Die Autoindustrie ist im Umbruch. Megatrends wie das autonome Fahren, Elektroantriebe oder die zunehmende Vernetzung der Autos treiben Autobauer wie Zulieferer um. Als wären diese Herausforderungen nicht schon groß genug, greift der branchenweite Abgasskandal auch das eigentlich gesunde Kerngeschäft derzeit an.
In der öffentlichen Debatte über Abgase, Elektroautos und auch Jobs stehen vor allem die großen Autokonzerne im Fokus. Mehr als zwei Drittel eines Autos werden aber nicht von dem Autobauer selbst hergestellt, die Teile kommen von unzähligen Zulieferern. Ändert sich das Kaufverhalten der Kunden (im Juni hatten nur noch knapp 40 Prozent der neu zugelassenen Autos einen Dieselmotor – fast 20 Prozent unter Vorjahr), sind auch diese Unternehmen im Hintergrund betroffen.
„Die neue ‚Dieselangst‘ der Kunden hat eklatante Folgen für die großen Autokonzerne: Das so wichtige Flottengeschäft steht vor einem gewaltigen Umbruch“, sagt Cedric Perlewitz, Sektor-Head Automotive bei der Commerzbank. „Damit sind die Autohersteller gefordert, ihren Strategiewandel in Richtung Elektromobilität erheblich zu beschleunigen.“
Die weltweit größten Autozulieferer
Faurecia (Frankreich)
Umsatz 2016: 18,711 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 18,770 Milliarden Euro
Veränderung: -0,3 Prozent
Hauptprodukte: Sitze und Innenausstattung
Quelle: Berylls Strategy Advisors, Stand: Juni 2017
Michelin (Frankreich)
Umsatz 2016: 20,907 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 21,199 Milliarden Euro
Veränderung: -1,4 Prozent
Hauptprodukte: Reifen
Bridgestone-Firestone (Japan)
Umsatz 2016: 22,485 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 24,094 Milliarden Euro
Veränderung: -6,7 Prozent
Hauptprodukte: Reifen
Aisin (Japan)
Umsatz 2016: 27,977 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 24,133 Milliarden Euro
Veränderung: +15,9 Prozent
Hauptprodukte: Getriebe, Bremssysteme, Karosserie- und Motorenteile
Hyundai Mobis (Südkorea)
Umsatz 2016: 30,227 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 28,096 Milliarden Euro
Veränderung: +7,6 Prozent
Hauptprodukte: Cockpit-, Frontend- und Chassismodule
ZF Friedrichshafen (Deutschland)
Umsatz 2016: 32,353 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 27,113 Milliarden Euro
Veränderung: +19,3 Prozent
Hauptprodukte: Fahrwerks- und Antriebssysteme, Elektronik/Software
Magna (Kanada)
Umsatz 2016: 34,587 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 29,408 Milliarden Euro
Veränderung: +17,6 Prozent
Hauptprodukte: Karosserie & Fahrwerksysteme, Exterieur-Ausstattungen
Denso (Japan)
Umsatz 2016: 36,301 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 34,299 Milliarden Euro
Veränderung: +5,8 Prozent
Hauptprodukte: Klimasysteme, Motorsteuerung, Human-Machine-Interface
Continental (Deutschland)
Umsatz 2016: 40,550 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 39,232 Milliarden Euro
Veränderung: +3,4 Prozent
Hauptprodukte: Brems-, Fahrwerk- und Sicherheitssysteme, Reifen
Bosch (Deutschland)
Umsatz 2016: 43.936 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 41,657 Milliarden Euro
Veränderung: +5,5 Prozent
Hauptprodukte: Antriebs-, Sicherheits- und Komfortsysteme
Perlewitz und sein Team stellen am Donnerstag ihren „Sektorbericht Automobilzulieferer“ vor. Eines der Ergebnisse: In dem beschleunigten Elektro-Trend liegen für die Zulieferer Chancen, aber auch Risiken. Es sind hohe Investitionen erforderlich, um sowohl die neuen Elektro- und Hybridtechnologien zu entwickeln, und parallel den konventionellen Antriebsstrang weiter zu verbessern. Kurzfristig können die Zulieferer hier profitieren, da mit der Elektrifizierung zunächst eine höhere Wertschöpfung einhergeht. Ein Plug-in-Hybrid benötigt aufgrund seiner zwei Antriebe mehr Bauteile. Langfristig wird sich dieser Effekte jedoch ins Gegenteil verkehren, da reine Elektroantriebe mit wesentlich weniger Teilen auskommen.
2017 wird es Rekordumsätze geben
Dazu kommt: „Die Erwartungshaltung der Endverbraucher an die Infrastruktur ist groß, aber der Druck der Politik auf die Hersteller noch viel größer“, so Perlewitz. „Insofern stellt der Ausblick auf einen wachsenden Markt für E-Autos einerseits einen Segen dar. Der Fluch aber liegt für die Branche sowohl in den Kosten für Forschung und Entwicklung als auch im zeitlichen Druck.“
Die Margen der Autozulieferer werden sinken
Eigentlich hatten sich die deutschen Autohersteller auf einen Massenmarkt mit E-Autos erst gegen Ende des nächsten Jahrzehnts eingestellt. Dies wird von immer mehr Experten nun deutlich früher erwartet.
Der Druck wird auch an einer anderen Stelle größer: der Ertragslage. „Wir erwarten für die Automobilzulieferindustrie im Jahr 2017 einen erneuten Rekordumsatz in Deutschland in Höhe von 78,9 Milliarden Euro“, sagt der Commerzbank-Experte. „Aufgrund hoher Investitionskosten und eines verstärkten Wettbewerbs gehen wir ab 2018 von einer gedämpften Ertragslage aus.“
Und auch davon werden nicht alle Unternehmen gleich stark betroffen sein. Die 25 größten der 624 Unternehmen, die 2016 in der Branche aktiv waren, erwirtschaften 50,2 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche – obwohl sie nur 4,0 Prozent der registrierten Firmen ausmachen. Auch die Gewinne geraten unter Druck: Allgemein geht die Commerzbank davon aus, dass die Ebit-Margen von derzeit 4,1 Prozent auf durchschnittlich 3,4 Prozent sinken werden.
Unternehmenskonzentration in der Zuliefererindustrie
... erwirtschaften 27,8 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche, machen aber nur 1,0 Prozent der Unternehmen aus.
Quelle: Destatis
... erwirtschaften 33,8 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche, machen aber nur 1,6 Prozent der Unternehmen aus.
... erwirtschaften 50,2 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche, machen aber nur 4,0 Prozent der Unternehmen aus.
... erwirtschaften 63,2 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche, machen aber nur 8,0 Prozent der Unternehmen aus.
... erwirtschaften 77,0 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche, machen aber nur 16,0 Prozent der Unternehmen aus.
Die Investitionskosten ergeben sich zum einen aus dem Aufwand für Forschung und Entwicklung – jeder der Megatrends für sich ist kostspielig. Daneben sind auch hohe Investitionen in die Produktion selbst notwendig. Teils wegen vernetzten Industrie-4.0-Anwendungen, teils wegen der Standorte. Die Autobauer fertigen stärker als das gesamte verarbeitende Gewerbe in den Absatzmärkten selbst – ein Trend, der in den vergangenen Jahren sogar noch zugenommen hat.
Für einige Zulieferer ist das eine Herausforderung. „Die großen Zulieferer haben mit dem Trend zu einer lokalen Produktion kein Problem, weil sie in den meisten Märkten ohnehin bereits vertreten sind“, sagt Studienautor Perlewitz. „Für einige Mittelständler ist eine solche Investition eine große Zukunftsfrage.“
So wichtig ist die Autoindustrie für Deutschland
Erst der Skandal um manipulierte Abgaswerte, dann der Kartellverdacht gegen BMW, Daimler, Volkswagen und Co. Es drohen Strafzahlungen und Schadenersatz - und das in einer Zeit, in der die deutschen Autobauer durch neue Konkurrenten wie den Elektroauto-Hersteller Tesla oder Trends wie dem autonomen Fahren ohnehin vor großen Herausforderungen steht. Ein Überblick, wie wichtig die Autobranche für Deutschland ist.
Quelle: Reuters
Gemessen am Umsatz ist die Autobranche der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland: Die Unternehmen erwirtschafteten 2016 einen Umsatz von mehr als 405 Milliarden Euro. Das entspricht rund 23 Prozent des gesamten Industrieumsatzes. Mittelständisch geprägte Zulieferer sind für den Großteil der Wertschöpfung - etwa 70 Prozent - verantwortlich. Insgesamt werden mehr als 1300 Unternehmen der Branche zugerechnet.
Die Autounternehmen zählen in Deutschland direkt mehr als 800.000 Mitarbeiter. Indirekt sind es viel mehr, da für die Fahrzeugfertigung viele Teile, Komponenten und Rohstoffe zugekauft werden - etwa in der chemischen Industrie, der Textilindustrie, bei Maschinenbauern sowie in der Elektro-, Stahl- und Aluminiumindustrie. Auch Autohändler, Werkstätten und Tankstellen sowie weitere Dienstleister - etwa Versicherer - sind von der Autokonjunktur abhängig.
Fahrzeuge sind der größte deutsche Exportschlager. Mehr als drei Viertel der in Deutschland hergestellten Pkw werden exportiert: 2016 waren es gut 4,4 Millionen. Die Ausfuhren von Kraftwagen und Kraftwagenteilen summierten sich 2016 auf mehr als 228 Milliarden Euro. Das entspricht fast einem Fünftel der gesamten deutschen Exporten. Ein Großteil des Auslandsumsatzes wird in den EU-Ländern erwirtschaftet.
Weltweit investierte die deutsche Autoindustrie zuletzt fast 39 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE). Im Deutschland sind es knapp 22 Milliarden Euro, was mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben der heimischen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung entspricht. Mehr als 110.000 Mitarbeiter sind in den Entwicklungsabteilungen beschäftigt. Von den weltweit 3000 Patenten zum autonomen Fahren entfallen etwa 58 Prozent auf deutsche Firmen.
Ein mögliches Szenario: Ein Autobauer eröffnet ein neues Werk, zum Beispiel in Russland. Der Autobauer würde gerne auch dort mit seinen etablierten Lieferanten zusammenarbeiten. Doch nur für einen Kunden ein Produkt zu fertigen, ist vielen Mittelständlern kaufmännisch zu riskant. „Oft ist aber die Anfrage eines Autobauers, für ihn in einem Markt zu produzieren, der Anlass um dort eine Produktion für mehrere Kunden aufzubauen“, sagt Perlewitz.
Verstärkt wird dieser Trend von den modernen Baukasten-Strategien. Bauteile werden nicht mehr nur in einem Modell oder den Modellen einer Plattform eingebaut, sondern werden in ganz unterschiedlichen Fahrzeugen eines Konzerns eingesetzt. „Wenn sie eine Chance haben wollen, mit Branchengrößen wie VW oder Daimler im Geschäft zu bleiben, müssen sie global liefern können“, so der Commerzbank-Experte. „Und auf drei Kontinenten für einen Baukasten Teile zu liefern, klappt nur mit lokaler Produktion.“
Da die Teile dann millionenfach verwendet werden, sei das gute Qualitätsmanagement der deutschen Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Allgemein gibt sich Perlewitz wenig besorgt, da die Unternehmen seit der Krise ihre Hausaufgaben gemacht hätten und nun aus einer Position der Stärke den Wandel anstoßen können.