
Ich muss verrückt sein. Mit meinem Targa, dessen Wiederbeschaffungswert ein Gutachter erst vor wenigen Tagen auf einen hohen fünfstelligen Eurobetrag taxiert hat, fliege ich auf dem Testgelände von Bosch in Boxberg mit fast 150 Sachen durch die Steilwandkurve. In der Außenspur liegen offiziell 21 Grad Neigung an, gefühlt sind es eher 45 Grad. Ich klammere mich ans Lenkrad, meine Beifahrerin an den Fensterrahmen.
Beide hoffen wir, dass unser Wagen brav die Spur hält und keiner der Fahrer vor, hinter, über oder unter mir jetzt irgendwelche Faxen macht. Denn wir sind keineswegs allein auf weiter Flur: Vor uns rollt ein Porsche 550 Spyder aus den 50 er Jahren, etwas weiter oben in der Steilwand hängt eine Mercedes SL aus den frühen Siebzigern, schrägt hinter uns und eine Spur tiefer versucht ein offenes Ford A-Modell samt vierköpfiger Besatzung schnaufend Anschluss zu halten. Ein BMW 321, nehme ich im Vorbeiflug wahr, hat bereits nach der ersten Runde aufgegeben: Mit geöffneter Motorhaube steht das Cabriolet auf dem Seitenstreifen.





Der Corso über das große Oval des Testgeländes ist der absolute Höhepunkt der Bosch Boxberg Klassik, einer vergnüglichen Rallye mit historischen Fahrzeugen durch das Hohenloher Land, zu der die Bosch Automotive Tradition und der Verein der Oldtimer-Schrauber aus Schwieberdingen seit inzwischen 16 Jahren Mitglieder und zahlende Gäste ins Ländle einladen.
Drei Gruppen von Menschen kaufen Oldtimer
Die Wochenend-Veranstaltung ist als Gleichmäßigkeit- und Zuverlässigkeitsprüfung für historische Automobile ausgeschrieben – als "historisch" gilt hier schon alles, was irgendwann vor 1985 produziert wurde. Daneben gilt es auch, Geschicklichkeit zu demonstrieren: Beim Balancieren eines Tabletts mit Göckele und einer Maß (Wasser) über die buckelige Marterstrecke, beim Ausweichen von "Kröten" (mit Wasser gefüllten Ballons) oder beim Wechseln von Zündkerzen an einem Motorblock.
Die Bosch Boxberg Klassik nennt sich Rallye, aber es geht bei ihr nicht ganz so bierernst zu wie bei ähnlichen professionell organisierten Veranstaltungen, die in diesen Wochen Tausende von Young- und Oldtimern auf die Straßen locken, zum Schaulaufen, zum Wettmessen, zum Fahrvergnügen, aber immer öfter auch zum Netzwerken.
Die wichtigstens Accessoires für Rallyefahrer
Halda-Twinmaster (2300 Euro) oder Brantz Retrotrip (398 Euro)
Rallye-App für iPhone oder iPad wie z.B. "Twinmaster" von i.dea (94,99 Euro)
Zwei mechanische Stoppuhren (für Start in der Sanduhr-Klasse) mit Drehlünette oder (jeweils 150-700 Euro)
Schnitttabellen-Buch oder Rallyecomputer zur Ermittlung der Geschwindigkeit wie z. B. Blizz Speed (ab 299 Euro)
Aus dem örtlichen Schreibwarengeschäft.
Rolf Balschke, Oldtimer-Rallye, Motorbuch-Verlag
„Oldtimer werden heute von drei Gruppen Menschen gekauft“, erzählte mir kürzlich Philip Kantor, der beim britischen Auktionshaus Bonhams das europäische Automobilgeschäft leitet: „Da sind zum einen die Enthusiasten, die sich für alte Technik begeistern. Die Zahl dieser Menschen sinkt allerdings.“ Getrieben wird das Geschäft inzwischen in wachsendem Maße von Investoren und „Social Collectors“ – Menschen, die sich einen Oldtimer kaufen, um ihr Vehikel zur Kontaktanbahnung zu nutzen. Kantor: „Dafür ist ein spektakuläres Auto ein sehr hilfreiches Accessoire.“
Früher ging man zum Netzwerken in einen Club oder zu den Rotariern, später lernte man dafür Golf oder Tennis. Und heute legt man sich einen Oldtimer zu und meldet sich zu einer exklusiven Rallye an. Oder man gleich eine ganze Sammlung auf – und lädt seine Geschäftspartner zu gemeinsamen Ausfahrten ein, wie ein Unternehmer aus dem Rheinland, der alle zwei Jahre seine wichtigsten Kontakte auf seine Kosten zu einer vergnüglichen Ausfahrt ins Bergische Land einlädt.





Wer kein eigenes Fahrzeug besitzt, bekommt ein Auto zur Verfügung gestellt oder darf bei einem der Oldtimer-Besitzer an Bord gehen – wo, wird zuvor ausgelost. Und während der Mittagspause werden die Teams noch einmal kräftig durchgemischt. Das Ergebnis ist eine Art Speed-Dating der exklusiven Art.
Man knüpft als Oldtimer-Besitzer so nicht nur neue Bekanntschaften, vertieft mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar Geschäftsbeziehungen. Man hat natürlich auch jede Menge Spaß, mit dem Auto, aber auch mit seinem Beifahrer, der als Navigator ordentlich gefordert wird.
Darüber tritt sogar die Freude über den Wertzuwachs, den der Oldtimer im Laufe der Jahren erfahren hat und erfährt, vorübergehend in den Hintergrund: Bei der Fahrt mit dem 45 Jahre alten Sportwagen durch die Steilwand in Boxberg steigt die Risikobereitschaft mit jeder Runde, tritt die Kalkulation möglicher Auswirkungen auf den Verkehrswert schnell in den Hintergrund. Alte Autos wollen artgerecht bewegt werden.