Mercedes-Benz EQS Deutsche Autobauer holen beim E-Auto auf – läuft Daimler mit?

Der EQS ist das neue Elektroauto des Autobauers Daimler. Quelle: dpa

Mit dem EQS bringt Daimler eine neue Elektro-S-Klasse auf den Markt. Sie könnte schon bald zu einem Symbol der Aufholjagd für die deutsche Automobilindustrie werden, wenn die Stuttgarter ihren Trumpf nicht verspielen.

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Ein Touchscreen über die gesamte Front. Eine verbesserte Aerodynamik. Over-the-Air-Updates! Und futuristisches Design. Wenn Daimler am Donnerstag sein neues Elektroauto EQS vorstellt, dann ist das laut dem Konzern nicht weniger als der „Start in eine neue Ära des Unternehmens“. Das neue Flaggschiff fällt optisch durch seine rahmenlosen Türen, eine nahtlos in die Motorhaubenpartie übergehende Frontscheibe und ein 1,41 Meter breites Display im Inneren auf.

Trommeln gehört zwar zum Geschäft – doch in der Tat stimmen auch Autoexperten in dieses Lied ein: „Mit dem EQS und den anderen Modellen wie EQA holt Mercedes bei der Elektromobilität deutlich auf“, sagt Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research. Die Bedeutung des EQS „für den Ruf von Mercedes als Luxusmarke ist immens. Das Fahrzeug ist Technologieträger und Symbol für die Innovationsfähigkeit von Mercedes. Insgesamt ist der EQS die bedeutendste Mercedes-Neuvorstellung der letzten zehn Jahre.“ Mercedes habe unter dem neuen Chef Ola Källenius konsequent auf eine neue, eigene E-Fahrzeug-Architektur gesetzt. „Das hebt Mercedes von vielen anderen, auch von BMW, ab, die mit Hybrid-Architekturen arbeiten“, sagt Dudenhöffer. Hybrid-Architekturen sind Fahrzeugplattformen, die für Elektro- und Verbrennerantriebe gleichermaßen geeignet sind, was jedoch technische Nachteile mit sich bringt.

Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management hat sich den EQS sogar schon angeschaut. Das Auto sei das neue Flaggschiff im E-Autobereich, auf das alle gewartet hätten und das Daimler bislang gefehlt habe, sagt er. Die Reichweite sei mit 770 Kilometern nach dem neuen Prüfstandard WLTP „eine Ansage“ und die Ladeleistung sehr schnell. In seinem Ranking der innovationsstärksten Automobilhersteller von batterieelektrischen Fahrzeugen, meint er, werde das Daimler „vom Mittelfeld weiter nach vorne bringen“, denn die Innovationen des neuen Autos seien „sehr relevant für Kunden“. Und wie es nun mal so ist bei einem Luxus-Oberklassefahrzeug: Innovationen werden zuerst dort eingeführt, weil die wohlhabenden Kunden am ehesten bereit sind, dafür zu bezahlen – später aber werden die Neuheiten auch auf preisgünstigere Fahrzeuge ausgerollt, denn dann kann man die Kosten für die Entwicklung über mehr Autos verteilen.

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von Jan-Lukas Schmitt

Daimler hat die E-Mobilität lange verschlafen

Kritiker werfen Daimler vor, strategisch zu lange an eine goldene Zukunft von Benzin- und Dieselautos geglaubt und wertvolle Jahre bei der Entwicklung von E-Autos verschlafen zu haben. Nicht nur in den USA (Tesla) und China (Nio, Baidu), sondern auch in Europa selbst ist die E-Auto-Konkurrenz inzwischen riesig. Doch nun gibt Daimler Vollgas. Daimler strebe nicht weniger als „die führende Position“ bei Elektroantrieben und Fahrzeug-Software an, verkündete Konzernchef Ola Källenius im Herbst. Ob das angesichts des technologischen Vorsprungs großer Konkurrenten realistisch ist, bleibt dahingestellt: Etablierte Hersteller müssen sich im E-Zeitalter nicht nur mit langjährigen Konkurrenten messen, sondern auch gegen Digitalkonzerne wie Google, Apple oder Alibaba bestehen. 

Bis 2022 will Daimler jetzt das gesamte Portfolio von Mercedes-Benz Cars elektrifizieren und Kunden in jedem Segment verschiedene elektrifizierte Alternativen anbieten – vom Smart bis zum großen SUV. 2030 will der Autobauer mehr als die Hälfte des weltweiten Autoabsatzes mit Plug-in-Hybriden oder vollelektrischen Fahrzeugen erreichen. „Es ist unsere Ambition, bis 2039 eine komplett CO2-neutrale Pkw-Neuwagenflotte anzubieten“, heißt es bei Daimler. 

Nun hat der Konzern sein Multimediasystem MBUX runderneuert, mehr als 50 Funktionen gibt es bereits als Update „over the air“; auch den „Drive Pilot“ für autonomes Fahren im stockenden Verkehr soll es für die Elektro-S-Klasse EQS demnächst geben. Zwar kämpft Daimler nach wie vor mit zig Steuergeräten und Softwarecodes und ein einheitliches, selbst entwickeltes Betriebssystem soll es erst 2024 geben. Doch der EQS könnte dennoch schon bald zu einem Symbol der Aufholjagd der deutschen Automobilindustrie werden. Denn in den letzten Monaten kamen immer wieder Fahrzeuge auf den Markt, die die Luft für Tesla dünner werden lassen sollen – und viele weitere sind geplant. Volkswagen etwa preschte mit der ID-Familie voran. Zwar hatte man einige technische Probleme, doch der ID.3 und der ID.4 setzen mit einer eigenen E-Plattform voll auf Elektromobilität und mehr Platz im Innenraum. Audi brachte den e-tron. Und Porsche den Taycan. 

So fährt sich der Audi e-tron GT
Audi setzt seine E-Offensive fort Quelle: Audi
Nackte Zahlen dürften hier dennoch ihre Wirkung verfehlen. 530 PS und 630 Newtonmeter sind zwar viel, das erreichen aber auch manch andere Sportwagen. Auch den Sprint von null auf 100 km/h in vier Sekunden können einige überbieten. Doch es ist die Art und Weise, wie das passiert. Im e-tron GT läuft das alles ungemein dynamisch, dennoch gleichmäßig und ruhig ab. Man meint, einen halben Meter über der Straße zu schweben und bei der Beschleunigung von einem riesigen Gummiband losgelassen zu werden. Es ist Autofahren in einer anderen Dimension. Die gedrungene Silhouette des e-tron GT – er ist flacher als ein A7 Sportback – stellte die Ingenieure vor enorme Herausforderungen, schließlich musste das große Batterie-Paket in der Bodengruppe untergebracht werden. „Flach ist das neue Premium bei den Elektroautos“, heißt es bei Audi, was wohl auch als kleiner Wink in Richtung Tesla zu verstehen ist. Der e-tron GT zielt direkt auf das Model S. Und mit 99.800 Euro platziert sich der elektrische Gran Turismo auch preislich in der Gegend des kalifornischen Autobauers. Quelle: Audi
Die Sitzposition ist perfekt und das Ambiente im Innenraum hochwertig, eine Paradedisziplin von Audi. Erstaunlich, dass selbst hinten Erwachsene noch bequem untergebracht sind. Um jedem Millimeter müssen die Designer gekämpft haben, galt es doch, die elegant abfallende Dachlinie auf keinen Fall zu opfern. Das ging sogar so weit, dass der e-tron GT keine Heckklappe wie der A7 Sportback erhielt, sondern „nur“ einen Kofferraumdeckel. Dennoch bleibt darunter genügend Platz fürs Gepäck. Wird mehr Stauraum benötigt, können die Rücksitzlehnen geteilt umgelegt werden. Bis zu 488 Kilometer weit soll der e-tron GT mit einer Akku-Füllung kommen, zumindest in der Theorie. Auch wenn es im Alltag 100 und im Winter vielleicht 150 Kilometer weniger sein sollten, selbst diese Reichweite macht den Gran Turismo nicht zum Luxus-Zweitwagen im Haushalt. Zumal sich unterwegs die Zellen extrem schnell wieder aufladen lassen. Aus diesem Grund verfügt der Audi über ein 800-Volt-System, die doppelte Spannung als gemeinhin üblich. So können im Bestfall bis zu 270 kW an Ladeleistung (Gleichstrom) in die Batterie fließen. Innerhalb von fünf Minuten wären 100 Kilometer Fahrstrecke „nachgetankt“. Die passenden HPC-Säulen (High Performance Charging) stellt europaweit meist Ionity auf. Das Ziel: alle 120 Kilometer eine Station. Audi hat mit Ionity einen Rahmenvertrag abgeschlossen, wodurch der e-tron-Fahrer in den Genuss eines deutlich reduzierten Strompreises kommt. Quelle: Audi
Nach wie vor faszinierend bleibt bei Audi das Infotainment. Elf Antennen, allesamt unsichtbar integriert, verbinden den e-tron GT mit der Außenwelt. Dargestellt wird diese Welt auf dem Zentralbildschirm, über Google Earth, in höchster Brillanz. Und wer sich mit dem e-tron GT ein wenig länger vertraut macht, wird nicht nur sein besonderes Fahrgefühl lieben lernen, sondern auch die vielen kleinen Annehmlichkeiten im täglichen Umgang mit dem Auto schätzen. An alles wurde gedacht. Selbst über das kabellose Laden des Handys hat man sich in Ingolstadt ein paar mehr Gedanken gemacht als üblich. Es liegt nicht waagerecht irgendwo in einer flachen Schale, um in der nächsten Kurve in den Fußraum zu fliegen, sondern steckt hochkant unter einer Abdeckung in der Mittelkonsole. Damit man es dort aber nicht vergisst, ertönt eine Stimme, sobald die Tür geöffnet wird: „Ihr Smartphone befindet sich noch im Fahrzeug.“ Quelle: Audi

Letzterer ist eine vollelektrische Sportlimousine und wurde Ende 2019 eingeführt. Im Jahr 2020 verkaufte Porsche weltweit über 20.000 Einheiten. „Tendenz steigend“, heißt es beim Unternehmen, welches die Reichweite mit bis zu 484 Kilometern angibt. Der Preis beginnt bei 83.520 Euro. Die Ladeleistung liegt bei bis zu 270 kW, was bedeutet, dass in fünf Minuten bis 100 Kilometer Reichweite geladen werden können. Software-Funktionen können auch hier mittels Over-the-Air-Updates aufgespielt werden. Im Jahr 2030 sollen mehr als 80 Prozent der neu verkauften Porsche-Modelle einen Elektromotor haben. „Ein großer Schritt wird der nächste Macan, der dann nur noch als E-Version gebaut wird. Sehr mutig und zukunftsorientiert“, sagt Dudenhöffer.

Auch Audi bringt weitere Modelle auf den Markt. Bis Ende des Jahres 2021 will man sieben batterieelektrische Modelle im Angebot haben. „Damit werden wir die Zahl der vollelektrischen Fahrzeuge in unserem Portfolio mehr als verdoppeln“, heißt es bei Audi. Zudem planen die Ingolstädter „mehr als 20 vollelektrische Modelle sowie einen weiteren Ausbau des Plug-in-Hybrid-Portfolios. Bis 2025 werden wir rund ein Drittel unseres weltweiten Absatzes mit elektrischen Modellen erzielen.“ Dafür investiere Audi bis 2025 rund 15 Milliarden Euro in die Elektrifizierung. 

„Der VW-Konzern und jetzt auch Daimler tanzen ganz vorne mit“

Insgesamt sieht Dudenhöffer den VW-Konzern mit Marken wie Porsche und Audi sowie Daimler mit Mercedes beim Elektroauto gut im Wettbewerb aufgestellt. „Tesla, VW-Audi-Porsche, Mercedes, Hyundai-Kia belegen die Pole-Position im Rennen um die Elektromobilität“, meint er. Die Deutschen seien „keineswegs abgehängt, sondern der VW-Konzern und jetzt auch Daimler tanzen ganz vorne mit. Nach meiner Einschätzung hat der VW-Konzern die Chance, 2022 Weltmarktführer bei E-Autos zu werden.“



Der Börse gefällt es: Die Aktien deutscher Autobauer steigen – und wer neue E-Auto-Pläne verkündet, wird oft am gleichen Tag mit einem satten Kursplus belohnt. Investoren wollen die alte Autowelt nicht mehr finanzieren – sie setzen auf die Zukunft. 

Nur BMW wirkt abgeschlagen. Zwar hat Konzernchef Oliver Zipse zuletzt eine E-Offensive verkündet. Aber sein Engagement wirkt halbherzig. Anders als bei VW und Daimler soll die wichtigste Plattform des früheren E-Pioniers offen für alle Antriebsarten sein. Zwar probten die Münchner jetzt einen Befreiungsschlag: Zipse hat Mitte März angekündigt, dass die Mittelklasselimousine i4 früher komme als geplant, dass BMW mit weiteren Elektromodellen „in die Breite“ gehe, dass das Unternehmen im laufenden Jahrzehnt mit doppelt so vielen E-Auto-Verkäufen rechne wie bisher – und vor allem, dass ab 2025 eine Produktwelt „Neue Klasse“ entstehen soll, in der sich alles um den E-Antrieb dreht. Doch ein entscheidendes Detail ging dabei beinahe unter: BMW scheut sich weiterhin, auf eine rein elektrische Fahrzeugarchitektur zu setzen.

Wer auf eine reine Elektroplattform setzt, gewinnt Platz im Innenraum. VW kann seinen Kunden mit dem E-Auto in Golf-Größe den Innenraum eines Passats anbieten – warum sollten BMW-Kunden das Platzplus nicht einfordern? Und das ist nur einer von vielen Vorzügen eines konsequent als E-Auto geplanten Modells. „Es ist schwer, die Vorteile der E-Mobilität auf einer Multiplattform herauszuholen“, sagt Bratzel. Schwach sei unter den deutschen Autobauern BMW aufgestellt, meint auch Dudenhöffer. „Der BMW i3 ist nicht mehr up-to-date und Fahrzeuge auf einer reinen E-Autoplattform sind in der nächsten Zeit nicht von BMW zu erwarten. BMW war zu lange in Plug-in-Hybride, Riesen-SUV mit großen Motoren und Dieselantriebe verliebt.“

Laut Dudenhöffer hat sich Daimler mit dem EQS auch von Tesla emanzipiert: Der EQS und Mercedes sprächen „eine völlig andere Käufergruppe“ als Tesla an. „Tesla hat seine Fans bei tech-getriebener Performance.“ Für Tesla-Chef Elon Musk sei es das oberste Ziel, „die absolut neuste Software oder Antriebstechnologie zu verbauen. Dabei kann der Fahrer durchaus als Test-Kaninchen dienen, wie etwa beim Autopilot“, der unvollendet zum Kunden gebracht werde. Die Kunden helfen bei Tesla, die Software zu verbessern. Das wäre für Mercedes völlig undenkbar. „Von Mercedes erwartet der Kunde Perfektion in allen Dimensionen“, sagt Dudenhöffer. 

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Und so könnte auch die vor einigen Monaten vorgestellte, neue S-Klasse, die letzte ihrer Art sein. Manch einer schließt aus, dass ein Verbrenner in sechs Jahren erfolgreich sein kann, wenn ein Nachfolger der S-Klasse präsentiert werden müsste. Dieser Nachfolger könnte dann vielleicht der EQS werden, der schon heute als vollelektrische S-Klasse gilt. Allein die Absatzzahlen müssen gut werden. Noch ist die Prognose des britischen Beratungsunternehmens IHS Markit pessimistischer als Daimler selbst. Der Datenanbieter sieht im Schnitt ein Potenzial für jährlich 27.000 EQS-Verkäufe – das liege 16 Prozent unter Daimlers Annahmen, heißt es bei IHS. Über die Laufzeit könnte Daimler damit circa 188.000 EQS verkaufen. 

Noch ist das eher ein zartes Pflänzchen. 

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