
Ein Gedankenspiel: Angenommen, Sie haben sich mit Freunden in der Stadt zum Sonntagsbrunch verabredet. Sie gehen aus dem Haus und wollen in die Straßenbahn um die Ecke steigen, das Ticket kostet Sie 2,70 Euro. Die Fahrt würde eine Viertelstunde dauern, danach müssten Sie noch fünf Minuten laufen. Vor Ihrem Haus parkt ein blau-weißer Smart von Car2Go. Der Mitgliedsausweis für das Carsharing steckt in Ihrem Portemonnaie. Eine Fahrt zum vier Kilometer entfernten Lokal würde rund sechs Euro kosten. Es beginnt zu nieseln. Nehmen Sie das Car2Go-Auto oder fahren Sie Bahn?
Vielleicht entscheiden Sie sich aus Prinzip für die ökologische Straßenbahn. Doch Sie könnten auch das Auto wählen – vor allem dann, wenn Sie wüssten, dass neben ihrem Brunch-Lokal ein freier Stellplatz für Carsharing-Autos reserviert ist. Und das könnte bald passieren.
Ob Carsharing die Emissionen senkt ist fraglich
Anhängern des Klimaschutzes bereitet dieser Gedanke Kopfschmerzen. Zwar hat sich Carsharing in den Großstädten schon längst einen Platz im Nahverkehr erobert. Doch fraglich ist, ob durch das Teilen von Autos die Emissionen von Kohlendioxid wirklich sinken, weil die Leute weniger fahren. Oder ob Carsharing das klimaschädliche Autofahren sogar fördert, weil die Nutzer gerade dazu animiert werden. Eine Studie, die der WirtschaftsWoche vorliegt, rechnet mit Mehrverkehr und unerwünschten Verdrängungseffekten. Sie rückt das Carsharing in eine Rechtfertigungsecke, just zu einer Zeit, in der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt neue Privilegien für Carsharing-Modelle plant.
Wie sich Carsharing auf die Nutzung anderer Verkehrsmittel auswirkt
29 Prozent der Carsharing-Nutzer fahren seltenere mit einem Mietwagen als früher.
Quelle: Berylls Strategy Advisors, MM Customer Strategy
28 Prozent der Carsharing-Nutzer fahren seltener mit dem Taxi als zuvor.
Den Regionalzug benutzen 22 Prozent der Carsharing-Nutzer seltener.
15 Prozent der Nutzer von Carsharing-Angeboten fahren seltener mit Bus und Straßenbahn.
15 Prozent der Carsharing-Nutzer benutzen seltener das eigene Auto
Seltener mit dem Fernzug fahren zwölf Prozent der Carsharing-Nutzer
Dafür fahren drei Prozent der Carsharing-Nutzer öfter mit dem Fahrrad.
Quelle: Berylls Strategy Advisors, MM Customer Strategy
Neben den klassischen Anbietern wie Cambio, Stattauto und Flinkster, bei denen die Mitglieder feste Stationen ansteuern, locken Autohersteller wie BMW (DriveNow), Daimler (Car2Go) und Citroën (Multicity) zur One-Way-Fahrt, nach der die Autos überall im Stadtgebiet abgestellt werden können. Deutschland gilt bereits als der differenzierteste Carsharing-Markt der Welt mit mehr als 150 Anbietern und mehr als einer Million Nutzern. Täglich kommen 1000 Neukunden hinzu.
Doch die ökologischen Effekte sind durchaus zwiespältig. Die Experten der Münchner Beratungen Berylls Strategy Advisors und MM Customer Strategy haben 1900 Führerscheinbesitzer nach ihrem Nutzungsverhalten befragt. „Carsharing hat negative Auswirkungen auf alle Mobilitätsanbieter“, sagt Markus Müller-Martini, Geschäftsführender Gesellschafter bei MM und Autor der Studie. Taxis, Autovermietungen, Busse und Bahnen geraten unter Druck.
Die Carsharing-Angebote im Überblick
Zahl der Fahrzeuge: mehr als 3100
Verbreitung: 140 Städte
Fahrzeugtypen: viele
Carsharing-Typ: stationär
Kosten pro km: 18–20 Cent
Sonstige Kosten: 1500 Euro Selbstbeteiligung, bei Unfall, Reduktion gegen Aufpreis möglich
Zahl der Fahrzeuge: 2000
Verbreitung: 100 Städte
Fahrzeugtypen: 25 verschiedene
Carsharing-Typ: stationär
Kosten pro km: ab 18 Cent
Sonstige Kosten: regional verschieden
Zahl der Fahrzeuge: mehr als 1.500 (herstellerübergreifend)
Verbreitung: deutschalndweit
Fahrzeugtypen: verschieden
Carsharing-Typ: Peer-to-Peer
Kosten pro km: Tagespauschale
Sonstige Kosten: keine Angabe
Zahl der Fahrzeuge: 800
Verbreitung: Berlin, Hamburg, München, Frankfurt am Main, Gelsenkirchen, Bochum, Essen, Dortmund, Herten, Recklinghausen, Bottrop
Fahrzeugtypen: Kia Rio, Toyota Yaris
Carsharing-Typ: stationär
Kosten pro km: ab 22 Cent
Sonstige Kosten: 1000 Euro Selbstbeteiligung bei Unfall - kann aber auf Null Euro reduziert werden, wenn man pro Stunde 75 Cent zusätzlich zahlt oder maximal 7,50 Euro am Tag.
Zahl der Fahrzeuge: 3500
Verbreitung: Berlin, Hamburg, München, Stuttgart, Düsseldorf, Köln, Ulm, Frankfurt
Fahrzeugtypen: Smart, Smart e-Drive
Carsharing-Typ: flexibel
Kosten pro km: 29 Cent pro Minute
Sonstige Kosten: 500 Euro Selbstbeteiligung bei Unfall, Reduktion gegen Aufpreis möglich
Zahl der Fahrzeuge: 2950
Verbreitung: München, Berlin, Köln, Düsseldorf, Hamburg, Wien, San Francisco
Fahrzeugtypen: BMW 1er, BMW X1, BMW ActiveE, MINI, MINI Cabrio, MINI Clubman, MINI Countryman
Carsharing-Typ: flexibel
Kosten pro km: ab 24 Cent pro Minute
Sonstige Kosten: 750 Euro Selbstbeteiligung bei Unfall, Reduktion gegen Aufpreis möglich
Zahl der Fahrzeuge: 350
Verbreitung: Berlin
Fahrzeugtypen: Citroen C-zero (elektro)
Carsharing-Typ: flexibel
Kosten pro km: 28 Cent
Sonstige Kosten: 500 Euro Selbstbeteiligung bei Unfall, Reduktion gegen Aufpreis möglich
Zahl der Fahrzeuge: 280
Verbreitung: 21 Städte
Fahrzeugtypen: Kompaktklasse, Vans
Carsharing-Typ: stationär
Kosten pro km: 10 Cent plus Benzin
Sonstige Kosten: 1000 Euro Selbstbeteiligung bei Unfall, Reduktion gegen Aufpreis möglich
Zahl der Fahrzeuge: 200
Verbreitung: Hannover
Fahrzeugtypen: VW Golf
Carsharing-Typ: stationär
Kosten pro km: 20 Cent
Sonstige Kosten: 100 Euro Selbstbeteiligung bei Unfall, Reduktion gegen Aufpreis möglich
Zahl der Fahrzeuge: keine Angabe
Verbreitung: deutschlandweit
Fahrzeugtypen: alle Peugeot-Modelle
Carsharing-Typ: bei Händlern
Kosten pro km: ab 33 Cent
Sonstige Kosten: keine Angaben
Wachstum geht zulasten staatlich subventionierter Verkehrsmittel
Heikel ist vor allem, dass das Wachstum im Carsharing zulasten des mit mehreren Milliarden Euro subventionierten Nahverkehrs geht. Zwar fahren sieben Prozent der befragten Carsharing-Nutzer häufiger mit Bus und Bahn als vorher, doch 22 Prozent geben an, weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Auch das Taxigewerbe leidet. „Es drohen deutliche Kannibalisierungseffekte auch zulasten des öffentlichen Nahverkehrs“, sagt Müller-Martini. „Das birgt Sprengstoff für die Diskussion auf kommunaler Ebene, ob eine Stärkung von Carsharing wünschenswert ist.“
Die Städte beobachten das Vorhaben des Verkehrsministers, Carsharing zu privilegieren, daher kritisch. Grundsätzlich begrüßen sie zwar, dass der Minister endlich Rechtsklarheit schafft. Die aktuelle Gesetzeslage etwa verbietet Vorteile für private Autos im öffentlichen Raum. Dobrindt will das ändern und den Kommunen die Möglichkeit geben, separate Carsharing-Parkplätze auszuweisen und die Autos von Parkgebühren zu befreien. Ein Entwurf zum Carsharing-Gesetz werde derzeit „finalisiert“, heißt es im Verkehrsministerium.