
Seit 85 Tagen ist Volkswagen im Ausnahmezustand. Und damit auch Matthias Müller, der am 25. September den Chefposten von Martin Winterkorn übernommen hat. Viel Zeit zum Verschnaufen hatte der 62-Jährige nicht. Und das sieht man ihm auf der Pressekonferenz in Wolfsburg auch an, zu der der Konzern geladen hatte, um über Details über die Aufklärung und die künftige Ausrichtung des Konzerns zu sprechen.
Der Konzernlenker wirkt müde. Aber auch hoffnungsvoll. „Wir sind an einem Punkt, wo wir Licht am Ende des Tunnels sehen“, sagt er vor rund 300 Journalisten.
Matthias Müller über...
"VW hat die Lage im Griff und wird die Krise aus eigener Kraft bewältigen."
"Werden es nicht zulassen, dass uns diese Krise lähmt. Im Gegenteil: Wir nutzen sie als Katalysator für den Wandel, den Volkswagen braucht."
"Ein Unternehmen unserer Größe kann nicht mit den Strukturen von gestern gesteuert werden. Schon gar nicht in unserem Umfeld, das sich so schnell ändert."
"Unsere wichtigste Währung sind nicht Stückzahlen oder operative Kennzahlen, sondern Vertrauen in Unternehmen und Produkte."
"Wir haben keinerlei Veranlassung von unserer im Oktober angepassten Jahresprognose abzurücken."
"Wir werden alles streichen und verschieben, was jetzt nicht zwingend notwendig ist. Wir werden uns aber sicher nicht kaputt sparen."
"Überlegungen, einzelne Konzernteile zu verkaufen, stellen wir derzeit nicht an. Zu keiner Sekunde."
"Natürlich ist das Image des Diesels beschädigt."
"Just do it."
Allmählich lichtet sich das Chaos, das die US-Umweltbehörden mit der Veröffentlichung des Betrugs bei den Abgaswerten von VW-Modellen ausgelöst hatten. Für die betroffenen Diesel-Fahrzeuge in Europa gibt es verhältnismäßig günstige, technische Lösungen. Die 1,2 und 2,0 Liter Motoren werden mit einer Software ausgerüstet, damit sie den Vorgaben entsprechen, der 1,6 l-Motor bekommt zusätzlich neue, aber günstige Hardware.
Über 100 Terabyte Daten wurden gesichert
In den USA arbeite man weiter an einer Lösung, mit dem sich die Umweltbehörden zufrieden geben. „Wir hoffen schon in wenigen Tagen etwas Neues melden zu können“. Die Aufarbeitung sei wegen der dort deutlich strengeren Vorschriften für Stickoxide (NOx) ungleich komplexer. Ohne den finalen Austausch mit den US-Behörden wollen sich weder Müller noch der Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch dazu weiter äußern.
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Stattdessen präsentierten VW-Chef und Chefkontrolleur die Schritte, die der Autobauer in den vergangenen zweieinhalb Monaten unternommen hat, um den Fall „Dieselgate“ aufzuklären.
Über 100 Terabyte Daten wurden gesichert – eine schier unfassbare Menge, die rund 50 Millionen Büchern entspricht. 450 interne wie externe Experten sind an der Aufklärung der Geschehnisse beteiligt. Den Ursprung habe der Skandal in einer Fehlerkette, die nie unterbrochen wurde, erklärte Chefaufseher Pötsch. Die groß angelegte Dieseloffensive in den USA, die Erkenntnisse, dass man die Grenzwerte mit zulässigen Mitteln und innerhalb des vorgegeben Zeit- und Kostenrahmens nicht schaffen werde, der Einbau der Software und schließlich, dass man diese nicht ersetzt habe, als man im weiteren Verlauf ein effektives Verfahren zur Stickstoffreduktion gehabt hätte.
Schließlich hätten das individuelle Fehlverhalten und persönliche Versäumnisse einzelner Mitarbeiter Schwachstellen in einigen Prozessen offenbart. Die Haltung, Regelverstöße zu tolerieren, die in einigen Teilbereichen des Konzerns geherrscht habe zu dem geführt, was VW euphemistisch „Diesel-Thematik“ nennt. „Im Rückblick wirkt das alles sehr banal“, gesteht Pötsch. Nur durchbrochen hat diesen Teufelskreis keiner.
Die Folgen von Dieselgate
Die Entwicklung der Motorsteuergeräte-Software erfolgt in Zukunft unter strikter Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips.
Emissionstests werden künftig grundsätzlich extern und unabhängig überprüft.
Die Prüfstandswerte sollen stichprobenartig mit Real-Life-Test zur Emissionseinhaltung auf der Straße überprüft werden.
Seit Beginn des Jahres 2015 sind 6 von 10 Vorstandsposten neu besetzt worden. Zudem wurden neue Posten außerhalb des Vorstands – etwa der des Chefstrategen oder Leiter der Digitalisierung – geschaffen.
Sieben von dreizehn Markenchefs inklusive der Konzernspitze wurden im Laufe des Jahres 2015 ausgetauscht.
Bis konkrete Namen fallen, die Identitäten jener Personen bekannt gegeben werden, die aktiv am Betrug beteiligt waren, wird es noch Monate dauern. Hier will VW nicht vorgreifen, die Beweisführung muss auch vor Gericht hieb- und stichfest sein. Wir sind dabei schonungslos aufzuklären, wer dafür verantwortlich ist“, so Pötsch. „Und glauben sie mir, wir werden die betreffenden Personen zur Rechenschaft ziehen. Dennoch muss Sorgfalt nun das höchste Gebot sein.“ Erst zur Hauptversammlung am 21. April 2016 soll die Untersuchung abgeschlossen sein.
Diese Zeit will Müller nutzen, um die strategische Neuausrichtung des Konzerns voranzutreiben.