Mit dem VW-Skandal und der allgemeinen Diesel-Debatte sind auch die Abgastests selbst auf den Prüfstand gekommen. Und durchgefallen. Ab Freitag gibt es für die Autohersteller nun europaweit gleich zwei neue Abgastests: Einen verbesserten auf dem Prüfstand und – weltweit einmalig – einen zusätzlichen auf der Straße. Wenn Autohersteller jetzt eine Typzulassung für neue Modelle wollen, werden sie ganz anders unter die Lupe genommen.
Was ändert sich?
Die WLTP- und RDE-Tests sind in der EU ab 1. September vorgeschrieben für jedes Automodell und jeden Motortyp, den ein Hersteller ganz neu auf den Markt bringt.
- WLTP steht für „Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure“ und meint einen neuen, international einheitlichen Standard für Abgas-Labortests.
- RDE steht für „Real Driving Emissions“ und meint Abgastests auf der Straße.
Für sämtliche Neuzulassungen ist der neue Labortest dann ab September 2018, der Straßentest ab September 2019 vorgeschrieben.
Normzyklen in der Übersicht
Der Neue Europäische Fahrzyklus (New European Driving Cycle) stammt im Kern aus den 1970er Jahren. In einem knapp 20-minütigen Prüfstandslauf werden Verbrauch und Abgase gemessen. Das Fahrprofil gilt allerdings als überholt, zudem gibt es viel Spielraum für unrealistische Optimierungen, etwa Leichtlauföle, zu hoher Reifendruck, eine abgeklemmte Batterie (um das Nachladen zu verhindern) oder spezielle Sturz- und Spureinstellungen der Räder, die nicht mit dem Serienzustand übereinstimmen.
Die Worldwide harmonized Light Vehicles Test Procedure (WLTP) soll realitätsnähere Angaben als der NEFZ liefern. Zum einen werden Durchschnitts- und Höchstgeschwindigkeit auf dem Prüfstand erhöht, die Standzeiten verkürzt, der Prüfstandslauf an sich verlängert. Zum anderen werden Sonderausstattungen beim Fahrzeuggewicht und Strombedarf berücksichtigt. Die Klimaanlage bleibt jedoch abgeschaltet. Experten rechnen mit bis zu 25 Prozent höheren Werten als im NEFZ.
Bereits vor dem Abgasskandal hat die EU-Kommission beschlossen, Emissionen mit mobilen Messgeräten nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch auf der Straße zu messen. Die Real Driving Emissions (RDE) werden ab September 2017 erhoben – allerdings eher als Kontrolle der Prüfstandwerte. Diese gelten übrigens nicht für den RDE: Zur Einführung dürfen die Autos den Grenzwert um 110 Prozent überschreiten (Faktor 2,1), ab Januar 2020 noch um 50 Prozent.
Was heißt das für Autofahrer?
Für bereits zugelassene Fahrzeuge ändert sich gar nichts. Ab dem 1. September 2017 gelten die neuen Regeln nur für die Typzulassung – also wenn ein Autobauer ein neues Modell auf die Straße bringen will, benötigt er diese Genehmigung, die ihm bescheinigt, dass der Wagen die gültigen Regelungen einhält.
Aber wer ein neues Auto kaufen will, sollte vielleicht vor dem 1. September 2018 zugreifen: Danach wird für den gleichen Neuwagen unter Umständen eine höhere Kfz-Steuer fällig. Denn ab dann wird der Verbrauch und der CO2-Ausstoß für alle neu zugelassenen Autos nach dem neuen Testzyklus gemessen, bei dem schneller und dynamischer gefahren wird. Und das bedeutet oft mehr Verbrauch, mehr CO2, mehr Kfz-Steuer.
Was ist so schlecht am bisherigen NEFZ-Test?
Die Autokonzerne müssen für die Zulassung ihrer neuen Fahrzeuge nachweisen, dass sie alle Grenzwerte auf einem Prüfstand einhalten. Bei dem seit 1996 gesetzlich vorgeschriebenen NEFZ-Test („Neuer europäischer Fahrzyklus“) werden vier Kilometer Fahrt durch die Innenstadt mit „Stop-and-go“ simuliert, gefolgt von sieben Kilometern außerorts. Vom Motoröl bis zu den Reifen ist jedes Detail vorgegeben. Aber der vorgeschriebene Fahrstil ist realitätsfern: Sehr langsame Beschleunigung, Durchschnittstempo von 34 km/h, Höchstgeschwindigkeit 120 km/h für zehn Sekunden, ohne Radio, Klimaanlage oder Sitzheizung. Autofahrer wie Umweltschützer beklagten, dass Verbrauch und Emissionen auf der Straße viel höher sind. Laut Umweltbundesamt ist der Unterschied vor allem bei Dieselautos beim Stickoxid enorm.
Was ändert sich mit den beiden neuen Tests?
Der neue WLTP-Test auf dem Rollenstand simuliert eine doppelt so lange Fahrt, mit mehr Beschleunigungen, mehr Tempo – viel realitätsnäher. Auch Sonderausstattungen werden berücksichtigt. Und zum ersten Mal wird die Messung auf dem Prüfstand ergänzt durch eine Messung direkt auf der Straße. „Das ist einmalig. Das gibt es weder in Asien noch in den USA“, sagt Eckehart Rotter, Sprecher des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Bei diesem sogenannten RDE-Test muss kein fester Fahrzyklus eingehalten werden, der Tester kann jede Strecke fahren, Beschleunigung, Außentemperatur, Windverhältnisse und Verkehrslage sind beliebig. Zur Messung werden mobile Apparate am Auspuff montiert.
Müssen die Ergebnisse des Straßentests mit dem Prüfstandswert übereinstimmen?
Nein, vorerst nicht. Auf dem Rollenprüfstand darf ein Auto höchstens 80 Milligramm Stickoxid je Kilometer ausstoßen – dieser Wert gilt bereits heute. Über den sogenannten Konformitätsfaktor wird festgelegt, wie viel der Messwert auf der Straße über dem des Prüfstands liegen darf. Zum ersten Mal existiert also ein Grenzwert für die Straße. Aktuell liegt dieser Faktor bei 2,1 – das Auto darf im RDE-Test höchstens 168 Milligramm Stickoxid ausstoßen. Ab 2020 sinkt der Faktor auf 1,5, sprich 120 Milligramm Stickoxid pro Kilometer. Diese Faktoren haben allerdings keine echte technologische Grundlage, sie sind vielmehr das Ergebnis politischer Verhandlungen – zwischen 1,0 (also gleiche Grenzwerte für Straße und Prüfstand) und 3,0 (als0 240 Milligramm auf der Straße) sind auf EU-Ebene viele Varianten diskutiert worden.
Wer prüft, ob die Grenzwerte eingehalten werden?
Die deutschen Autohersteller lassen ihre Autos vom TÜV, der Dekra oder einem anderen vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) zugelassenen Institut testen. Mitunter sind KBA-Mitarbeiter bei den Tests dabei. Das KBA erteilt dann die europaweite Typzulassung.
Sind die Messwerte im Labor und auf der Straße jetzt identisch?
Nein. Fahrweise, Verkehrsfluss und Wetter beeinflussen Verbrauch und Emissionen stark, erklärt der ADAC. Die Fahrweise hat dabei den größten Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch und kann zu Aufschlägen von bis zu 20 Prozent führen. Die Bandbreite all dieser Faktoren kann aber auch im WLTP nicht umfassend berücksichtigt werden, weil nur ein standardisiertes Messverfahren Reproduzierbarkeit und damit Vergleichbarkeit sicherstellt. Aber die neuen Messwerte sind näher am Alltag. „Die ganze Debatte, die wir seit zwei Jahren führen, wird damit beendet“, sagt VDA-Mann Rotter.
Sind die neuen Tests die politische Reaktion auf den Abgasskandal?
Nein. WLTP und RDE wurden bereits vor dem Bekanntwerden der Abgasmanipulationen bei VW beschlossen und sind daher unabhängig vom Dieselskandal zu sehen. Einzig die Konformitätsfaktoren waren vor dem September 2015 noch nicht final ausgehandelt. Das sollte eigentlich in kleinen Runden auf EU-Arbeitsebene geschehen. Wegen des Skandals kam dem Gremium aber eine unerwartete öffentliche Aufmerksamkeit zu.