Nikola-Chef Michael Lohscheller „Die Fahrer sind happy, weil sie die alten, tuckernden Diesel los sind“

Der neue Nikola-Chef Michael Lohscheller. Quelle: REUTERS

Das US-Start-up Nikola wollte mit Elektro- und Wasserstoff-Lkw das nächste Tesla werden. Heute droht dem Gründer Gefängnis, weil er die Aktionäre täuschte. Nimmt auch sein Nachfolger, Ex-Opel-Chef Michael Lohscheller, den Mund zu voll?

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WirtschaftsWoche: Herr Lohscheller, Sie sind seit gut einem halben Jahr bei Nikola. Was haben Sie dort vorgefunden? Die Luftschlösser des Gründers Trevor Milton?
Michael Lohscheller: Schon bevor ich zu Nikola gegangen bin, habe ich mich intensiv mit dem Unternehmen auseinandergesetzt. Ich bin die Lkw von Nikola gefahren. Die Produkte haben mich fasziniert. Sonst wäre ich nicht hier. Es gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten, da es bei Start-ups in der Regel nicht so viele Strukturen wie in einem etablierten Konzern gibt. Ein paar Strukturen und Prozesse sind aber natürlich wichtig. Ich habe geholfen, sie zu etablieren.

Zum Beispiel?
Wir mussten zuerst die Prozesse in der Produktion, der Logistik und den Lieferketten zusammenbringen. Jetzt läuft die Produktion und wir packen das Händlernetz und den Vertrieb an. Erfreulicherweise habe ich enorm viel Kompetenz im Unternehmen vorgefunden, vor allem auch in dem wichtigen Bereich der Softwareentwicklung.

In den Zeiten des Schaumschlägers Trevor Milton wurde Nikola als nächstes Tesla gehandelt. Jetzt ist die Aktie ein Pennystock. Wie hat die Belegschaft den Absturz verkraftet?
Die Vergangenheit von Nikola interessiert mich nur bedingt. Ungefähr 80 Prozent der heutigen Belegschaft kamen nach Miltons Abgang. Früher gab es tatsächlich viele Versprechungen, heute aber setzen wir um und liefern. Die Mitarbeiter haben Spaß daran, sind voller Begeisterung. Ich kann ihnen heute Mittag einen Termin zur Probefahrt mit unserem rein elektrischen Lkw machen und anschließend kann ich Ihnen den Lkw verkaufen. Damit sind wir ziemlich konkurrenzlos. Sie werden sich schwertun, jetzt irgendwo anders einen batterie-elektrischen Lkw mit 530 Kilometern Reichweite zu bekommen.

Stieg im Sommer an die Spitze des US-Truckbauers Nikola auf: Michael Lohscheller. Quelle: imago images

Zur Person

Trotzdem ist der Börsenwert von 24 Milliarden auf unter eine Milliarde Dollar abgestürzt. Wenn Sie scheitern, dann war es das für Nikola, oder nicht?
Wichtig ist, dass wir jetzt zügig unsere Ankündigungen umsetzen, denn das schafft Vertrauen. Wir müssen die Kunden glücklich machen und damit dann auch Geld verdienen. Hier sehe ich uns auf einem sehr guten Weg. Wichtig ist, dass sich nach dem batterie-elektrischen Lkw dann auch unser Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lkw gut verkauft, wenn die Produktion voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 2024 anlaufen wird.

Was bringt Ihnen Ihre Erfahrung als früherer Opel-Chef bei einem amerikanischen Lkw-Startup? Ist das nicht eine ganz andere Welt?
Das ist tatsächlich völlig unterschiedlich. Auch ist der Lkw-Markt ein ganz anderer als die Auto-Welt. Da geht es um Kosten pro Kilometer und weniger um Design oder Marke. Dennoch nützt mir meine Erfahrung als Auto-Manager, weil ich wichtige Prozesse, etwa in der Produktion, übertragen kann.

Es geht aber nicht nur um Kosten bei den Lkw. Für die Fahrer zählen Komfort oder Marke durchaus. Und wenn die Fahrer mit einem Modell glücklich sind, bestellen es die Speditionen.
Absolut richtig. Fahrer sind wichtig. Sie verbringen einen Großteil ihres Lebens in dem Lkw. Deshalb geht es häufig um den Innenraum. Da haben wir eine tolle Geräumigkeit zu bieten. Wir haben auch ein Weltklasse-Infotainment-System mit einem riesigen Screen. Was wir von den US-Fahrern hören, ist phänomenal. Dazu muss man auch wissen: Die Lautstärke und das Ruckeln eines Diesel-Lkw machen die Fahrer fertig. Das geht wirklich auf die Knochen. Ein Elektro-Lkw dagegen fährt leise und mit nur sehr wenigen Erschütterungen. Deshalb sind unsere größten Fans die Fahrer. Die haben wir meist schnell auf unserer Seite. Dann aber müssen wir die Speditionen überzeugen, dass auch Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit und Service stimmen.

Klar, dass die Fahrer Elektro-Lkw mögen. Weil sie oft aufgeladen werden müssen, haben sie ständig Pause...
Es gibt minimale Standzeiten und eine Reichweite von bis zu 530 Kilometer! Die müssen Sie erstmal schaffen. Die Fahrer sind happy, weil sie die alten, tuckernden Diesel gern los sind.

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von Matthias Hohensee

Wenn das Echo so positiv ist, müssten sich Ihre Lkw gut verkaufen. Wie viele konnten Sie 2022 ausliefern?
Ende des dritten Quartals waren es 111. Wir planen, im vierten Quartal etwa 120 bis 170 Lkw zu produzieren.

Sie hatten 300 bis 500 für das Gesamtjahr angepeilt.
Wir liegen gut mit der Produktion, aber es gibt andere Unwägbarkeiten. Zum Beispiel, wann die Ladeinfrastruktur so weit ist. Dieses Jahr werden wir die 300 nicht erreichen.

Aber 2023?
Aufgrund der hohen Unsicherheit über den Zeitpunkt unserer Auslieferung im vierten Quartal haben wir noch keine Mengen- oder Umsatzprognose abgegeben.

Sie sind nicht die Einzigen, die elektrische Trucks bauen. Auch große Hersteller wie MAN, Daimler oder Scania werden bald liefern können. Was können Sie besser?
Wir haben die beste Reichweite in unserer Klasse. Soweit ich weiß, kommt keiner an 530 Kilometer ran.

Der Semi Truck von Tesla soll aber eine größere Reichweite haben als Ihr Modell.
Das ist, was angekündigt ist. Zu dem, was andere ankündigen, möchte ich nichts sagen. Für mich zählt, was wirklich verfügbar ist. Wir sind außerdem beim Thema Software und Konnektivität führend, weil unsere amerikanischen Mitarbeiter hier eine besonders hohe Kompetenz haben. Und wir sind die Einzigen, die schnell liefern können. Was nützt Ihnen ein Lkw, den Sie erst in 18 Monaten bekommen?

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