Mit dem Roboter in der Fahrerkabine Wie Daimler Truck autonome Lastwagen durch die USA schickt

Unterwegs auf Amerikas Autobahnen: Seit mehr als zwei Jahren testet Torc Robotics im Süden der USA das autonome Fahren. Unser US-Korrespondent ist im Robo-LKW mitgefahren. Quelle: PR

Im US-Bundesstaat New Mexico testet Daimler Truck selbstfahrende Lastwagen. Nun soll mit Partnern ein Verteilnetz für autonome Fracht entlang der Interstates aufgebaut werden. Unser Korrespondent ist mitgefahren.

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Es ist kalt an diesem Frühlingsmorgen in Albuquerque im US-Bundesstaat New Mexico, nur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Kurz nach sieben Uhr klettert Jeremy in seinen Freightliner Cascadia, löst die Bremse und fährt mit der Zugmaschine samt vollbeladenem Auflieger vom Depot. Es geht über den Lomas Boulevard, dann auf die Locust Street, scharf links auf die Oak Street und schließlich auf die Interstate 25 in Richtung Santa Fe. Der Cascadia, das Flaggschiff der Freightliner Sparte von Daimler Truck, fädelt sich behutsam in den bereits dichten Berufsverkehr, wechselt schon einen Kilometer vor einer Baustelle die Spur. Als sich ein schwarzer SUV etwas zu dicht vor ihn setzt, bremst der Sattelschlepper stark und fährt dann nur langsam wieder an, um Sicherheitsabstand zu gewinnen.

Was für ein vorbildlicher Fahrer Jeremy zu sein scheint, zeigt sich auch nach der Ausfahrt von der Interstate vor einer Ampel, die schon ziemlich lange auf Grün steht. Fast jeder Fahrer würde beschleunigen, um die Grünphase noch mitzunehmen. Jeremy fährt stattdessen langsamer, um dann prompt bei Rot stoppen und warten zu müssen. Falls es ihn in den Fingern juckt – er hat sogar ein spezielles Stunt-Training für Truck-Fahrer absolviert –, lässt er sich das nicht anmerken. Er kann nicht anders. Denn die Gelassenheit und das übervorschriftsmäßige Fahren werden von einem Computer diktiert, der links hinter ihm in der Fahrerkabine angebracht ist. Bis auf ein kurzes Baustellen-Stück direkt am Depot ist der Sattelschlepper die ganzen 20 Minuten vollautomatisch gefahren. Der menschliche Fahrer war nur Aufsichtsperson.

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„Jeremy hat nur einmal übernommen, auf der Auffahrt“, sagt Walter Griggs von der Daimler Truck Tochterfirma Torc Robotics, der hinter dem Fahrer sitzt und auf ein Display schaut. Was an einem Schlagloch lag. Jeremy, dessen Hände die ganze Zeit aus Sicherheitsgründen direkt über dem Lenkrad schweben müssen, hat bei der Erschütterung unfreiwillig ins Steuer gegriffen und der Computer hat wie vorgesehen sofort an ihn übergeben. „Sorry“, sagt Jeremy. Seit mehr als zwei Jahren testet Torc Robotics im Süden der USA, vornehmlich im US-Bundesstaat New Mexico, das autonome Fahren. Eine Handvoll von speziell aufgerüsteten Cascadias mit Codenamen wie San Mateo oder Anika – benannt nach einer deutschen Mitarbeiterin – hat seitdem Tausende von Testfahrten innerhalb von Albuquerque und bis ins vier Stunden entfernte Amarillo in Texas autonom zurückgelegt. Statt Fracht transportieren sie Ballast – zum Beispiel Zementsäcke.

Die fünf Level des autonomen Fahrens

All das auf dem sogenannten Level 4, auf dem der Mensch eigentlich nicht mehr eingreifen soll. Echte Robo-Fahrzeuge also. Menschliche Fahrer sind bei den Tests aus Sicherheitsgründen dabei und übernehmen bei Situationen wie Glatteis, engen Baustellen oder Fußgängern am Rande der Interstate. Nie, versichert Griggs, habe man einen Unfall verursacht.

Daimler Truck – seit Dezember ein eigenständiger, börsennotierter Konzern – mangelt es nicht an Ambitionen. Das Unternehmen, in den USA Marktführer bei Lastwagen, will in diesem Jahrzehnt sowohl Elektro- als auch Wasserstoff-Trucks in größerer Zahl auf die Straße bringen. Doch der autonome Lkw-Transport ist das kühnste Vorhaben. Es dient zugleich als Statement, dass der Stuttgarter Konzern nicht nur Traditionen pflegt, sondern sich auf die Zukunft einlässt.

„Autonome Systeme werden weder müde noch unaufmerksam“

Wie wichtig man das nimmt, zeigt sich daran, dass nicht nur der Nordamerika-CEO von Daimler Truck, John O’Leary, sondern auch dessen Chef Martin Daum persönlich nach Albuquerque gekommen sind, um die nächste Stufe des Programms vorzustellen. Zusammen mit führenden amerikanischen Logistik-Unternehmen wie Penske, Ryder und Schneider will man autonome Lastwagen in einem „Hub-to-Hub“-System vom Test in die Praxis bringen. Die Idee dahinter, so erläutert Daum: Menschliche Fahrer sollen die Fracht zunächst an einen Transfer-Hub bringen. Also beispielsweise vom Hafen in Los Angeles in Lagerhäuser außerhalb von Ballungszentren. Dort wird die Ladung im Fernverkehr, größtenteils auf Interstates, autonom in den nächsten Hub geliefert, um dort wiederum von menschlichen Fahrern in die Stadtgebiete gebracht zu werden.

Autonomer Warentransport: Künftig könnten die Robo-LKW einen Teil der Fahrten zwischen den Ballungszentren übernehmen. In der Stadt soll dann wieder der Mensch ran. Quelle: PR

Die Vorteile sind offensichtlich: „Autonome Systeme werden weder müde noch unaufmerksam“, sagt Daum. Sie könnten zudem das wachsende Problem des Fahrermangels lösen oder zumindest entspannen. Allein in den USA, so schätzt der Interessensverband American Trucking Associations, fehlen derzeit 80.000 Lkw-Fahrer. Der Mangel soll sich bis Ende des Jahrzehnts verdoppeln. Obwohl Gehälter von mehr als 100.000 Dollar mittlerweile keine Seltenheit sind. Doch der Job ist verantwortungsvoll und hart, mit stundenlangen Staus, vielen Übernachtungen in der Fahrerkabine, fern von der Familie.

Daum hofft, mit dem Fokus auf die „erste Meile“ den Job attraktiver zu machen: „Die Leute können dann abends bei ihrer Familie sein“. Zugleich hilft die Aufgabenteilung dabei, die Gewerkschaften zu beschwichtigen. Die sehen die autonomen Lkw kritisch.

Unzählige offene Stellen, Gehälter von 100.000 Euro – der massive Mangel an Lkw-Fahrern trifft die Logistikbranche hart. Die Industrie arbeitet an einer Lösung: Autonome Laster. Wie weit ist die Technik? Eine Probefahrt.
von Andreas Menn

Schließlich sind die Robo-Kollegen Effizienz-Monster. Im Gegensatz zu Fahrern aus Fleisch und Blut brauchen die Silizium-Kollegen keine Pause, können den Lastwagen rund um die Uhr steuern, Tanken und Wartung mal ausgeklammert. Die autonomen Lkw möglichst ständig am Laufen zu halten, ist schon aus Kostengründen nötig. Denn die Robo-Trucks werden, so gibt Daum unumwunden zu, „in der Anschaffung natürlich teurer sein.“ Was nicht nur an einer Armada von Sensoren liegt, damit sich das Fahrzeug orientieren kann, sondern auch an einem zusätzlichen Brems- und Lenkungssystem. Nicht zu vergessen das Abo für die notwendige Software und die Einsatzzentrale dahinter. Die Einsparungen beim menschlichen Personal und die bessere Auslastung sollen diese Mehrkosten wettmachen.

Daum erhofft sich zusätzliche, wiederkehrende Einnahmen. Er stellt jedoch auch klar, dass Daimler Truck nicht vorhabe, selbst als Robo-Truck-Betreiber aufzutreten. „Wir machen unseren Kunden keine Konkurrenz.“

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