Dass Porsche-Fahrer gerne einige Monate auf ihren Traumwagen warten, ist kein Geheimnis. Statt einen Wagen von der Stange zu nehmen, wollen sie ihren Sportwagen genau nach ihren Wünschen und Vorstellungen zusammenstellen. Wohl wissend, dass der individuell konfigurierte Wagen erst Monate nach der Bestellung ausgeliefert wird.
Doch jetzt dürfte die Wartezeit noch länger werden, denn derzeit kann kein neuer Porsche im Online-Konfigurator bestellt werden. „Vorübergehend kommt es zu einem eingeschränkten Modellangebot“, sagte ein Porsche-Sprecher. „Trotzdem können Interessenten und Kunden sich hinsichtlich der Bestellung neuer Modelle jederzeit, also auch während des Umstellungszeitraums, an die Porsche-Zentren wenden.“ Grund für die voraussichtlich bis in den Sommer reichende Pause ist mal wieder der WLTP-Zyklus.
Der neue Prüfzyklus WLTP (Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Procedure) wird im September für sämtliche Neuwagen bindend. Hat ein Modell bis dahin noch kein WLTP-Zertifikat, müssen sie vorläufig aus dem Programm genommen werden – egal ob sie die Schadstoff-Grenzwerte einhalten oder nicht. Die WLTP-Verbrauchsangaben sollen realistischer sein – und damit in der Regel auch deutlich höher. Um bis zu 20 Prozent werden die Werte steigen, schätzt etwa der Verband der Automobilhersteller (VDA).
Damit drohen ab September nicht nur bei Porsche Lücken im Angebot: BMW lässt nicht nur die Sportwagen-Ikone M3 vorzeitig auslaufen, sondern hat auch beim Siebener und den SUV-Modellen X5 und X6 den Benziner vorerst aus dem Programm genommen. Deutlich gewichtiger als der Verkaufsstopp eines 400-PS-Sportwagens oder einer Luxuslimousine sind die Lücken, die bei VW drohen: Ab August rechnet man in Wolfsburg mit Produktionspausen, was zeitweilig auch weniger Beschäftigung wegen geringerer Auslastung bedeute, sagte Personalleiter Martin Rosik dem Mitarbeiter-Magazin „Inside“. Es seien auch Lieferengpässe bei bestimmten Modellen möglich. Welche Modelle genau, dazu will sich VW nicht äußern.
Alleine der VW Golf kommt auf zwei Millionen Varianten
Klar ist aber, dass der vorübergehende Fertigungsstopp bei dem Passat mit Dieselmotor nichts mit der WLTP-Umstellung zu tun hat. Hier geht es um eine fehlerhafte Anzeige im Cockpit. Nach VW-Angaben kann es bei Fahrzeugen der Baureihen Passat und Arteon, die mit 2,0-Liter-TDI-EU6-Motor mit 140 kW (190 PS), Frontantrieb und DSG-Getriebe ausgestattet sind, vorkommen, „dass über die gelbe Motorkontrollleuchte auf ein Problem mit dem Abgasnachbehandlungssystem hingewiesen wird, obwohl tatsächlich kein derartiges Problem besteht“. Bis zur „Bereitstellung einer Abstellmaßnahme“ sei die Produktion vorübergehend ausgesetzt worden. Wer derzeit diese Motor-Getriebe-Variante bestellen will, bekommt stattdessen das rund 2000 Euro teurere Allrad-Modell ausgeliefert – die Mehrkosten trägt VW.
Auch wenn der Produktionsstopp beim Passat nicht auf den WLTP zurückzuführen ist, zeigt das Beispiel die Komplexität, vor der die Autobauer gerade stehen: Die Varianten mit Schaltgetriebe sind nicht betroffen, mit Allradantrieb gibt auch das Automatikgetriebe keine Fehlermeldung. Und die anderen Varianten des Zwei-Liter-Diesels mit 150 und 240 PS sind ebenfalls weiter bestellbar. Bei jeder Baureihe gibt es eine hohe Anzahl an Antriebs-Konfigurationen, die alle neu für den WLTP zertifiziert werden müssen. Und künftig wird es noch schlimmer.
Dass jede Motor-Getriebe-Antriebs-Kombination einen Verbrauchstest durchlaufen muss, war schon bisher im NEFZ so. Bei dem neuen Normtest wird jedoch auch die Ausstattung des Autos berücksichtigt, da diese Energieverbrauch und Gewicht des Fahrzeugs beeinflusst. Das lässt die Zahl der möglichen Kombinationen um ein Vielfaches steigen: „Allein beim VW Golf gibt es etwa zwei Millionen verschiedene Varianten, für die wir individuelle Verbrauchswerte ermitteln und im Konfigurator ausweisen“, sagte ein VW-Sprecher dem Fachmagazin „Auto, Motor und Sport.“
Viele Modelle verschwinden für immer
Bei der ausufernden Varianten-Vielfalt werden natürlich die gefragtesten Kombinationen zuerst zertifiziert, jene, die nur selten bestellt werden, kommen später. Bei BMW ist so der V8 in der Fünfer-Baureihe ausgesetzt, während die Vier- und Sechszylinder weiter gebaut werden. Bei Porsche werden die Volumen-Bringer Cayenne und Macan vorrangig behandelt und der 718 mit geringeren Stückzahlen hinten angestellt.
Volkswagen nutzt das WLTP-Gewitter, um die am geringsten nachgefragten Motor-Getriebe-Varianten auszusortieren: Alles, was unter zwei Prozent Bestellvolumen aufweist, wird mit dem Ende des Modelljahres 2018 im Sommer nicht nach WLTP zertifiziert und darf somit nicht mehr verkauft werden. „In vielen Fällen bleiben ähnliche Varianten im Angebot“, sagte ein VW-Sprecher. So fällt etwa der legendäre Golf GTI weg, weil sich die meisten Kunden ohnehin für die minimal stärkere „GTI Performance“-Version entscheiden. Beim Passat mit dem kleinen 1,6-Liter-Diesel (120 PS) entfallen die bislang noch erhältlichen Varianten ohne AdBlue-Abgassystem.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Die Angebots- und Produktionsengpässe vor der Umstellung mögen auf den ersten Blick verwundern, schließlich war die Vorlaufzeit für den neuen Messzyklus lang genug. Doch eine Sache hat viele Pläne zunichte gemacht: der Abgasskandal. Anstatt künftige Modelle mit entsprechendem Vorlauf nach den neuen Regelungen zu zertifizieren, haben viele Autobauer erst einmal die aktuelle Fahrzeugflotte auf den Prüfstand gestellt und nehmen deren Funktionen und Verhalten nochmals genau unter die Lupe. Ungereimtheiten wie beim Porsche Cayenne oder Audi-Modellen mit V8-Dieselmotor sollen bei solchen eigenen Tests aufgefallen und den Behörden gemeldet worden sein.
Solche Tests mögen sinnvoll erscheinen, doch sie binden nicht nur Kapazitäten in den Entwicklungsabteilungen, sondern blockieren auch die Motorenprüfstande. Das rächt sich jetzt, wenn nicht nur Nischenmodelle ohne WLTP-Siegel nicht verkauft werden dürfen, sondern auch Baureihen mit höheren Volumen.
Während bei BMW reihenweise Motorvarianten mit monatelangem Vorlauf gestrichen werden, verhalten sich Mercedes und Audi auffällig ruhig. Einzig bei der Jahrespressekonferenz im März sprach Audi-Chef Rupert Stadler von der „kräftezehrenden“ Umstellung auf den WLTP-Prüfzyklus, die sich 2018 in „einigen europäischen Märkten auf unsere Auslieferungen auswirken“ könne. „Mit Blick auf den Wettbewerb“ will sich Audi aber noch äußern, wann welche Modelle betroffen sind.
Neben den Prüfständen ist noch eine andere Ressource knapp: Partikelfilter. Um die Grenzwerte für den Feinstaubausstoß nach der strengeren WLTP-Messung einzuhalten, benötigen ab sofort auch viele Benzinmotoren einen Partikelfilter. Nur wenige Hersteller haben aus Kostengründen dieses zusätzliche Bauteil bereits in allen Benzinmodellen eingebaut, Volvo zum Beispiel. Porsche hingegen hat sich selbst beim neuen Cayenne, der erst Anfang des Jahres auf den Markt gekommen ist, den Partikelfilter bislang gespart und muss jetzt nachrüsten.
Und selbst der aktuelle Porsche 911 bekommt noch einen Partikelfilter, obwohl der Nachfolger schon 2019 auf den Markt kommt. Damit entstehen bald einige echte Raritäten: Ein Porsche 911 des Baujahres 2018 mit Partikelfilter. Zum Sammlermodell dürften diese „seltenen“ Porsche aber kaum taugen.