Der Brief erreichte BMW-Chef Norbert Reithofer am Dienstag der vergangenen Woche – keine Fanpost, sondern ein Protestschreiben von BMW-Händlern, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Die Werkstatt- und Showroom-Besitzer richten ihre Wut an den obersten Boss persönlich, weil BMW 2015 ein neues Vergütungssystem für die Vertragshändler einführen will, das nun erste Folgen zeigt.
Wer nach 2015 beim Verkauf eines BMW einen Bonus von einem Prozent des Fahrzeugpreises einstreichen will, muss bis dahin umfangreiche Umbauten der Verkaufsräume abgeschlossen haben. Die Zeit, dies zu erreichen, ist viel zu kurz, die Wunschliste der BMW-Zentrale zudem lang und teuer. „Die Vorgaben reichen von der Art, Größe und Farbe der Fliesen, bis hin zur Gestaltung der Visitenkarten“, sagt Wigbert Heil vom Verband der Deutschen BMW-Vertragshändler.
Woraus sich der Preis eines Neuwagens zusammensetzt
Der Listenpreis (brutto) des untersuchten Kompaktwagens liegt bei 26.780 Euro.
Quelle: Institut für Automobilwirtschaft (IFA)
Der Staat kassiert bei diesem Neuwagenpreis 4.276 Euro Mehrwertsteuer, was bei unserem Kompaktwagen zu einem Nettolistenpreis von 22.504 Euro führt. Dieser Nettopreis wird im Folgenden als 100 Prozent betrachtet.
9.789 Euro oder 43,5 Prozent des Nettopreises
2.250 Euro oder 10 Prozent des Nettopreises
2.138 Euro oder 9,5 Prozent des Nettopreises
1.350 Euro oder 6 Prozent des Nettopreises
1.013 Euro oder 4,5 Prozent des Nettopreises
563 Euro oder 2,5 Prozent des Nettopreises
450 Euro oder 2 Prozent des Nettopreises
Beim Händler bleiben 3.713 Euro oder 16,5 Prozent des Nettopreises hängen
Bei einem Nettopreis von 22.504 Euro kann der Hersteller 1.238 Euro oder 5,5 Prozent als Gewinn verbuchen
Ein zusätzliches Prozent, das klingt nicht nach viel, ist es für die meisten BMW-Häuser jedoch. Denn deren durchschnittliche Umsatzrendite liegt bei gerade einmal 0,9 Prozent und damit am unteren Ende des branchenüblichen Korridors. Einen Verzicht auf den Bonus kann sich kaum ein Händler erlauben.
„Tausende von Arbeitsplätzen stehen als Folge auf dem Spiel“, lässt Sprecher Heil verlauten. Inzwischen führen der Händlerverband und BMW Gespräche. „Die Reaktion zeigt in die richtige Richtung“, freut sich Heil. Unter anderem geht es um die Verschriftlichung mündlicher Zusagen, die Ex-BMW-Vertriebschef Roland Krüger gemacht hatte.
Graben zwischen Händlern und Herstellern
Der Aufstand bei BMW zeigt, wie tief der Graben zwischen Händlern und Herstellern geworden ist, auch bei anderen Automarken. Nicht nur die Vergütungsmodelle stehen in der Kritik, die Hersteller dringen auch immer stärker in die Domäne der Händler vor – bis zum Direktvertrieb übers Internet, wie es die US-Sportwagenschmiede Tesla vormacht und wie Mercedes und BMW dies testen, wenn auch mit bisher mäßigem Erfolg.
Zu stoppen ist der Trend zum Web nicht mehr. Bis 2020, so eine Prognose der Unternehmensberatung Arthur D. Little, könnten schon sechs Prozent der Kaufverträge für Autos in Deutschland online abgeschlossen werden.
Schon heute verzichten viele Kunden auf Vorführ- und Beratungsleistungen des Handels und konfigurieren ihren Traumwagen am heimischen PC. Teure Glaspaläste mit Dutzenden Varianten und Modellen werden darüber überflüssig. Um das Markenerlebnis zu vermitteln, reichen City-Shops, Pop-up-Stores oder Lounges wie die weltweit erste von Mercedes am edlen Ballindamm in Hamburg aus.
Hier, auf der Nobelmeile an der Binnenalster offeriert Daimler Poetry Slam, Weinproben und After-Work-Clubbing – die Autos wirken wie Beiwerk für Cocktails und Kaffee. „Wir erwarten nicht mehr, dass die Kunden zu uns kommen, sondern wir gehen jetzt zu ihnen“, sagt Mercedes-Vertriebschef Ola Källenius. Insgesamt 40 der kultigen Läden, eine Mischung aus Bistro, Bar und Eventlokal, wollen die Schwaben bis 2020 weltweit einrichten.
Zocken, rocken, Weinchen schlürfen – ist das die Zukunft des Autohandels? Es wird zumindest eine Facette sein. In der jungen Stadtbevölkerung sinkt die Bereitschaft zum Kauf eines Neuwagens. Und wer sich ein eigenes Fahrzeug leisten kann, mag sich nicht mehr auf den Weg ins Gewerbegebiet machen.
Viele Vertriebswege neben dem klassischen Autohaus
„Das klassische Autohaus wird nicht völlig verschwinden, es wird aber nur noch eine Spielart von vielen sein“, prognostiziert Jürgen Steimle, Partner bei der Unternehmensberatung MSU Consulting aus Bad Homburg bei Frankfurt, die sich auf den Autovertrieb spezialisiert hat.
Er erwartet eine „fortschreitende Modularisierung“, ein Nebeneinander unterschiedlicher Ladenkonzepte. „Das reicht vom Showroom am Flughafen als Appetizer über die Lounge im Ausgehviertel und den Konfigurator-Shop in der Fußgängerzone bis hin zum klassischen Autohaus mit angeschlossener Werkstatt am Stadtrand.“
Die Vertragshändler sind ein Auslaufmodell
Klar ist damit aber auch, dass der heute übliche Vertragshändler vielerorts zum Auslaufmodell wird. „Das Drehen einzelner Stellschrauben reicht nicht. Es geht um nichts weniger als die Daseinsberechtigung des Autohandels“, sagt Patrick Bendfeld, Referent beim Zentralverband des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes ZDK. Für ihn steht die Branche vor dem größten Umbruch in ihrer Geschichte. Das Internet ist nur einer der Treiber. Dazu kommen das Überangebot an Modellen sowie die immer noch schwache Nachfrage in Deutschland.
Den Händlern sind die Zigtausenden Eigenzulassungen der Hersteller ein Dorn im Auge. Durch sie schaffen die Marken den Sprung in publikumswirksame Statistiken. Aber eben diese Tageszulassungen direkt vom Hersteller fluten den Markt und verderben die Preise. So rechnet sich das Geschäft mit den Neuen für die Händler kaum noch.
Viele Autohäuser müssen ihr Geld mit Reparaturen und Wartung verdienen, um das Neuwagengeschäft zu subventionieren. „Wenn das Service-Geschäft nicht wäre, wären 80 Prozent der Händler heute schon pleite“, sagt Willi Diez, Professor und Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) im schwäbischen Geislingen.
Doch auch dieses Standbein wackelt. Denn die Wartungsintervalle werden immer länger, die Kundenkontakte seltener und damit die Anlässe weniger, jemanden persönlich zu einem Verkaufsgespräch zu bekommen. „Am Ende wird sich der Handel völlig neu erfinden müssen“, prophezeit ZDK-Funktionär Bendfeld. Autohändler müssten zu umfassenden Mobilitätsberatern werden und neue Erlösquellen wie Carsharing erschließen.
Händler sind Marionetten der Hersteller
Noch steht dem die Konstruktion des hiesigen Autohandels im Wege. Die Krux liegt darin, dass die Händler auf dem Papier zwar selbstständige Unternehmer sind, in Wirklichkeit aber über weite Strecken wie Marionetten der Hersteller handeln müssen, die sie mit Vorgaben einengen. So geben Hersteller genau vor, wie viel Fläche der Händler zur Präsentation der Modelle zur Verfügung stellen muss oder wie die Übergabe an den Kunden abzulaufen hat.
Das schlägt direkt auf die Ausgaben für Baumaßnahmen und Personalschulung nieder. Erfüllt der Händler die Vorgaben nicht, bekommt er nicht den vollen Bonus. Und die Boni werden immer wichtiger. „Vor zehn Jahren noch betrug der Anteil der Boni an der Händlermarge von 17 Prozent zwei Prozentpunkte. Heute sind es acht Prozentpunkte“, sagt IFA-Chef Diez.
Geht es nach dem Händlerverband ZDK, braucht es ein neues Vertriebsmodell mit sogenannten Kommissionsagenten: Der Händler kauft dem Hersteller die Autos nicht mehr ab, sondern verkauft diese nur in dessen Namen. Der Hersteller gibt den Preis vor, der Händler darf selbst keine Rabatte gewähren – die Rabattschlacht hätte ein Ende.
Der Händler erhält für seine Verkaufsleistung, für die Kundenpflege und Probefahrten ein Entgelt. Der Hersteller trägt das Preisrisiko, der Händler gibt sich dafür exklusiv der einen Marke hin.
Kleine Importmarken buhlen um Händler in guten Lagen
Das könnten sich aber nur die starken Automarken leisten, meint Diez. Marken mit ein, zwei oder drei Prozent Marktanteil in Deutschland sind froh, überhaupt Händler in guten Lagen für sich zu gewinnen. In diese Kategorie fallen nach aktueller Statistik des Kraftfahrtbundesamts etwa Honda, Mazda, Kia, Citroën oder Fiat.
Das Beratungshaus PwC geht davon aus, dass bis 2020 von den aktuell 7800 Händlern in Deutschland nur 4500 übrig bleiben. Gleichzeitig wächst der Internet-Handel. Mobile.de etwa, das bei Gebrauchtwagen nahezu alle Händler im Lande und bei Neuwagen rund die Hälfte zu seinen Kunden zählt, meldet für seine Web-Site einen rasanten Anstieg der Nutzer, die Neuwagen suchen: binnen eines Jahres von 2,9 auf 4,0 Millionen.
Die Zahl der sofort verfügbaren Fahrzeuge hat sich auf 150.000 mehr als verdoppelt. Langfristig will mobile.de-Geschäftsführer Malte Krüger 30 Prozent des Umsatzes über Neuwagen erzielen.
Die bekannten Hersteller fahren aber erst einmal auf ihre neuen Erlebnis-Schuppen in prominenter Lage ab. Audi-Vertriebs- und Marketing-Chef Luca de Meo wird jedenfalls nicht müde, seine schier unglaubliche Geschichte aus der Audi-City in London zu erzählen: „Ein Herr kam herein, um nach dem Weg zum nächsten Zigarrenladen zu fragen. Er blieb zwei Stunden und ging als neuer Besitzer eines R8.“