Neuer Aufsichtsratschef bei Daimler Pischetsrieder – ein Mann aus der Steinzeit der Autoindustrie

Bernd Pischetsrieder soll der neue Aufsichtsratschef von Daimler werden.  Quelle: imago images

Dass Daimler jetzt den Ex-VW-Chef als Nachfolger für die Spitze des Aufsichtsrates präsentiert, ist ein Rückschritt und kein Signal für einen Aufbruch in eine bessere Zukunft. Ein Kommentar.

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Manfred Bischoff ist gescheitert. Eigentlich wollte der noch amtierende Aufsichtsratschef von Daimler das Zepter nach der nächsten Hauptversammlung im Frühjahr 2021 an Ex-Daimlerchef Dieter Zetsche übergeben. Noch im Sommer antwortete Bischoff der WirtschaftsWoche, dass Zetsche seinen Posten 2021 übernehmen solle. Doch dann bekam Zetsche plötzlich kalte Füße. „In letzter Konsequenz habe ich mich entschieden, dass ich das nicht will, dass ich darauf verzichte“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ im September. Ihm – und auch Bischoff – fielen mögliche Abgasmanipulationen auf die Füße. Außerdem hielt man ihnen vor, sich auf den Rekorden der zurückliegenden Jahre ausgeruht und wichtige Weichenstellungen vor allem für den Umstieg auf die Elektromobilität verschlafen zu haben.

Für Bischoff hätte diese Niederlage eine Chance sein können: Er hätte den verkrusteten Aufsichtsrat verjüngen können, den manch einer bei Daimler hinter vorgehaltener Hand als Club der alten Herren bezeichnet. Dafür hätte er einen Nachfolger präsentieren müssen, der Aufbruch verkörpert. Einen, der sich auch in der Praxis mit neuen Technologien auskennt, mit Digitalisierung, mit E-Mobilität. Und nun? Soll ausgerechnet Bernd Pischetsrieder sein Nachfolger werden, der schon seit 2014 im Aufsichtsrat von Daimler sitzt. Der dann 73-Jährige soll Ende März an die Spitze des Kontrollgremiums rücken. Zudem sollen nach der Hauptversammlung drei neue Mitglieder in den Aufsichtsrat einziehen: Die frühere Nestlé-Managerin Petraea Heynike und BASF-Aufsichtsratschef Jürgen Hambrecht scheiden gemeinsam mit Bischoff aus. Gewählt werden sollen dann die Cisco-Managerin Elizabeth Centoni, Shell-Chef Ben van Beurden und BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller.

Eigentlich verstößt ein Aufsichtsratschef Pischetsrieder schon gegen die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats. Nach der sollten für die volle Amtszeit in dem Gremium in der Regel nur Kandidaten vorgeschlagen werden, die bei der Wahl nicht älter als 72 Jahre sind. Dass es anders kommt, hat bei Daimler bereits Tradition: Schon Bischoff, Jahrgang 1942, war bei seiner letzten Wiederwahl älter. Für ihn war das kein Problem, schließlich hätten Aufsichtsrat und Hauptversammlung beschlossen, in seinem Fall von der Regel abzuweichen.

Mann von gestern

Dass Pischetsrieder die Branche bestens kennt, steht außer Frage. Trotzdem wirkt die Entscheidung wie aus der Zeit gefallen. Denn der ehemalige BMW- (1993 bis 1999!) und VW-Chef (2002 bis 2006!) verkörpert das Gestern einer Branche, die sich gerade komplett neu erfindet. In Zukunft sollen Autos nicht nur nicht mehr mit Benzin, sondern mit Strom fahren, schon in einigen Jahren werden Jugendliche womöglich keinen Führerschein mehr machen müssen, weil ein Roboter sie chauffiert. Soll da wirklich einer, der in der alten Autowelt groß geworden ist und schon lange keinen operativen Posten mehr dort hatte, der neue Heilsbringer für Daimler sein?


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Hinzu kommt, dass Pischetsrieders Karriere nicht lupenrein verlief: So musste er sowohl bei BMW als auch bei VW vorzeitig gehen. In München wurde ihm 1999 die unglückliche Übernahme von Rover zum Verhängnis, in Wolfsburg hatte er sich 2006 mit Großaktionär und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch überworfen. Immerhin hat er Erfahrung als Chef eines Kontrollgremiums – bis 2019 führte er den Aufsichtsrat des weltgrößten Rückversicherers Münchener Rück, wo er für den ehemaligen Vorstandschef Nikolaus von Bomhard Platz machte.

„Viele betagte ältere Herren“

Erschüttert über die Nominierung sind auch Autoexperten: Arndt Ellinghorst, Leiter Automotive Research beim Investmentberater Bernstein, meint, dass es „vor dem Hintergrund des dramatischen technologischen Wandels“ bemerkenswert sei, „wie viele betagte ältere Herren die Geschicke der deutschen Autoindustrie lenken sollen. Erfahrung ist gut, Innovationsgeist eventuell wichtiger.“ Und Frank Schwope, Analyst bei der NordLB, sagt: „Aufbruch in das Zeitalter der Elektromobilität und Digitalisierung sieht ... anders aus, steht Pischetsrieder doch eher für die alte Welt des Verbrennungsmotors. Diesbezüglich erstaunt auch die Nominierung des CEO von Shell für den Aufsichtsrat, zumal Daimler im Bereich Elektromobilität deutlich hinter der Konkurrenz von Tesla, Volkswagen oder auch BMW herfährt.“

Auch Ingo Speich von Deka Investment sieht die Personalie kritisch: Der Aufsichtsrat sei aus seiner Sicht von der Zetsche-Absage „überrascht worden“. Sicher sei Pischetsrieder „fachlich geeignet, jedoch wird er das neue Managementteam nicht über eine Dekade begleiten können. Die Chance für den Neuanfang wurde verpasst“, sagt Speich. Für ihn sei eine längerfristige Lösung „wünschenswert gewesen. Zudem wird auf Sicht der nächsten Jahre wieder Unruhe im Hinblick auf eine Nachfolgeregelung aufkommen.“

Von außen sieht die Nominierung daher wie eine Notlösung aus. Die Chance, den Aufsichtsrat zu verjüngen, hat Bischoff jedenfalls verpasst. Vielmehr steht er jetzt vor den Trümmern seiner Karriere. Die richtigen Weichen in eine gute Daimler-Zukunft hat er damit jedenfalls nicht gestellt.

Mehr zum Thema: Seit 13 Jahren wacht Manfred Bischoff als Chef des Aufsichtsrats über Daimler. Am Ende seiner Amtszeit muss er radikal mit der Vergangenheit brechen.

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