Opel Bochum Warum der Ärger in Bochum noch weitergeht

Am 31. Januar steht Opel wieder vor Gericht: Hätte das Werk in Bochum überleben können? Zwei Jahre nach dem Aus sind 700 Ex-Opelaner immer noch ohne Job. Der TÜV Nord und die IG-Metall beschuldigen sich gegenseitig.

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Opel: Abriss auf dem Werksgelände in Bochum. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der Schock kam kurz vor Weihnachten: Mitte Dezember erhielten die Bochumer Ex-Opelaner einen Brief von der IG Metall. Alle, die seit der Werksschließung Ende 2014 keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, öffneten den Umschlag hoffnungsvoll. Und das waren einige: Rund 1000 Menschen waren zu diesem Zeitpunkt arbeitslos. Der Betreff des Schreibens: „Drittes Jahr Transfergesellschaft“.

Doch anders, als der Betreff suggeriert, ging die Zeit in der Transfergesellschaft für die Meisten zu Ende: Nur ein kleiner Teil der Ex-Opelaner erhält tatsächlich ein drittes Jahr in der Transfergesellschaft. Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, schätzt, dass noch etwa 80 bis 90 Menschen betroffen sind. Nämlich all jene, die einen Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent haben und es damit noch schwerer haben, vermittelt zu werden. Sie bekommen noch ein Jahr lang 70 Prozent ihres letzten Gehalts. Die Kosten trägt Opel.

IG Metall ist enttäuscht

Auch wenn die Transfergesellschaft offiziell noch nicht beendet ist, lässt sich anhand des De-facto-Aus eine Zwischenbilanz ziehen: Von den ursprünglich betroffenen gut 2600 Mitarbeitern hatten kurz vor Ende der zweijährigen Übergangsmaßnahme nur 900 Ex-Mitarbeiter einen neuen Job, rund 800 seien in den Vorruhestand gegangen. Die IG Metall ist enttäuscht: „Wir hatten uns von der Transfergesellschaft deutlich mehr erwartet“, sagt Giesler.

Was ist eine Transfergesellschaft?

Dabei hat der TÜV Nord, der die Transfergesellschaft betreibt, bei Opel in der Vergangenheit überzeugt: Schon im Jahr 2010 nahmen 1800 Opelaner in Bochum mehr oder weniger freiwillig ihren Hut. Der Mutterkonzern GM hatte Stellenkürzungen angeordnet, die Vorgesetzten sollten ihren Angestellten nahe legen, zu kündigen. 300 gingen direkt nach Rüsselsheim, gut 1000 wurden in einer sogenannten Transfergesellschaft betreut, für die sich die Gewerkschaft IG Metall eingesetzt hatte.

Der TÜV Nord qualifizierte die Ex-Opelaner beziehungsweise vermittelte sie direkt an neue Arbeitgeber. Der Bedarf war da: Im Ruhrgebiet herrschte Fachkräftemangel in den Metall- und Elektroberufen. Die WirtschaftsWoche sprach damals außerdem mit Ex-Opelanern, die als Objektbetreuer bei der Deutsche Annington, Triebfahrzeugfahrer bei der Bahn, Servicetechniker bei Miele oder als Erzieher, Altenpfleger und Justizvollzugsbeamte glücklich geworden sind. Die Vermittlungsquote des TÜV Nord lag bei 75 Prozent.

Hoffen auf Jobs bei Daimler

„Vielleicht sorgt ja die geringere Größe der Gruppe für eine individuellere Betreuung und damit für bessere Vermittlungschance“, hofft Giesler mit Blick auf die verbliebenen Ex-Angestellten. Wirklich überzeugt ist er nicht. „Wenn der TÜV Nord mit Vermittlungsquoten von mehr als 50 Prozent wirbt, liegt das daran, dass wir gut 800 Kollegen und Kolleginnen mit 80 Prozent in den vorzeitigen Ruhestand geschickt haben“, sagt er.

Der Fall Opel Bochum

Bei Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer, klingt die gleiche Bilanz deutlich optimistischer: „Es sind maximal 700 Leute arbeitslos“, sagt er. Und für die gebe es Hoffnung. Daimler wolle sein Werk in Düsseldorf ausbauen. Bis 2020 sollen 300 Millionen Euro in das Sprinter-Werk investiert werden. „Das wäre ideal für die Ex-Opelaner“, so Oecking.

„Waren nicht glücklich mit dem TÜV Nord“


Der Haken: Daimler baut in diesem Werk keine Arbeitsplätze auf, sondern ab. Insgesamt 650. Denn statt die Nutzfahrzeuge für den US-Markt in Düsseldorf bauen und verschiffen zu lassen, soll in South Carolina ein US-Werk für den Sprinter entstehen. Die große Nachfrage rechtfertigt das. Hinzu kommt, dass Daimler bislang auch den baugleichen VW Crafter in Düsseldorf produziert hat. Doch künftig geht Volkswagen eigene Wege und fertigt den Crafter in einer neuen Fabrik in Polen. Es fallen also gleich zwei Projekte weg, in denen die verbliebenen Opelaner in ihrem alten Job arbeiten könnten.

Auch auf dem ehemaligen Werksgelände entstehen neue Arbeitsplätze. Mehr als die Hälfte der Gesamtfläche ist bereits wieder vergeben, sagt Rolf Heyer, Geschäftsführer der Initiative Bochum2022, die das Gelände verwaltet. Auch das alte Verwaltungsgebäude, der markante Backstein-Bau, sei bereits verkauft. Auf dem Gelände siedeln sich Firmen wie DHL, Goldbeck und Harpen an, auch die Ruhr-Universität Bochum baut dort. „Die Investoren haben uns zugesagt, dass bis 2020 1000 Arbeitsplätze entstehen“, sagt Heyer. Ob Ex-Opelaner dafür infrage kommen, ist noch nicht klar.

Zehn Opel-Klassiker, die aus Bochum kamen
Im September 1963 feiert das Rekord „A“ Coupé Premiere. Einen Monat später startet das hier abgebildete Kadett „A“ Coupé mit 48 PS starkem 1,0-Liter-Motor. Gegenüber der Kadett Limousine bietet das Coupé 20 Prozent mehr Leistung  Quelle: Presse
1965: Im September feiert der Opel Kadett „B“ als Limousine, Caravan und Coupé Weltpremiere. Das flach abfallende Coupé-Heck erinnert an die Fastback-Modelle aus den USA und soll laut Opel schon im Stand Kraft und Geschwindigkeit suggerieren. Quelle: Presse
1965: Neues Opel-Flaggschiff wird das Diplomat V8 Coupé mit Karosserie von Karmann. Im Coupé debütiert ein 230 PS-V8-Triebwerk, das erst ein Jahr später für die Limousine lieferbar wird. Abgesehen vom Mercedes 600 avanciert der Diplomat so zum leistungsstärksten Serienautomobil aus deutscher Produktion. Quelle: Presse
1965 hatte Opel auf der IAA in Frankfurt die Studie Experimental-GT als Vorbote des zweisitzigen Sportcoupés Opel GT präsentiert. 1968 ist es endlich soweit: Die Produktion für den GT läuft an. Beworben wird die "Corvette des kleinen Mannes" später mit dem Spruch "Nur Fliegen ist schöner". Quelle: Presse
Ein besonderer Imageträger wird ab März 1970 das 150 PS starke Commodore GS/E Coupé mit D-Jetronic-Einspritzung. Quelle: Presse
1973: Im August debütiert der Kadett "C". Ab Herbst 1975 auch als GT/E Coupé mit 105 PS Leistung und schwarzgelber Kriegsbemalung. Heute ein gesuchter Klassiker. 1976 sorgte Walter Röhrl sorgt mit einem 220 PS leistenden Kadett "C" Coupé bei der Rallye Monte Carlo für Furore Quelle: Presse
1975 debütiert auf der IAA die zweite Generation des Manta, der erst jetzt zur ernstzunehmenden Sportwagenalternative wird, und u.a. gegen den Ford Capri antritt. 1978 kommt der Manta CC mit Heckklappe zur Auslieferung. Zehn Jahre später, 1988 läuft der letzte Manta vom Band. Quelle: Presse

Davon abgesehen ist nicht nur die IG Metall unzufrieden mit der Arbeit des TÜV Nord. Auch einige der Ex-Mitarbeiter sind unzufrieden: „Wer einen Maschinenbauingenieur berät, muss zwar kein Maschinenbauingenieur sein, aber ein Berater sollte sich in den zu beratenden Berufsbildern einigermaßen auskennen“, sagt beispielsweise der Wirtschaftsingenieur Dieter Welwei, Jahrgang 1962, der 36 Jahre bei Opel in Bochum gearbeitet hat.

Außerdem hätte er sich eine Clusterung nach Berufsgruppen gewünscht. Bei den alle zwei Wochen stattfindenden Treffen, bei denen auf einen Berater gut 50 Mitarbeiter kamen, seien sowohl Ingenieure, als auch Produktionsmitarbeiter und sonstige Fachkräfte gleich behandelt und beraten worden, obwohl die Bedürfnisse völlig unterschiedlich seien. „Es gab in der Beratung wenig Unterschiede nach Beruf oder Qualifizierung“, so Welwei. Seiner Ansicht nach habe die Transfergesellschaft nicht viel gebracht.

Opel in Bochum von 1962 bis 2014

Auch Thomas S., 51 Jahre alt, gelernter Kfz-Mechaniker, seit 32 Jahren bei Opel, ist enttäuscht: „Die Transfergesellschaft beim TÜV Nord ist ein Flop“, sagte er. „Alle zwei Wochen müssen wir dorthin und mit unserer Beraterin reden. Immer wieder wird uns das Gefühl vermittelt, das die ehemaligen Opel-Mitarbeiter ungern gesehen sind.“ In dasselbe Horn stößt auch Giesler: „Die Maßnahmen vom TÜV Nord kamen uns eher mau vor. Es hat deswegen auch mehrere Gesprächsrunden mit der Agentur für Arbeit und Opel gegeben. Die waren auch nicht glücklich mit der Arbeit des TÜV Nord.“

Beim TÜV Nord sieht man die Sache anders: „Ich wehre mich gegen den Vorwurf, dass da jetzt Leute Not haben, weil wir nicht genug gemacht haben“, sagt Hermann Oecking. Die Qualifizierungsmaßnahmen seien zum Großteil klassische Weiterbildungen aus dem Metall- und Elektrobereich gewesen: vom CNC-Fräsen über Stanz- und Umformtechnik bis zu Lager und Logistik seien alle Qualifizierungen dabei gewesen. Außerdem habe man Existenzgründungsseminare angeboten und Opel-Mitarbeitern ermöglicht, einen Lkw-, Bus- oder Triebwagen-Führerschein zu machen.

Was die Vermittlung der Opelaner erschwert hat

Dass es dennoch nicht so gut lief, wie im Jahr 2010 habe vor allem drei Gründe, so Oecking: „Wir haben zum einen die Schwierigkeit des Alters, dann der Mobilität und letztlich der Entgeltdifferenz: Ich werfe niemandem vor, zu viel verdient zu haben, aber was jemand als Meister bei Opel bekommen hat, wird er als Fachkraft für Lager- und Logistik eben nicht bekommen.“

So habe der Altersdurchschnitt bei der ersten Transfergesellschaft zwischen 40 und 45 Jahren gelegen, Betriebszugehörigkeit 25 Jahre. „Wir hatten hier einen Altersdurchschnitt von etwa 52 Jahren. Das sind natürlich andere Bedingungen“, sagt er. Dass ein 40-Jähriger leichter einen Job bekommt, als ein 52-Jähriger, leuchtet ein.


TÜV Nord und IG Metall machen sich gegenseitig Vorwürfe

Und bei manchen Jobs habe schlicht keine Eile bestanden. „Die Mitarbeiter wussten natürlich, dass ihnen der Job als Lkw-Fahrer nicht wegläuft. Viele wollten ihn aber erst annehmen, wenn die Transfergesellschaft zu Ende ist“, so Oecking. Schließlich gibt es so lange noch die 80 Prozent vom letzten Gehalt – bezahlt von Opel und der Arbeitsagentur. Als Fernfahrer verdient man vermutlich deutlich weniger – warum sich also eilen? Wiederum andere hätten für sich die Rechnung aufgemacht, dass sie mit Arbeitslosengeld genauso viel netto heraushaben, wie sie als Lagerist netto verdienen würden.

Oecking spricht es zwar nicht deutlich aus, aber der Vorwurf, dass es sich einige bis zum Stichtag in der Transfergesellschaft bequem gemacht hätten – Gesprächskreis bei nahezu vollem Gehalt statt Waschmaschinen reparieren – steht im Raum. Vermittlungsprämien wie aus dem Jahr 2010, hätten daran vielleicht etwas ändern können, so Oecking. Hierüber sei man sich mit der IG Metall jedoch nicht einig geworden.

Eine Geisterstadt mitten im Ruhrgebiet
Ehemaliges Opel Werk Bochum Quelle: dpa
Abrissarbeiten bei Opel in Bochum Quelle: dpa
Ehemaliges Opel Werk Bochum Quelle: dpa
Ehemaliges Opel Werk Bochum Quelle: dpa
Ehemaliges Opel Werk Bochum Quelle: dpa
Ehemaliges Opel Werk Bochum Quelle: AP
Ehemaliges Opel Werk Bochum Quelle: dpa

Die habe den TÜV Nord als Betreiber der Transfergesellschaft am liebsten ganz loswerden wollen, wie Giesler anklingen lässt. „Es wurde nicht genügend Energie investiert, um die Kollegen und Kolleginnen für einen anderen Arbeitsmarkt fit zu machen“, sagt er. „Da gab es dann ein Speed-Dating mit 30 Arbeitgebern. Wenn jeder von denen zehn Leute sucht, werden also bestenfalls 300 vermittelt. Und was ist mit den übrigen 1000? Das war alles nicht nachhaltig.“

Trotzdem habe man von Seiten der Gewerkschaft darauf gehofft, dass es im zweiten Jahr der Transfergesellschaft, wenn der Schock bei der Belegschaft nachgelassen hat, mehr Opelaner vermittelt würden. „Doch das ist nicht passiert“, zieht Giesler Bilanz.
Oecking widerspricht: „Insgesamt haben wir bis jetzt 1002 Menschen vermittelt.“ Davon sind ihm zufolge 872 Vermittlungen bis zum Stichtag am 31. Dezember 2016 zustande gekommen, 103 Ex-Opelaner haben zum 1. Januar 2017 einen neuen Job aufgenommen. 27 haben sich selbstständig gemacht oder machen sich 2017 selbstständig. Das geht aus den Zahlen des TÜV Nord, Stand 13. Januar 2017, hervor.

Von den erfolgreich vermittelten ehemaligen Mitarbeitern war für ein Gespräch niemand bereit. „Sie möchten sich jetzt, verständlicherweise, auf ihre neue Arbeit konzentrieren und deshalb nicht in der Presse erscheinen“, hieß es von Seiten des TÜV Nord.

Unabhängig davon, wie es den Ex-Opelanern heute geht, ist der Fall Opel Bochum längst noch nicht abgeschlossen. Seit vier Jahren beschäftigt die Werksschließung unter anderem das Landgericht Darmstadt. Am Dienstag wird dort wieder verhandelt, ob es rechtens war, das Werk 2014 zu schließen. Geklagt hatte Rainer Einenkel, ehemaliges Aufsichtsratsmitglied der Adam Opel AG. Und das schon im August 2013, also gut anderthalb Jahre vor der endgültigen Schließung des Werkes. Ein Urteil fällt vermutlich nicht.

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