




Tage im Feuer: Erst musste der VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn Manipulationen bei Abgaswerten zugeben. Zunächst bat er um Entschuldigung und Vertrauen. Einen Tag später trat er zurück. Mit Matthias Müller steht nun offenbar bereits sein Nachfolger fest. Dafür müssen weitere Spitzen-Manager ihren Platz bei VW räumen.
Der Konzern verlor Milliarden an Börsenwert und das Vertrauen der Kunden. Die drohenden Strafen sind gigantisch, die langfristigen Imageschäden nicht abzusehen.
VWs Abgas-Affäre, griffig Dieselgate getauft, ist Diskussionsthema Nummer eins in Medien, Büros und Bahnen. Experten erklären, was VW bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit richtig gemacht haben – und was falsch.
Die Krisen-Experten
Frank Roselieb ist geschäftsführender Direktor des Krisennavigators, einem Institut für Krisenforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Außerdem ist er geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V.
Hans Mathias Kepplinger ist ein auch als Skandalforscher bekannter Professor für Empirische Kommunikationsforschung an der Universität Mainz.
WirtschaftsWoche: Herr Winterkorn ist zurückgetreten. Heißt das, bei VW kehrt in der kommenden Woche Ruhe ein? Alles vergeben und vergessen?
Frank Roselieb: Nein. Krisen sind immer dreigeteilt: Sie haben die akute Krisenphase, die dauert im Durschnitt 15,3 Tage. Also rund zwei Wochen lang tagen die ganz regulären Krisenstäbe mehrmals am Tag. Nach diesem Zeitraum wird die Krisenbewältigung an die normalen Fachabteilungen zurück delegiert. Dann beginnt dort die Abarbeitung. Dann überlegt man sich: Was können wir in Richtung Kommunikation machen, was ist rechtlich noch notwendig und so weiter. Diese Phase der Nachbereitung dauert meistens zwei bis drei Jahre. Und dann kommt die ganze Marktnachbetreuung, die zehn bis 15 Jahre dauern kann.
Volkswagen erreicht erst 2025 oder 2030 wieder ruhiges Fahrwasser?
War denn Winterkorns Rücktritt vor laufenden Kameras auf dem Höhepunkt der Krise der richtige Schritt?
Normalerweise gilt der Grundsatz: In der Krise wird der Kapitän nicht ausgetauscht. Man lässt ihn zunächst das havarierte Schiff wieder in sicheres Fahrwasser bringen. Dann entscheidet man, ob "menschliches Versagen" oder "technisches Versagen" vorliegt - und ein neuer Kapitän eventuell besser navigieren und das Vertrauen der Passagiere zurückgewinnen kann. Das Vorgehen von Volkswagen ist also eher ungewöhnlich - zumal es im vorliegenden Fall nicht um persönliche Vorteilsnahme geht, wie seinerzeit beim Fall Zumwinkel gewesen ist. Dort war damals der zeitnahe Rücktritt unausweichlich, obwohl es "nur" private Gelder und keine Post-Gelder waren, die hinterzogen wurden.
Herr Kepplinger, glauben Sie, dass andere Unternehmen etwas aus dem VW-Skandal lernen können?
Hans Mathias Kepplinger: Es gibt bei vielen großen Skandalen eine lange Vorlaufzeit, in der die betroffenen Unternehmen um Probleme wissen, aber nichts tun. Sie bereiten sich auf das drohende Drama nicht vor. Ein Beispiel ist der Lipobay-Skandal: Die Firma Bayer wusste seit Langem, dass Lipobay unter bestimmten Bedingungen tödliche Nebenwirkungen haben kann. Deshalb musste das Unternehmen den Beipackzettel ändern. Trotzdem haben die Verantwortlichen den Dingen ihren Lauf gelassen, weil sie nicht erkannt haben, in welcher Gefahr sie waren.
Auch die Vorwürfe gegen die CDU wegen schwarzer Kassen gab es ein Jahr bevor der Spendenskandal losbrach, schon im Spiegel. Trotzdem hat sich die CDU auf diesen Casus Belli, diesen Kriegsfall, nicht wirklich eingestellt. Solche Versäumnisse kommen immer wieder vor und es ist unbegreiflich, warum sich die Betroffenen nicht rechtzeitig vorbereiten.