Leoni schien lange vom Potenzial der Technik überzeugt. Im Geschäftsbericht von 2008 pries der Vorstand Flamecon als „innovatives Verfahren, das neue Dimensionen“ eröffne. Fünf Millionen Euro hat der Konzern von 2003 bis 2011 in die Entwicklung gesteckt, auch öffentliche Gremien bezuschussten die Entwicklung. Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches: Trotz des vielen Lobes verschwand Flamecon ab 2010 aus den Finanzpublikationen von Leoni. Abgesehen von einigen Prototypen, die Leoni für eine niedrige sechsstellige Summe an Bosch verkaufte, wurden „keine Umsätze mit Flamecon generiert“, erklärt das Unternehmen. „Unsere mehrjährigen Bemühungen haben sich leider als nicht fruchtbar erwiesen. Eine Fortführung war aus wirtschaftlichen Gründen nicht angezeigt.“
Ein schwerer Verdacht
Erfinder Götz hält das für Ausflüchte. Er und weitere Ex-Angestellte sind überzeugt, dass Leoni die Technik absichtlich hat fallen lassen. Dabei verpflichtet das Arbeitnehmererfindungsgesetz Leoni eigentlich, die Erfinder bei einer erfolgreichen Vermarktung zu vergüten oder ihnen das Patent anzubieten, bevor es fallen gelassen wird.
Doch Götz will erfahren haben, dass seine Erfindung längst im Einsatz sei. Nur nicht bei Leoni, sondern in der Autoindustrie, bei wichtigen Leoni-Kunden. Und natürlich ohne Patentgebühren. Götz sagt: „Wir haben Leoni seit 2009 mehrfach auf Patentverletzungen durch andere Unternehmen, zum Teil auch Kunden, hingewiesen.“ Passiert sei nichts. Leoni dagegen steht auf dem Standpunkt, dass die Erfinder die Patente zu weit auslegen.
Die Klägeranwälte haben die halbe deutsche Auto- und Zuliefererindustrie mit im Visier. VW, Daimler, Bosch, Osram, Brose und Hella sind nur die größten Namen, die die Kanzleien Derra, Kehl/Ascherl und Ampersand im Auftrag der Erfinder kontaktiert haben. Sie alle sollen, so der Vorwurf, die Flamecon-Technologie in ihrer Produktion einsetzen. Auf Anfrage dementieren alle Unternehmen, Flamecon einzusetzen.
Den Argwohn der Ingenieure verstärken einige personelle Verflechtungen: So lässt sich Leoni in dem Fall von Kurt Bartenbach von der Kanzlei Cornelius, Bartenbach, Haesemann und Partner (CBH) vertreten. Der liegt zwar als Verteidiger für den Fall einerseits nahe, weil er in dem Themengebiet als Koryphäe gilt. Andererseits vertritt Bartenbach in einem anderen Verfahren auch Volkswagen, also einen der möglichen Nutznießer der scheinbar unkontrollierten Flamecon-Benutzung. Ein Anwalt aber, der Patentinhaber (Leoni) und möglichen „Rechteverletzer“ (VW) vertritt? Auf Anfrage verweist Bartenbach auf seine Verschwiegenheitspflicht.
Die Flamecon-Erfinder haben einen Verdacht, wie es dennoch zu der Personalie gekommen sein könnte. „Wir glauben, dass Leoni die Technik inoffiziell an VW und andere weitergegeben hat oder die Nutzung zumindest duldet“, sagt Götz. Auch diesen Vorwurf weist Leoni von sich.
Einer, der mehr darüber wissen dürfte, ist der ehemalige Leoni-Vorstandschef Klaus Probst. Er hat die Einstellung des Flamecon-Projekts einst veranlasst. Seit der Hauptversammlung in der Frankenhalle firmiert er nun als neuer Aufsichtsratschef von Leoni. Als solcher ist Probst damit beauftragt, etwaige Verstöße des Vorstands in der Causa zu verfolgen; also Verstöße, die in seine eigene Amtszeit als Chef fallen.
Zudem hat Probst noch einen weiteren Aufsichtsratsvorsitz: bei Grammer, einem Pkw-Sitzhersteller aus dem bayrischen Amberg. Dort soll er mit VW einen Schlachtplan erdacht haben, der die bosnische Familie Hastor an der Übernahme Grammers hindert, so lautet der Vorwurf des Hastor-Anwalts Franz Enderle. Probst bestreitet, in Bezug auf Flamecon Kontakt zu Volkswagen gehabt zu haben.
Götz hat sich deshalb nun an Probsts Gegner bei Grammer, die Hastors, gewandt. Seine Anwälte verhandeln mit ihnen über eine mögliche Klagebeteiligung. Den Bosniern bliebe so nicht nur die Möglichkeit, gegen die Personalie Probst, sondern auch gegen den Rivalen VW vorzugehen.
Die Erfinder denken darüber hinaus: Sie verhandeln mit Interessenten über eine Vermarktung der Technik. Ein französischer Zulieferer plant nach Angaben der Erfinder sogar, seine mehr als 100 Produktionsstätten mit Flamecon auszurüsten. Auch Deutsche sollen Interesse signalisiert haben.
Für eine Technik, für die Leoni keine wirtschaftliche Perspektive sah, doch ein reges Interesse.