Der Hang zu schnellen Autos wurde Müller in die Wiege gelegt. Er ist der Sohn von Siegfried Müller, Motorrad-Rennleiter der alten Auto-Union-Marke DKW und technischer Kommissar der DDR-Rennstrecke Sachsenring. Als Macher und risikofreudigen Entscheider sieht er sich, weniger dagegen als großen, klugen Strategen: „Eigentlich bin ich kein Stratege“, gab er nach dem Start bei Porsche im Gespräch mit der WirtschaftsWoche offen zu.
Die Strategen im Konzern seien Winterkorn und Ferdinand Piëch, der mächtige Großaktionär und damalige Vorsitzende des VW-Aufsichtsrats. „Ich habe nur Ideen in konkrete Pläne umgewandelt“, umschrieb seine Aufgabe als Produktplaner in Wolfsburg.
Doch Müller stapelt tief, wenn er sich selbst kein Händchen für kluge Strategien attestiert. Immer wieder durfte der Informatiker – Spezialgebiet: Systemanalyse – auch komplexe Projekte übernehmen. So fädelte er zusammen mit Ex-Innovationsvorstand Ulrich Hackenberg und Ex-Vertriebsvorstand Detlef Wittig 2009 die VW-Beteiligung an dem japanischen Kleinwagenhersteller Suzuki ein.
Seit einem Volontariat beim Miti, dem legendenumwobenen Ministerium für Internationalen Handel und Industrie, in den frühen Neunzigerjahren hat Müller gute Kontakte nach Japan. Dass die Kooperation in einem schmutzigen Scheidungskrieg endete, ist kaum Müllers Fehler. Das Klima wurde auf höchster Ebene – Winterkorn, Piëch, Suzuki-Vorstand – vergiftet.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Gern hätte der Mann mit den auffällig blauen Augen und weißen Haaren schon vor dem Wechsel an die Porsche-Spitze die Verantwortung für das operative Geschäft einer der Konzernmarken übernommen, beispielsweise für Seat. Doch statt seiner wurde dann der Brite James Muir zum Aufräumen nach Barcelona geschickt. Müller, der sich bereits auf diese Aufgabe vorbereitet hatte, galt im März 2009 in Wolfsburg noch als unabkömmlich. Umso überraschter war der Winterkorn-Vertraute, als ihm der Konzernchef im Mai dieses Jahres plötzlich erklärte, dass er im Rahmen eines größeren markenübergreifenden Revirements als neuer Porsche-Chef vorgesehen sei: „Ich konnte es erst nicht glauben.“
Auto
Es folgte damals ein Besuch in Salzburg und ein einstündiges Gespräch mit Piëch. Wenige Tage später sickerte die Neuigkeit auch schon in die Öffentlichkeit und zu Porsche durch: Zwei Jahre nach der missglückten Übernahme von Volkswagen durch Porsche und dem nachfolgenden Rücktritt des damaligen Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking würde der Sportwagenbauer schon wieder einen neuen Vorstandsvorsitzenden bekommen.
Fünf Jahre später beerbt Müller nun Winterkorn. Einen gemütlichen Chef bekommen die Wolfsburger mit ihm nicht. Müller, der von Wegbegleitern als sportlich-robuster Typ und „sehr kantige Persönlichkeit“ beschrieben wird, geht Konflikten nicht aus dem Weg. Wenn es rappelt, so sagen Wegbegleiter, kann der ansonsten nahbare, kumpelhafte Typ auch zum Terminator werden. Menschen, die ihm im Weg stehen, müssen sich in Acht nehmen. Beim Eisstockschießen auf den Seen seiner geliebten bayrischen Heimat hat Müller gelernt, sich auf spiegelglattem Boden zu bewegen und gegnerische Stöcke mit präzisen Würfen aus dem Zielfeld zu stoßen.