




Die erneuten Rückrufe des japanischen Airbag-Herstellers Takata treffen nur einen deutschen Hersteller: BMW. Die Bayern beziehen seit vielen Jahren Teile des Zulieferers. Ende des vergangenen Jahres bestätigten die Münchener, die geschäftlichen Beziehungen zu Takata aufrecht zu erhalten. Kein Wunder, denn es gibt kaum Alternativen. Wie in vielen anderen Bereichen der Autozuliefererindustrie ist wegen des hohen Preisdrucks und immer höheren Anforderungen an eine globale Verfügbarkeit der Produkte auch die Zahl der Airbag-Hersteller weltweit auf eine Handvoll geschrumpft:
Marktführer mit fast 25 Prozent ist der schwedische Zulieferer Autoliv. Weitere Anbieter sind TRW Automotive, seit kurzem Teil des Getriebespezialisten ZF Friedrichshafen, sowie das japanische Unternehmen Daicel.
Gründe für die wachsende Zahl von Rückrufen
Die Hersteller bringen unter dem enormen Wettbewerbsdruck in immer kürzeren Zyklen neue Baureihen, Modelle und Produktderivate in Umlauf. Automobilunternehmen, denen es gelingt, mit einer großen Produktbreite sowie ständigen Modellneuheiten und technischen Innovationen in den Weltmärkten präsent zu sein, haben im globalen Wettbewerb enorme Vorteile. Es besteht jedoch dabei die Gefahr, dass Hersteller vor dem Hintergrund hoher Wachstumsziele und kürzerer Produktentwicklungszyklen dem Thema der Qualitätssicherung nicht den notwendigen Stellenwert beimessen.
Der Wertschöpfungsanteil der Zulieferer ist mittlerweile auf rund 75 Prozent gestiegen. Gleichzeitig wachsen mit dieser Verlagerung auch die Anforderungen an unternehmensübergreifendes, globales Qualitätsmanagement. Mit der Sicherung der Teilequalität der globalen Lieferanten einher geht ein hoher Kostendruck, den die Hersteller auf die Automobilzulieferer ausüben. Hier besteht die Gefahr, dass die geforderten Einsparungen auf Kosten der Teilequalität gehen. Die Komplexität des Qualitätsmanagements steigt, da auch die Qualität der international verteilten Produktionsanlagen der Zulieferer durch Prozesse abgesichert werden muss.
Die Autokonzerne setzen immer stärker auf Modulbaukästen. Das bedeutet, dass die Anzahl gleicher Teile über Modelle und Baureihen von Herstellern hinweg stark ansteigt. Daraus ergeben sich große Kostenvorteile, doch es macht die Hersteller auch sehr verwundbar. So kann ein fehlerhaftes Teil, etwa eines Zulieferers, das in verschiedene Modelle sogar von verschiedenen Herstellern - eingebaut ist und mehrere Jahre verbaut wurde, millionenfache Rückrufe zur Folge haben. Jüngstes Beispiel hierfür sind die Airbagprobleme des japanischen Zulieferers Takata, die in 2013 zu millionenfachen Rückrufen etwa bei Toyota, Honda und Nissan sowie BMW geführt haben. Für Hersteller sind diese Rückrufe nicht nur teuer, sondern können auch das Qualitätsimage stark belasten.
Einen kurzfristigen Wechsel von einem Airbag-Modell auf das andere haben die betroffenen Unternehmen bereits bei der ersten Rückrufwelle ausgeschlossen. Bei Toyota würde ein Zuliefererwechsel rund ein Jahr dauern. Bei GM und Mazda hält man den Wechsel ebenfalls für problematisch. „Unsere Airbags sind von Takata speziell auf BMW zugeschnitten“, erklärte BMW-Sicherheitsingenieur Sam Campbell vor einigen Monaten gegenüber der WirtschaftsWoche.
Franz Sauter, bei BMW zuständig für das Qualitätsmanagement im Vertrieb, sagt über die aktuelle Lage: "Wir haben zur Überprüfung der Beifahrer-Airbags im Juni 2014 präventiv einen weltweiten Rückruf der BMW 3er Modelle aus den Jahren 2000 bis 2006 gestartet. Alle Halter wurden informiert. Diese Maßnahme wird derzeit noch umgesetzt. Zusätzlich gab es ausschließlich in den USA noch einen Rückruf, der die Fahrer-Airbags betrifft. Auch diese Maßnahme läuft." Gut 1,6 Millionen BMW betraf der Rückruf wegen möglicherweise mangelhafter Beifahrer-Airbags, zur Kontrolle der Fahrer-Airbags wurden 140.000 amerikanische Modelle in die Werkstätten beordert.
Ob der nun ausgelöste Rückruf von 33,8 Millionen Autos in den USA für BMW noch weitere Folgen hat, prüfen derzeit die Ingenieure des bayerischen Premiumherstellers. "Die Ergebnisse werden in den nächsten Tagen vorliegen", sagt Sauter.
Takata hat informiert, dass Probleme bisher nur bei Fahrzeugen aufgetreten sind, die über Jahre hoher Luftfeuchtigkeit ausgesetzt waren. Das ist in den Südstaaten der USA, besonders in Florida der Fall. "Es ist noch kein einziges BMW Modell betroffen", stellt Sauter fest. Bisher habe es nur Meldungen von Konkurrenzprodukten gegeben.
Fünf Gründe für die häufigen Rückrufe
Die technische Komplexität der Fahrzeuge ist in den letzten 10 bis 15 Jahren enorm gestiegen, wodurch die Fahrzeuge zwar grundsätzlich sicherer geworden sind. Allerdings führte die technische Komplexität auch zu einem Anstieg der Fehlerhäufigkeit und Fehleranfälligkeit. Hierzu tragen unter anderem passive und aktive Sicherheitssysteme (wie ABS, ESP, Airbags; Fahrassistenzsysteme) bei, die gleichzeitig die Fahrzeugsicherheit deutlich erhöht haben. Darüber hinaus sind motortechnische Optimierungen (Start/Stopp-Systeme, Aufladung etc.) sowie zahlreiche Komfortmerkmale wie etwa Navigations-, Telefon und Internetdienste im Fahrzeuge zu nennen. Es ist zu erwarten, dass im Zuge der Entwicklung weiterer Komfort- und Sicherheitsfeatures auch künftig der Komplexitätsgrad der Fahrzeuge zunimmt.
Quelle: "Die Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller im Jahr 2014 (AutomotivePeformance 2015)" des Center of Automotive Management
Die Produktentwicklungszyklen wurden in den vergangenen zehn Jahren deutlich verkürzt. Aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität der Branche bringen die globalen Hersteller in immer kürzerer Zeit neue Modelle bzw. Derivate in Umlauf und verbreitern damit ihr Produktportfolio kontinuierlich. Wer es schafft, mit neuen Modellen beziehungsweise Modellvarianten schnell am Markt zu sein, hat im globalen Wettbewerb Vorteile. Der hohe Zeitdruck in der Produktentwicklung wirkt sich negativ auf
die Qualitätssicherung aus.
Um Kosten-, Zeit- und Innovationsvorteile zu realisieren, wurden erhebliche Teile der Wertschöpfung auf die Automobilzulieferer übertragen. Ihr Wertschöpfungsanteil ist mittlerweile auf rund 75 Prozent gestiegen. Gleichzeitig steigen mit dieser Verlagerung die Anforderungen an unternehmensübergreifendes Qualitätsmanagement, das darüber hinaus auf globaler Ebene sichergestellt werden muss. Es muss einerseits nicht nur die eigene Produktqualität, sondern auch durch geeignete Prozesse die Teilequalität der globalen Lieferanten gesichert werden. Andererseits steigt die Komplexität eines Qualitätsmanagement auch dadurch, dass die Automobilhersteller nicht nur die zugelieferten Teile, sondern meist auch die Qualität der international verteilten Produktionsanlagen ihrer Zulieferer einschätzen und durch Prozesse absichern müssen.
Die Automobilhersteller stehen aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität auch unter enormen Kostendruck. Gleichzeitig geben die Hersteller den Kostendruck an die Automobilzulieferer weiter, die dazu angehalten sind, ihre eigene Kosten beziehungsweise die ihrer Teile- und Rohstofflieferanten zu drücken. Hier besteht die Gefahr, dass der Kostendruck auf zu Ungunsten der Produktqualität geht.
Um Kosten zu sparen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen, müssen die Hersteller zunehmend auf Gleichteile- oder Baukastenstrategien setzen. Hierbei nutzen die OEM die gleichen Komponenten und Module in möglichst vielen Modellen, um von den hiermit verbundenen Mengeneffekten zu profitieren. So plant BMW etwa die Zahl der hergestellten Fahrzeuge je Plattform bis zum Jahr 2019 etwa zu verdoppeln, Volkswagen (durch die Einführung des MQB) diese sogar fast zu verdreifachen. Diese Strategie entwickelt sich zu einem wichtigen Erfolgs- und Überlebensfaktor der Hersteller, da sich aus ihr erhebliche Kostenvorteile ergeben können. Gleichzeitig steigt jedoch das Risiko, dass bei Qualitätsproblemen einzelner Teile oder Komponenten eine große Menge von Fahrzeugen über Baureihen hinweg zurückgerufen werden müssen.
Die fehlerhaften Airbags hatten BMW auf dem Referenzmarkt USA im vergangenen Jahr eine sehr hohe Rückrufquote von 227 Prozent beschert. Das heißt, auf jedes neu zugelassene Modell kamen mehr als zwei alte Modelle zur Überprüfung zurück in die Werkstatt. In Deutschland lag die Quote mit 159 Prozent etwas niedriger.
Das Jahr 2014 ging dank Takata mit deutlichem Abstand als Negativ-Rekordjahr in punkto Rückrufe in die Automobilgeschichte ein. Nach Berechnungen des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach wurden im Jahr 2014 allein in den USA über 62,7 Millionen Autos zurückgerufen. Damit wurden mehr als doppelt so viele Fahrzeuge wegen sicherheitsrelevanter Mängel in die Werkstätten beordert wie im bisherigen "Spitzenjahr" 2004.
Wesentlich schlimmer als BMW traf es allerdings General Motors. Der amerikanische Branchenprimus rief in 84 Rückrufaktionen allein im US-Markt insgesamt fast 27 Millionen Fahrzeuge zurück und damit rund 40 Prozent aller seiner dort befindlichen Pkw. Das entspricht einer Rückrufquote von 912 Prozent.
Studien-Leiter Stefan Bratzel: "Nur wenn die Hersteller die Qualitätsmängel schnell und unkompliziert beseitigen, können sie eine nachhaltige Verstimmung der Kunden vermeiden. Hier fehlt es teilweise an Sensibilität, aber auch an effizienten Eskalationsmechanismen." Grundsätzlich müssten die Autohersteller noch vielerorts ihre Qualitätsmanagementsysteme an die neuen globalen Produktentwicklungs- und Produktionsprozessen anpassen.
Ein Image-Schaden für BMW zeichnet sich durch die Rückrufe nicht ab. Holger Geißler, Vorstand des Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov in Köln: "Wie sehen bislang keinen Effekt, sowohl in Deutschland, als auch nicht in den USA." Der Marken-Experte glaubt nicht, dass der Takata-Rückruf zu Image-Krisen bei BMW oder anderen Automarken führen wird. Geißler: "In erster Linie ist das ein Image-Problem für Takata." Rückrufe hätten der Marke BMW in der Vergangenheit zumindest in Deutschland "nie nachhaltig" geschadet. "Dafür ist die Marke zu stark und die deutsche Presse geht zumeist gnädig mit BMW um. Da die Ursache für den Rückruf bei einem Zulieferer liegt, würde es mich sehr überraschen, wenn BMW oder eine der anderen betroffenen Marken einen Imageschaden erleiden würden."