ein Problem sehen viele Investoren vor allem im Verlust von Vertrauen und Reputation. „Der Skandal ist die beste Werbung für die Teslas dieser Welt und ein toller Wegbereiter für die Elektromobilität – nur leider nicht für die der betroffenen Hersteller“, sagt Schwope. Stimmen die Kunden tatsächlich mit den Füßen ab und kaufen Autos anderer Hersteller oder gar keins mehr, setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang. In diesem Fall drohen hohe Abschreibungen, die eins zu eins auf den Gewinn durchschlagen. Jeder Euro, der abgeschrieben wird, bedeutet einen Euro weniger Gewinn.
Solche Risiken drohen auch den Banktöchtern der Autokonzerne. Verleast der Autobauer ein Fahrzeug, wird das meist über deren Autobanken finanziert. Schon bei Vertragsabschluss wird kalkuliert, zu welchem Wert der Wagen nach drei Jahren zurück zum Hersteller geht. Das Problem: Fahrverbote für Diesel stehen zur Debatte, die Autopreise purzeln. Liegt der aktuelle Marktpreis für ein Auto tiefer als kalkuliert, muss die Bank die Differenz abschreiben. Arndt Ellinghorst, Chef der globalen Auto-Analyse von Evercore ISI in London, hat in einer Modellrechnung kalkuliert, wie die Autobauer bei einem Rückgang der Restwerte für Diesel um fünf Prozent belastet würden. Auf Volkswagen käme dann mit 540 Millionen Euro die größte Belastung zu.
Doch auch die nötigen Abschreibungen für BMW und Daimler lägen jeweils um die 300 Millionen Euro. „Eine deutlich negative Entwicklung der Diesel-Restwerte war aus unserer Sicht nicht zu erkennen“, sagt Volkswagen dazu. Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche sieht keinen Preisverfall. Doch: Ein gebrauchter Benziner ist derzeit nach drei Jahren noch 56,4 Prozent des Listenneupreises wert. Daran hat sich seit Jahresbeginn praktisch nichts geändert. Bei Dieselfahrzeugen geht es dagegen abwärts, knapp einen Prozentpunkt zwischen Januar und Mai, nach Schätzung vom Marktforscher DAT, einer Gesellschaft der Verbände der Autohersteller.
Ein weiteres Problem: Die Hersteller haben ihre Entwicklungskosten in der Bilanz aktiviert und schreiben diese über Jahre ab. Werden weniger Dieselfahrzeuge verkauft, müssen die Entwicklungskosten schneller als geplant abgeschrieben werden, auch hier drohen Einbußen beim Unternehmensgewinn.