Neue Märkte Volkswagen startet neue Produktion in Russland

Im riesigen Autowerk von GAZ in Nischni Nowgorod sollte ursprünglich Opel für Russland fertigen. Da Mutterkonzern GM nicht verkauft, wurde daraus nichts – und jetzt hat sich VW den Lohnfertiger unter den Nagel gerissen. Heute lief das erste Auto an der Wolga vom Band.

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Erste Eindrücke aus dem Karosseriebau von VW bei GAZ in Nischni Nowgorod. Quelle: Florian Willershausen

Lange bevor die Herren mit Schlips und Kragen den symbolischen Start-Knopf drücken, laufen sich die Maschinen in der Halle nebenan warm: Im Karosseriebau drehen orangefarbene Roboter die Köpfe und schweißen Bleche für den Yeti aneinander, den Geländewagen des zum VW-Konzern zählenden tschechischen Autobauers Skoda. Im Schneckentempo schweben die schemenhaft als Auto erkennbaren Karosserien über die Decke in die benachbarte Endmontagehalle, wo 100 VW- aus Deutschland, Tschechien und Mexiko die russischen Monteure in puncto Qualitätssicherung mit ihren hohen Anforderungen bekannt machen.

Aller Anfang ist schwer – gerade in Russland. Es wird noch Monate dauern, bis die jüngste und vorerst modernste Fertigungslinie des VW-Konzerns auf vollen Touren läuft. Zunächst wird einzig der Yeti über die Bänder in Nischni Nowgorod laufen, 500 Kilometer östlich von Moskau. Im März kommenden Jahres soll der VW-Jetta hinzukommen, im Juni dann ein neues Modell des Skoda Octavia. Rund 3.000 Mitarbeiter werden in der Spitze rund um die Uhr in der Fabrik arbeiten, um – so der Markt es zulässt – ab Ende des kommenden Jahres die Kapazität von 110.000 Fahrzeugen zu sichern.

Zunächst wird einzig der Yeti über die Bänder in Nischni Nowgorod laufen.

Lohnfertigung ist kein Zauberwerk, die Kapazität nicht gerade imposant – dennoch lässt sich die Stimmung als beinahe euphorisch beschreiben, als am Nachmittag die VW-Linie auf dem gewaltigen Areal des GAZ-Konzerns in Betrieb genommen wird. Jenseits der bei solchen Anlässen üblichen Glückwünschen und Lobhudeleien platzen die Beteiligten vor Stolz und Erleichterung.

Stolz sind die Vertreter von GAZ. Dass sie überhaupt noch Autos bauen können, hätten ihnen vor drei Jahren nicht einmal die patriotischen Berufsoptimisten der russischen Politik zugetraut. In der Finanzkrise von 2009 war das Gorkowski Awtomobilny Zawod, für das die drei Buchstaben stehen, buchstäblich pleite. Mit einem antiquierten Kleintransporter konnte sich der zweitgrößte russische Fahrzeughersteller nicht über Wasser halten, über 100.000 Mitarbeitern waren bei niedriger Produktivität zu teuer, auf der Produktseite floppte ein Nachfolgemodell des legendären "Wolga".

Neues Selbstvertrauen für Nischni Nowgorod

VW hat sich gegenüber der Regierung verpflichtet, in Russland bis 2016 eine Kapazität von mindestens 300.000 Fahrzeugen aufzubauen und rund 30 Prozent der Komponenten vor Ort zu beziehen. Quelle: Florian Willershausen

Bei GAZ ging damals alles schief, was schiefgehen konnte. Zum Schluss scheiterte der Versuch des kanadischen Lohnfertigers Magna und der russischen Sberbank den deutschen Autokonzern Opel aus dem Verbund von General Motors zu lösen. Für das die Russen war das ein Drama, weil der technologisch ordentliche Rüsselsheimer Konzern Technologie-Partner von GAZ hätte werden sollen.

In Nischni Nowgorod war man damals nahe der Verzweiflung: Ist die so traditionsreichen Autostadt überhaupt noch in der Lage, zeitgemäße Autos zu liefern, die der Markt auch haben will? Das VW-Projekt gibt den Autobauern an der Wolga dieses Selbstvertrauen zurück – auch wenn die Deutschen vorerst mit weit über 100 Fachleute zur Ausbildung der lokalen Mitarbeiter planen.

Erleichtert ist man auch bei VW. Die Deutschen haben sich gegenüber der russischen Regierung vertraglich verpflichtet, im Land bis 2016 eine Kapazität von mindestens 300.000 Fahrzeugen aufzubauen und rund 30 Prozent der Komponenten vor Ort zu beziehen. Andernfalls werden hohe Importzölle fällig. Das eigene Werk in Kaluga südwestlich von Moskau wäre hierfür zu klein gewesen; die Verdopplung der dortigen Kapazität von derzeit 150.000 Stück wäre teuer und langwierig gewesen. Mit GAZ als Lohnfertiger hat VW-Chef Martin Winterkorn einen geschmeidigen Weg gefunden, um die Vorgaben der Regierung zu erfüllen – zumal Russland bereits als drittgrößter Markt nach China und Deutschland gilt.

Ein paar tausend Autos fehlen aber noch. In den Werken Kaluga und Nischni Nowgorod muss VW die Kapazität noch um 40.000 Stück erhöhen, um die Regierungsvorgaben zu erfüllen. Russland-Chef Marcus Osegowitsch will das erreichen, indem er die Fertigungsabläufe insbesondere in Kaluga optimiert. Auch "Nischni" kann mittelfristig noch 20.000 Autos zusätzlich liefern. Hierzu müssen allerdings eine Menge Facharbeiter ausgebildet werden, denn im Umgang mit modernen Robotern wie den orangenen Arbeitstieren von Kuka sind die Russen nicht geschult.

Davon verspricht sich aber auch GAZ einiges: Die Männer des schwedischen Konzernchefs Bo Andersson sollen die modernen Technologien aus Deutschland anzuwenden lernen – und zwar eines Tages auch bei Entwicklung und Fertigung von Eigenmarken. Moderne Produkte und internationale Kooperation sind nötig, damit sich die Beinahe-Pleite von 2009 niemals wiederholt. Was übrigens nicht nur für GAZ, sondern die gesamte russische Industrie gilt.

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