Milliardenstrafe Es ist richtig, dass VW bluten muss

Dieselskandal: Es ist richtig, dass VW eine Milliarde zahlt Quelle: AP

Eine Milliarde Euro ist eine Menge Geld. Rechnet man die Strafe für VW auf die manipulierten Autos herunter, erscheint die Summe wie ein billiger Deal. Beide Eindrücke täuschen. Die Strafe für den Autobauer ist gerecht.

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93,46 Euro. Das ist das Bußgeld, das Volkswagen für jedes der weltweit knapp 11 Millionen manipulierten Autos an den deutschen Staat zahlt. In der Summe: Eine Milliarde Euro. Ein billiger Ablasshandel, mag man meinen. Schließlich verdoppelte der Konzern im vergangenen Jahr trotz Dieselskandal seinen Gewinn auf 11,4 Milliarden Euro. Im Vergleich zu den mehr als 20 Milliarden Euro, die VW für Strafen und Entschädigungen in den USA hinblättert, erscheint die deutsche Strafe sowieso wie ein Witz.

Auch in der technischen Nahansicht erscheint es wie ein verdammt guter Deal, was VW-Chef Herbert Diess da mit den Staatsanwälten aushandelte: VW sparte sich bei jedem manipuliertem Auto Abgastechnik im Wert von mehreren hundert Euro. Nun kommt er mit 93,46 Euro davon.

Doch wer nun „Skandal“ schreit, dem sei empfohlen, erst einmal genau hinzuschauen.

Fette Gewinne seien VW, seinen 650.000 Mitarbeitern und seinen Aktionären herzlich gegönnt. Sie können und dürfen für Strafverfolger kein Grund sein, das Unternehmen zu schröpfen. Der Maßstab für die Staatsanwaltschaft ist die Verfehlung, im konkreten Fall die Ordnungswidrigkeit. Der Staat darf Gewinne abschöpfen, die unrechtmäßig erwirtschaftet wurden. Das muss er nicht, die Ermessensspielräume sind leider riesig. Dass es im Fall Volkswagen überhaupt zu einer Abschöpfung kommt – obwohl der Staat in Gestalt des Landes Niedersachsen selbst Großaktionär des Konzerns ist – ist per se schon erstaunlich.

Und dass es nun eine Milliarde ist und nicht 50 oder 100 Millionen, ist noch viel erstaunlicher. Eine Abschöpfung in dieser Höhe ist ziemlich beispiellos in Deutschland. Zudem muss es noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: Bei Audi und Porsche laufen Ermittlungen wegen Motoren, die nicht Teil des Deals mit der Braunschweiger Staatsanwaltschaft sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Ingolstadt und womöglich auch Braunschweig weitere Gewinnabschöpfungen anstehen.

Die deutschen Autobauer in der Diesel-Krise
Die Abgas-Affäre bleibt für Volkswagen ein juristischer Großkampf. Quelle: dpa
Gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn laufen - wie auch gegen den neuen VW-Chef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch - Untersuchungen wegen möglicher Marktmanipulation. Quelle: dpa
Die Münchner Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen Audi-Chef Rupert Stadler ein und durchsuchte seine Wohnung Quelle: dpa
Die Zahl der Beschuldigten bei Audi ist damit laut Staatsanwaltschaft auf 20 gestiegen. Als einziger von ihnen sitzt ein ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Entwicklungsvorstand in Untersuchungshaft. Er war im September 2017 verhaftet worden. Einer seiner früheren Mitarbeiter bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchungshaft wieder freigekommen. Bei Audi hat das KBA bisher für 216.000 Diesel-Autos quer durch die Modellpalette einen Rückruf angeordnet, zuletzt ging es Anfang Juni um rund 60.000 Exemplare der Oberklasse-Typen A6 und A7. Quelle: dpa
Seit knapp einem Jahr ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft auch bei der VW-Tochter Porsche. Quelle: dpa
Im Sommer 2017 hatte Porsche zunächst rund 21 500 Geländewagen vom Typ Cayenne mit 3-Liter-Motor wegen einer vom KBA beanstandeten illegalen Abschalteinrichtung zurückrufen müssen. Quelle: dpa
Daimler-Chef Dieter Zetsche musste sich am Montag eine bittere Pille bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) abholen: Quelle: dpa

Auch der Vergleich mit den USA funktioniert an dieser Stelle nicht. Zum einen, weil die in den USA verhängten Milliardenstrafen mit dem Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft Braunschweig nichts zu tun haben. Im Fall der USA geht es um eine Strafe für diverse Verbrechen. Braunschweig dagegen schöpft wegen einer Ordnungswidrigkeit Gewinne ab.

Deutschland steht es offen, ähnlich wie das US-Justizministerium VW mit weiteren Milliardenstrafen für die Vergehen zu belegen. Denn die Bundesregierung darf das Unternehmen für jedes manipulierte Auto bestrafen. Und da ginge es dann nicht mehr um die Berechnung unrechtmäßig erzielter Gewinne, da darf der Staat richtig zulangen. Bis zu 5000 Euro pro Auto könnte das Verkehrsministerium berechnen.

Dass der Vergleich mit den USA hinkt, hat noch einen anderen Grund: Ein Großteil der mehr als 20 Milliarden Euro entfällt auf die Entschädigung von Kunden, die ihre Ansprüche in Sammelklagen geltend gemacht haben. Das war in Deutschland bislang nicht möglich.

Wie bei den potenziellen Mega-Strafen des Verkehrsministeriums gilt aber auch hier: Was nicht ist, kann ja noch werden. Bundesregierung und Bundestag bringen gerade eine neue Möglichkeit zur Sammelklage auf den Weg, die auch VW-Kunden noch nutzen können. Hinzu kommt, dass sich Kunden, die schon geklagt haben, zunehmend vor Gericht gegen VW durchsetzen. Also auch von der juristischen Front kommen wohl weitere hohe Belastungen auf VW zu.

Der Wind gegen VW hat sich gedreht: Davon zeugen ein zunehmend genervter und härter durchgreifender Verkehrsminister Andreas Scheuer, der gegenüber Auto-Bossen mit Milliardenstrafen droht, Gewinnabschöpfungen im zehnstelligen Bereich, Ex-VW-Manager, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden, ständige Razzien in Wolfsburg und Ingolstadt, Oberwasser von VW-Klägern vor Gericht und bald das scharfe Schwert der Sammelklage sowie eine EU, die Deutschland wegen zu milden Umgangs mit VW verklagt.

Der Konzern, dessen Führungskräfte über Jahrzehnte annahmen, irgendwie immer ein bisschen über dem Gesetz zu schweben, ist ein Getriebener geworden. Das ist gut so, denn wohl nur unter diesem Druck wird sich VW wandeln.
Eine Milliarde für den deutschen Staat aus der VW-Kasse ist kein billiger Deal, es ist ein gutes Signal: VW muss bluten, darf aber weiterleben.

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