Mercedes Stromer Kein Tesla-Jäger oder gar -Killer

Der EQS ist das erste von Grund auf als elektrisches Auto entwickelte Fahrzeug von Daimler. Quelle: dpa

Warum weder Daimlers Luxusstromer Mercedes EQS noch sein neuer Elektro-SUV Tesla-Jäger sind, sondern im eigenen Revier wildern. Ein Kommentar.

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Endlich kommt Daimler richtig in die Spur. Der gerade von Konzernchef Ola Källenius vorgestellte Mercedes EQS hat die inneren und die äußeren Werte, um die überfällige Aufholjagd bei elektrischen Autos zu starten.

Es ist das erste von Grund auf als elektrisches Auto entwickelte Fahrzeug von Daimler. Am Sonntag wird der Konzern zudem am Rande der Auto Shanghai Messe einen neuen Elektro SUV namens EQB präsentieren.

Die Reichweite des EQS von bis zu 770 Kilometer ist beachtlich. Nicht nur für die Langstrecke, sondern auch für viele kürzere Fahrten, ohne an die Ladestation zu müssen. Bis zu 300 Kilometer sollen in 15 Minuten nachgeladen werden können, kompatible Ladestationen vorausgesetzt. Die Akku-Garantie ist besser als die der Wettbewerber.

Eine Heckklappe erlaubt ein erstaunlich großes Kofferraumvolumen von bis zu 1770 Liter. Für den, der es mag, ist das gesamte Cockpit mit Displays gepflastert. Damit orientiert sich Daimler an den opulenten Bildschirmen chinesischer Elektroautohersteller wie Byton oder – falls er jemals auf den Markt kommt – von Faraday Future. Die Displayfülle dürfte vor allem auf dem asiatischen Markt ankommen.

Im Namen des Luxusstromers steckt nicht nur das S, die traditionelle Typenbezeichnung für das Top-Modell des Konzerns. Mit dem Q suggeriert er auch Qualität. Was auf Fahrkomfort, edle Materialien und Verarbeitungsqualität hoffen lässt. In beiden hat Elektroauto-Weltmarktführer Tesla Nachholbedarf. Ob die Stuttgarter das auch leisten, wie die Fahreigenschaften sind und vor allem, wie gut die Software und deren Updates über Funk funktionieren, müssen unabhängige Tester erst noch durchleuchten.

Der EQS kommt erst im Sommer in Europa und China auf den Markt, später in den USA. Der EQB kommt ebenfalls in diesem Jahr in den Handel in China und Europa, allerdings erst nächstes Jahr in den USA.

Mit dem Silicon Valley Konzern Nvidia und dessen Orin- und später Atlan-Prozessor hat Daimler einen erfahrenen Partner im Rücken, was Rechengeschwindigkeit und Erfahrung bei Fahrassistenz und autonomen Systemen betrifft.

Auch wenn ihm das in einigen Schlagzeilen unterstellt wird, eins ist der EQS nicht: Ein Tesla-Jäger. Erst recht kein Tesla-Killer.
Mercedes nennt noch keine Preise, aber sie werden weit über 100.000 Euro liegen. Sicher, ein reichweitenstarker Tesla X SUV kommt über diese Grenze, noch stärker ein gut ausgestattetes Model S. Vor fünf oder sechs Jahren hätte Mercedes Tesla durchaus besonders vermögende Kunden abjagen können.

Auch der Elektro SUV EQB, angeblich ein Raumwunder, dürfte nicht zu stark an Tesla kratzen, auch wenn er unter 100.000 Euro liegen wird. Denn Elon Musk hat seinen Produktmix längst umgestellt. Von den 184.000 Teslas, die im ersten Quartal ausgeliefert wurden – ein Allzeitrekord – waren nur 2020 Tesla S und Tesla X. Der Löwenanteil davon Model 3 und Model Y, die ab 40.000 Euro beziehungsweise 58.000 Euro starten.

Der spärliche Anteil von Model S und Model X liegt auch daran, dass gerade überarbeitete Versionen auf den Markt kommen. Doch klar ist, dass Teslas Luxus-Modelle nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Und der für Ende des Jahres erwartete Cybertruck aus dem neuen Werk in Austin im US-Bundesstaat Texas ist ohnehin kein Gefährt für typische Mercedes Fahrer.

Musk zielt noch stärker auf Masse. „Elektroautos sind immer noch zu teuer“, sagt er. Günstigere Akkus, an denen Tesla derzeit arbeitet, sollen die Preise auf 25.000 Euro senken, ganz ohne Subventionen. Gemunkelt wird von einem Model 2.

An der US-Westküste, vor allem in Kalifornien, macht sich vor allem Teslas Model Y breit. Gerade bin ich mit meinem Tesla 3, den ich seit drei Jahren besitze, eine über 2000 Kilometer lange Strecke an der US-Westküste abgefahren. An den Schnelladestationen, die noch vor zwei Jahren von Model S und Model X dominiert wurden, überwogen die Model Y.

EQS und EQB könnten bei Tesla X und Tesla S Besitzern wildern. Doch sicher ist das nicht. Teslas wichtigster Wettbewerbsvorteil – neben loyalen Fans – ist sein konzerneigenes Ladenetz. Es ist meiner Meinung nach derzeit sogar noch wichtiger als sein Fahrassistenzsystem. Mittlerweile ist das Ladenetz so dicht, dass man in den Weiten der USA fast überall hinkommt. Auf dicht befahrenen Strecken hat man die Wahl zwischen verschiedenen Standorten und weiß vorab, wie stark diese frequentiert sind. Vor allen Dingen ist ihre Lage gut geplant, meist neben einem Supermarkt, einer Shopping-Mall oder einem Starbucks gelegen und damit mit Zugang zu sauberen Toiletten.
Die Konkurrenten bauen ihre Ladestationen zwar aus, oft in Nähe der Tesla Stationen.

In den USA rollt besonders das aus Strafzahlungen des Dieselskandals finanzierte Electrify America sein Schnellladenetz schnell aus. Seine Stromtankstellen müssen jedoch mit Modellen verschiedenster Hersteller klarkommen. Einfach vorfahren, Ladekabel ins Auto stecken wie bei Tesla, funktioniert dort schon aus Abrechnungsgründen nicht. Selbst beim VW ID.4, der in den USA mit drei Jahren inklusive Strom laden für unterwegs kommt, hatten US-Tester Probleme, obwohl Ladestation und Auto aus einem Konzern kommen. Auf die Smartphone-Welt übertragen: Das Tesla-Ladenetz ist das iPhone, Electrify ist Android.

Daimler wirbt damit, dank Kooperationen Zugriff auf das größte Ladenetzwerk weltweit zu haben und, dass Laden so einfach sein wird wie bei Tesla. Ob das tatsächlich so klappt, ist fraglich.

Der EQS wird beim Start eher Newcomern wie Lucid Motors Kunden abjagen oder Luxustromern von Porsche, Audi und BMW. Vor allem aber wechselwillige Mercedes-Käufer bei der Stange halten, allen voran die S-Klasse Klientel.

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Erst später wird es interessant. „Der EQS ist der Auftakt für eine ganze Modellfamilie“, verspricht Daimler-Chef Källenius. Wenn es stärker gegen Model Y und Model 3 geht, wird es interessant. In Sachen Material und Verarbeitungsqualität hätten Daimler und Co. hier noch genug Raum zu punkten.

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