Seit neun Uhr morgens sitzt Ralf Berger in einem Hotelzimmer bei Frankfurt. Er schwitzt, behält das Jackett aber an und ringt um Haltung. Denn gleich ist es zwölf Uhr. Und jeden Moment kann der Einkaufschef des großen deutschen Automobilherstellers hereinkommen und ihm das Angebot eines anderen Zulieferers präsentieren – eines Wettbewerbers, der sich im Zimmer nebenan einquartieren musste.
Berger weiß genau, was ihm dann blüht. Der Einkäufer wird ihm erklären, dass der Konkurrent einige Tausend Euro preiswerter anbietet – so wie er das auch vor einer Stunde erklärte. Dann wird der Einkäufer ihn wieder auffordern, den Preis des Angebots zu reduzieren. Und wieder wird Berger hinnehmen müssen, dass sein Gewinn noch schärfer gegen null tendiert. Doch die Tür zuzuwerfen und aus dem Hotel zu stürmen, das kann er sich nicht erlauben. Wenn er jetzt aussteigt, kann er von diesem Autobauer keine Aufträge mehr erwarten. Das hat ihm der Einkäufer gleich gesagt.
Das bizarre Pingpong im Taunus ist eine Versteigerung, nur dass die Teilnehmer sich nicht über-, sondern unterbieten müssen. Branchenintern heißt das gegenseitige Ausbooten „Mehrraumverhandlungen“. Deutschlands Autohersteller lassen Manager mittelständischer Zulieferer regelmäßig auf diese Weise gegeneinander antreten, wenn sie Aufträge für ein neues Modell vergeben. Das Prozedere gilt als vertrauliche Verschlusssache, von der kein Beteiligter etwas verlauten lassen darf. Auch Berger heißt in Wirklichkeit anders, muss sich auf derartige Hotelrunden jedoch einlassen, um im Geschäft zu bleiben.





Ohne Anstand und Respekt
Die „Mehrraumverhandlungen“ sind eine gängige, aber längst nicht die einzige Strategie, mit der Autokonzerne mittelgroßen und kleinen Zulieferern den letzten Cent abpressen – und das mit zunehmender Schärfe. „Partnerschaft gab es noch in den Achtzigerjahren“, sagt Harald Schatz, der nach 27 Jahren von der Zuliefererindustrie in die Beratung wechselte. „Anstand und Respekt sind verloren gegangen.“
Gleiches beobachtet sein Kollege Harald Klein von der Consultingfirma Peter Schreiber & Partner in Ilsfeld-Auenstein bei Heilbronn, die mittelständische Autozulieferer berät. Die „Ideenvielfalt“ der Hersteller, ihre Ausstatter auszuquetschen, sei groß, der Fantasie keine Grenze gesetzt, „um den psychischen Druck auf die Zulieferer unablässig zu erhöhen“.
Für Branchenkenner wie Klein und Schatz erreicht der Umgang der Konzerne mit kleinen und mittleren Zulieferern eine beunruhigende Qualität. Was Betroffene unter dem Mantel der Verschwiegenheit berichten, wirft ein erschreckendes Licht auf das Gebaren der Autobauer gegenüber ihren unterlegenen Subunternehmern. Während Zulieferriesen wie Bosch und Continental den PS-Protzen auf Augenhöhe begegnen können, vermissen Komponentenhersteller aus der zweiten Reihe oft jede Fairness bis hin zur Gesetzestreue.
Unisono beklagen die Zulieferer eine Verrohung der Sitten, manche sogar „erpresserische Zustände“ in der Branche. „Wer sich den Vorgaben der Hersteller nicht beugt, verschwindet sofort von der Anbieterliste“, sagt Berater Schatz.