Neue Automesse in München Die fünf spannendsten Hingucker der IAA

Microlino Quelle: PR

Die Internationale Automobilausstellung (IAA) in München will Mobilität neu denken. Ein Rundgang über die Messe zeigt fünf wichtige Erkenntnisse – und ein Schweizer Unternehmen, das die Hallen rockt.

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Die Knutschkugel kommt zurück: 2,4 Meter lang, zwei Sitze, voll elektrisch. In grellem Mintgrün steht das Auto in Halle B.3, unweit der Volkswagen-Ausstellung. Beim Vorbeigehen zeigen Besucher auf das Mini-Gefährt, einige stehen sogar Schlange für eine Sitzprobe. Die Tür des Microlino öffnet sich nach vorne weg – wie einst die Isetta von BMW. Und es ist auch kein Zufall, dass das Auto so aussieht wie die Ikone aus den Fünfzigern. „Das Design ist angelehnt an die Isetta“, sagt Oliver Ouboter, Sohn des Unternehmensgründers und verantwortlich für die Produktion des Autos. 

Das Schweizer Unternehmen Microlino hat einen Nerv getroffen – nicht nur auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in München. Auch beim Endverbraucher kommt das Gefährt offenbar gut an. 24.000 Vorbestellungen verzeichne das Unternehmen – ganz „ohne Aufnahme von Fremdkapital“, sagt Ouboter. Das Auto fährt bis zu 90 Kilometer pro Stunde, wiegt nur 435 Kilogramm und hat eine Reichweite von 125 Kilometern. Kaufpreis: ab 12.500 Euro. Für ein paar Tausend Euro mehr gibt es das Modell mit einer Reichweite von 200 Kilometern. 

Der Microlino ist eine Schweizer Erfolgsgeschichte – und verbindet gleich mehrere Trends der IAA in sich: praktisch, preiswert, publikumswirksam. Die IAA will sich verändern. Einiges gelingt ihr, anderes eher nicht. Aber eines zeigt die IAA ganz besonders: Wer bei der Zukunft der Mobilität vorne weg fahren will, muss sich verändern. Viele Unternehmen haben die Transformation gestartet – und wandeln sich. Die fünf spannendsten Erkenntnisse der IAA.

von Martin Seiwert, Henryk Hielscher, Andreas Macho, Annina Reimann, Christian Schlesiger, Peter Steinkirchner

1. Smart und preiswert ist das neue Cool

Der Microlino wird gebaut in Turin, Italien. Das Schweizer Familienunternehmen ist an sich ein Experte der Mikromobilität: Gründer Wim Ouboter entwickelte einst den Mikro-Scooter, ein elektrischer Tretroller, der eingeklappt in jeden Smart passen sollte. Die Firma verkaufte mehr als 90 Millionen Stück davon – und hat damit die finanzielle Grundlage für die Expansion gelegt. Nun wollen seine beiden Söhne beweisen, dass sie auch das passende Auto für den Scooter selbst entwickeln können. 2015 haben sie mit dem Projekt Microlino gestartet und mit einem Vor-Modell auf dem Genfer Salon gemerkt, dass das Interesse vorhanden ist. Nun bringen sie das Auto in Serie. Ende des Jahres kommt es in die Schweiz, im Frühjahr 2022 nach Deutschland. Das Auto ist schlicht, einfach, ohne Schnickschnack.

Preiswerte Elektromobilität ist ein wichtiger Trend der IAA. Auch Volkswagen startet mit einer Konzepstudie, die auf sich aufmerksam gemacht hat. Der ID.Life soll als Viersitzer und mit einem Basispreis von 20.000 bis 25.000 Euro neue Käuferschichten ansprechen – allerdings erst 2025. Auch an anderer Stelle der IAA dominieren praktische Gadgets. Die Kleinautos von XEV bieten Batterieaustauschsysteme an – statt immer das Auto direkt laden zu müssen. Die Idee ist nicht neu, könnte aber ein Comeback feiern.

E-Auto-Highlights dominieren
Audi-Studie Grandsphere. Quelle: Audi
Mercedes EQE. Quelle: Mercedes
BMW i4. Quelle: BMW
Renault Mégane. Quelle: SP-X Mario Hommen
Kia Sportage. Quelle: Kia
Smart Kompakt-SUV. Quelle: Smart
VW ID.Life. Quelle: VW

2. Die IT erobert den Automarkt

Viele Beobachter halten IT-Konzerne aus Amerika und Asien für die größte Bedrohung deutscher Automobilkonzerne: Wenn Software-Hersteller die Programmcodes für das Gehirn der Autos schreiben, dann bleibt für deutsche Autobauer am Ende nur die Aufgabe, die dazugehörige Karosserie zu pressen. Tatsache ist: Software ist ein Hauptbestandteil der Messe – die IAA wird zur Cebit für die Straße.

Zulieferer Schaeffler etwa hat auf der IAA gerade eine exklusive Partnerschaft mit dem US-Konzern MobileEye verkündet. Der IT-Konzern entwickelt autonome Fahrsysteme und soll auf verschiedenen Schaeffler-Plattformen zum Einsatz kommen. Schaeffler baut quasi das Chassis für andere Autohersteller – und integriert die IT gleich mit. Unterstützt werde „autonomes Fahren bis 130 Km/h“, sagte Automotive-Chef Matthias Zink bei der Präsentation. „Das Segment entwickelt sich erst.“ Es sei eine „enabling-Partnerschaft“.

Auch andere Unternehmen schmücken sich mit IT aus den USA und Asien. Der kalifornische IT-Konzern Qualcomm etwa baut zusammen mit Google die Software für Renaults neues Elektroauto Mégane E-Tech. Renault werde die Plattform Snapdragon als Infotainment-System einsetzen – natürlich mit vorinstallierten Google-Apps wie Maps und Musik.

Verlieren die Autobauer also tatsächlich Wertschöpfung an die Softwarehäuser? Auffällig ist auch das Gegenteil: Die deutschen Autobauer nehmen den Kampf auf. Gleich neben dem Volkswagen-Stand präsentiert sich die VW-Softwaretochter Cariad auf eigener Bühne. Das ist ein echtes Novum auf einer Automesse – und ein klares Signal an die IT-Konzerne in den USA und Asien: Die Deutschen wollen bei der IT den Ton angeben.

von Matthias Hohensee, Stefan Hajek, Annina Reimann, Martin Seiwert

3. Die neue Demut der Deutschen

Noch vor zwei Jahren präsentierte sich Daimler auf der IAA in Frankfurt in einer ganzen Halle. Heute reicht ein Bruchteil der Fläche, um gut ein Dutzend Autos auszustellen. Die Autos stehen oft so nah beieinander, dass Besucher Probleme haben, sich nicht gegenseitig auf den Füßen zu stehen. Aber offenbar gilt als neues Motto in Stuttgart: überzeugen statt protzen. Ein Anziehungspunkt bleibt Daimler weiterhin. Der neue Star des Konzerns: der EQE – die neue elektromobile E-Klasse. Früher hätte man dem Auto wohl eine ganze Bühne gewidmet, heute steht er wie selbstverständlich neben anderen E-Autos. Knapp 300 PS, eine Reichweite von mehr als 600 Kilometern. Früher war die E-Klasse der natürliche Freund der Taxifahrer. Heute wirkt er seiner Klientel enthoben: luxuriöser, edler, weniger Arbeitstier. Damit reiht er sich ein in die Serie elektromobiler Luxus-Autos. Der EQS, eine elektrische S-Klasse, steht nebenan. Andere Konzeptcars aus der gleichen EQ-Reihe werden vorgestellt. Nur ein Diesel-Auto zwängt sich argwöhnisch dazwischen: Die C-Klasse 220 d4Matic mit 200 PS und einer R4-Zylinderanordnung – wie ein Relikt früherer Zeiten.

Showbühne für deutsche Ingenieurskunst

4. Die Zulieferer haben verstanden

Für das Jahr 2030 zeigte sich ZF-Chef Wolf-Henning Scheider am Rande der IAA zuversichtlich: Der Umsatz mit Produkten für Autos mit E-Antrieb werde dann größer sein als der heutige Umsatz mit der wichtigen Getriebetechnologie. Das sehe er bereits am Auftragseingang. „Wir sind gut auf Kurs“, sagte er vor Journalisten. Den heutigen Umsatz mit Getrieben bezifferte er auf zehn Milliarden Euro.

Der Hochlauf der Elektromobilität habe sich in den letzten drei Jahren beschleunigt – stärker als die Autozulieferer einst für möglich gehalten haben. Aber die Zulieferer haben verstanden – und wollen neue Maßstäbe setzen. Getriebe fallen in den kommenden 20 Jahren weg. Deshalb würden in den kommenden zwei Jahren 15.000 Mitarbeiter aus der Antriebstechnik qualifiziert. In einigen Jahren könnte ZF sogar mehr Mitarbeiter haben als heute, sagte Scheider, wenn auch andere. Allerdings werde es „immer schwieriger“, Experten für die neuen Software- und IT-Themen zu gewinnen.

ZF ist damit nicht alleine. Auch Bosch und Schaeffler wandeln sich – und feiern überraschende Erfolge. Bosch etwa verkündet auf der IAA die erste Umsatzmilliarde mit Bauteilen für die Elektromobilität und blickt optimistisch in die Zukunft. Auch Schaeffler wolle die Vergangenheit mit dem Verbrennungsmotor hinter sich lassen und in die Zukunft übertragen. Im Blick hat der Zulieferer neue Geschäftsmodelle: Die herkömmliche Lenksäule werde „zeitnah“ verschwinden. Schaeffler baut versenkbare Lenkräder und sieht dort „enormes Potenzial“, sagt Automotive-Chef Zink. Ohnehin gebe es mehr Chancen als Risiken. Schaeffler ließ gerade einen Testwagen mit hohem Tempo von einem Gamer fernsteuern. Die Technik dazu lieferte Schaeffler – und freut sich über ein Orderbuch für sämtliche Geschäftsfelder in Höhe von elf Milliarden Euro. 

5. Die Welt wird autonom

An der Auffahrt zur Autobahn nimmt Martin Rahm den Fuß vom Gas. Der Softwareingenieur von Daimler will testen, ob der teilweise autonom fahrende EQS reagiert. Und tatsächlich: Das Elektroauto passt die Geschwindigkeit in der Kurve auf genau 50 Stundenkilometer an. Einmal auf der Autobahn nimmt der 51-Jährige die Hände vom Lenkrad. Sofort erscheint auf dem Display vorne eine Warnung. Kurz darauf warnt das Auto auch mit Ton. Rahm legt die Hände wieder ans Lenkrad. Das Auto gibt wieder Ruhe.

Auf der IAA können Besucher an der Bluelane eine Fahrt in einem EQS mitmachen, der die Fähigkeit zum Level 3 hat. Damit sind deutsche Autobauer möglicherweise nicht die ersten auf der Welt, aber sie zeigen: Sie sind vorne dabei. Fahrer können im schleppenden Autobahnverkehr bis zu maximal 60 Stundenkilometern die Fahraufgabe an das Auto übergeben. Nur schlafen darf er nicht. Das überwacht eine Kamera. Um das System zu demonstrieren, sucht Rahm einen Stau. Er wird rund um München fündig. Ein vorausfahrender Bus hat den Warnblinker an.



Rahm drückt einen Knopf und bestätigt. Das Auto fährt jetzt autonom. Lichter am Lenkrad leuchten plötzlich Türkis. Ein Lkw blinkt und will auf die Fahrspur des EQS wechseln. Das Auto gibt die Spur aber nicht sofort frei. Erst beschleunigt es leicht, erst dann bremst es. Rahm schaut zufrieden. Das Auto hat die Situation gemeistert. Mit der Entwicklung des Level-3-fähigen Drive Pilot ist Mercedes so gut wie fertig. Noch in diesem Jahr will Daimler das System im Flaggschiff S-Klasse anbieten. „Es ist unser Anspruch, dass das Auto besser fährt als ein Mensch. Und jetzt trauen wir uns auch, das System zu verkaufen“, sagt Rahm.

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Die IAA wird damit zu einer Showbühne für deutsche Ingenieurskunst – und ein Statement, dass in Zukunft weiter mit den Unternehmen zu rechnen ist. Die Messe will übrigens mehr sein als nur Auto. Das gelingt ihr aber nun zum Teil. Die zwei Hallen, die ausschließlich für (Elektro-)Bikes reserviert sind, werden kaum besucht. Die Vertreter der Unternehmen bleiben unter sich. Das Bike-Konzept wirkt damit wie ein Fremdkörper auf der IAA. Gut möglich, dass das Interesse steigt, wenn die Messe ab Dienstag für das Publikum geöffnet wird.

Mehr zum Thema: Die deutsche Industrie hat den Tesla-Schock überwunden und eine Jahrhunderttransformation Richtung nachhaltige Mobilität eingeleitet. Doch nicht alle werden es schaffen.

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