Lieferengpässe Welche Hersteller dem E-Auto-Boom gewachsen sind

Der Seat Mii electric würde sich als günstiges E-Auto gerade sicherlich vor Bestellungen kaum retten können. Quelle: Seat

Durch die Maßnahmen des Konjunkturpakets erhalten vor allem Elektroautos einen enormen Schub. Das bringt die Lieferzeit bei manchen Herstellern durcheinander. Wer kommt mit der großen Nachfrage klar? Und wer nicht?

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Der viel zitierte „Wumms“, den Olaf Scholz sich vom Konjunkturpaket versprach, um Deutschland aus der Wirtschaftskrise zu hieven, kommt nun sogar bei Produkten an, bei denen die Verbraucher früher recht zurückhaltend waren: Laut Kraftfahrt-Bundesamt sind im Juli 2020 in Deutschland 181 Prozent mehr Elektroautos (16.798 Fahrzeuge) und sogar 484,7 Prozent mehr Plug-in-Hybride (19.119 Fahrzeuge) zugelassen worden als noch im Vorjahreszeitraum.

Grund für diesen E-Auto-Boom dürften auch die erhöhte Prämie für elektrisch angetriebene Fahrzeuge – 9000 Euro für reine Elektroautos und 6750 Euro für Plug-In-Hybride – und die Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 16 Prozent sein. Viele Hersteller aus der Autoindustrie nahmen die Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket – wie auch diverse Einzelhändler – zum Anlass, um ihre Webseiten, Social-Media-Auftritte und Plakatwände mit Werbekampagnen zu schmücken: Opel etwa rief den „Green Deal“ aus, Volkswagen setzte über eine Rabattaktion den Titel „VWfürEuch“ und Nissan stampfte gleich ein eigenes „Konjunkturpaket“ aus dem Boden.

Eine regelmäßig erscheinende Studie des Center Automotive Research in Duisburg zu Preisnachlässen beim Autoverkauf kam jüngst zu dem Schluss, dass solche Rabatte – à la „Wir schenken Euch die Mehrwertsteuer“ – vor allem bei „sehr kleinen“ Elektroautos für Lieferengpässe und gar Lieferstopps gesorgt hätten. Wenige Wochen nachdem die Bänder in den Fabriken der Autohersteller noch wegen Corona stillstanden oder E-Autos sich keiner sonderlich großen Begeisterung erfreuten, sollen die Unternehmen nun mit der Produktion und Auslieferung kaum hinterherkommen?

Tatsächlich: Bei VW gibt es zurzeit eine erhebliche Verzögerung bei der Auslieferung des e-up! – einem in der Tat „sehr kleinen Elektroauto“. Der e-up! sei allerdings das einzige VW-Modell, „bei dem derzeit die Lieferzeiten außergewöhnlich hoch sind“, teilte eine VW-Sprecherin auf Anfrage der WirtschaftsWoche mit. Aktuell würden VW-Kunden 14 Monate auf einen e-up! warten. Beim Plug-in-Hybrid Passat GTE liege man im „normalen Rahmen“ von zwei bis drei Monaten. „Auch unser neues E-Modell, der ID.3, wird bei heutigem Bestelldatum bereits im Oktober geliefert“, so die Sprecherin.

2019 hat VW nach eigenen Angaben insgesamt 82.000 batterieelektrische Fahrzeuge verkauft. „Im ersten Halbjahr 2020 sind es bereits 52.000, und da ist der neue ID.3 noch gar nicht drin“, so das Unternehmen. Der Plan für dieses Jahr: etwa „60.000 ID.3 zu verkaufen“. Übrigens: Von der Aktion, bei der VW damit wirbt, den Käufern von Neufahrzeugen die Mehrwertsteuer zu „schenken“, kann der ID.3 gar nicht profitieren: Das Modell und der e-up! sind von der Aktion ausgenommen.

Nissan teilte auf Anfrage mit, dass aktuell alle Modelle bestellbar seien. „Die Lieferzeit beträgt durchschnittlich etwa drei Monate – dies gilt auch für den E-Auto-Vorreiter Nissan Leaf in beiden Batterievarianten.“ Im Juli konnte Nissan nach eigenen Angaben den Absatz deutlich steigern: Im Vergleich zum Vorjahr seien die Verkaufszahlen um insgesamt 30 Prozent gestiegen und lagen mit 200 Prozent bei den E-Autos über dem Branchenschnitt von 181 Prozent. Die Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket hätten sicherlich „zu diesem Ergebnis beigetragen“. Allerdings habe Nissan auch die Preise für den Leaf um mehrere Tausend Euro gesenkt und den Herstelleranteil bei der Umweltprämie erhöht, heißt es vom Unternehmen.

Bei Renault und dem E-Modell ZOE sieht die Entwicklung ganz ähnlich aus: „Bereits im Juni sind für den Renault ZOE mit 1.990 Kaufanträgen so viele Bestellungen eingegangen, wie noch nie zuvor in einem Monat. Im Juli wurde dieses Ergebnis dann mit deutlich über 5.000 Kaufanträgen nochmal mehr als verdoppelt“, so das Unternehmen. Und die Wartedauer für den ZOE? „Aktuell circa drei Monate.“

Der Seat Mii electric – der aus der Ferne betrachtet kaum vom e-up! des Mutterkonzerns VW zu unterscheiden ist – ist hingegen bereits seit mehreren Monaten ausverkauft. Das Fahrzeug sei voraussichtlich erst wieder 2021 verfügbar, so das Unternehmen.

Ganz so lange müssen Kunden des Corsa-e von Opel zwar nicht warten. Mit den branchentypischen zwei bis drei Monaten kann das Unternehmen aber nicht mithalten: „Die Auslieferung an den Kunden wird noch in diesem Jahr erfolgen, wenn die Elektrovariante des Opel-Bestsellers jetzt verbindlich geordert wird“, heißt es aus Rüsselsheim.

Bei BMW in München lobt man die Maßnahmen des Konjunkturpakets. Sie seien ein „wertvoller Impuls für die gesamte Wirtschaft und Transformationsbeschleuniger“. Zwar sei es noch zu früh, um „eine valide Aussage über den nachhaltigen Effekt des Konjunkturpakets zu treffen“. Allerdings sehe das Unternehmen „eine sehr hohe Nachfrage nach unseren elektrifizierten Modellen“. Insbesondere bei Mini mit dem Mini Cooper SE sei das der Fall: „Der vollelektrische Mini ist derzeit sehr gefragt!“ Durchschnittlich betrage die Lieferzeit bei allen Modellen des Konzerns drei bis vier Monate. Auch beim vollelektrischen i3, so BMW.

Daimler hingegen musste bei seinen Smart EQ Modellen Ende Juni sogar einen Bestellstopp verhängen. Die Auftragseingänge hätten sich versiebenfacht, wie der Branchendienst Electrive berichtete.



Für die Hersteller, die jetzt Schwierigkeiten haben, bei der Produktion mitzuhalten, könnte es bald noch dicker kommen: Im Konjunkturpaket sind allein 50 Milliarden Euro für „Zukunftsinnovationen“ vorgesehen – und noch lange nicht ausgegeben. Auch Äußerungen prominenter Politiker machen Hoffnung. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil etwa sagte der WirtschaftsWoche: „Ich befürchte, dass wir bis zum Herbst noch viele schlechte Nachrichten aus der Automobilindustrie hören werden – und zwar ganz unabhängig davon, ob es eine zweite große Infektionswelle geben wird.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach schon am vergangenen Wochenende davon, dass es neue Hilfen für die Wirtschaft, vor allem für Automobilhersteller, brauche.

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