Der Schock kam kurz vor Weihnachten: Mitte Dezember erhielten die Bochumer Ex-Opelaner einen Brief von der IG Metall. Alle, die seit der Werksschließung Ende 2014 keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, öffneten den Umschlag hoffnungsvoll. Und das waren einige: Rund 1000 Menschen waren zu diesem Zeitpunkt arbeitslos. Der Betreff des Schreibens: „Drittes Jahr Transfergesellschaft“.
Doch anders, als der Betreff suggeriert, ging die Zeit in der Transfergesellschaft für die Meisten zu Ende: Nur ein kleiner Teil der Ex-Opelaner erhält tatsächlich ein drittes Jahr in der Transfergesellschaft. Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, schätzt, dass noch etwa 80 bis 90 Menschen betroffen sind. Nämlich all jene, die einen Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent haben und es damit noch schwerer haben, vermittelt zu werden. Sie bekommen noch ein Jahr lang 70 Prozent ihres letzten Gehalts. Die Kosten trägt Opel.
IG Metall ist enttäuscht
Auch wenn die Transfergesellschaft offiziell noch nicht beendet ist, lässt sich anhand des De-facto-Aus eine Zwischenbilanz ziehen: Von den ursprünglich betroffenen gut 2600 Mitarbeitern hatten kurz vor Ende der zweijährigen Übergangsmaßnahme nur 900 Ex-Mitarbeiter einen neuen Job, rund 800 seien in den Vorruhestand gegangen. Die IG Metall ist enttäuscht: „Wir hatten uns von der Transfergesellschaft deutlich mehr erwartet“, sagt Giesler.
Was ist eine Transfergesellschaft?
Eine Transfergesellschaft wird dann ins Leben gerufen, wenn sich das Unternehmen aus eigener Kraft nicht mehr retten kann, und durch diese Krise Massenentlassungen nicht zu vermeiden sind.
Der Zweck einer Transfergesellschaft ist es, Arbeitnehmer, die gekündigt werden sollen, in einen befristeten Arbeitsvertrag zu übernehmen. Dazu wird eine eigene Gesellschaft gegründet. Für die Gründung der Transfergesellschaft gibt es ein gesetzlich definiertes Verfahren. Es wird in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit umgesetzt. Beim Wechsel in eine Transfergesellschaft werden die Mitarbeiter für maximal ein Jahr weiter beschäftigt.
Transfergesellschaften haben ausschließlich das Ziel, die bei ihnen angestellten Beschäftigten so schnell wie möglich in neue Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Wer in eine Transfergesellschaft wechselt, ist dort angestellt - nicht beim bisherigen Arbeitgeber. Die Schlecker-Mitarbeiter wäre also nicht mehr bei Schlecker beschäftigt, sondern in der neu gegründeten Transfergesellschaft.
Einige große Konzerne haben in schweren Krisensituationen, in denen tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, bereits Transfergesellschaften gegründet: Telekom, Opel, Infineon, der Autozulieferer Phoenix, die ehemalige Siemens-Tochter BenQ.
Rechtlich handelt es sich bei Transfergesellschaften um so genannte strukturelle Kurzarbeit. Das bedeutet, die Beschäftigten erhalten "Transferkurzarbeitergeld". Das beträgt 60 Prozent des Nettolohns für Mitarbeiter, die keine Kinder haben; Mitarbeiter mit Kind erhalten 67 Prozent des letzten Nettolohns. Diesen Betrag zahlt das Arbeitsamt aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. In vielen Fällen stockt der ehemalige Arbeitgeber das Gehalt auf 80 Prozent auf.
Während der ersten Transfergesellschaft 2010 bekamen die Ex-Opelaner 80 Prozent ihres letzten Gehalts. Finanziert wurde das zu gleichen Teilen von der Arbeitsagentur und Opel. Ausgelegt war die Transfergesellschaft für zwölf Monate. Wer vorher einen neuen Job fand, bekam eine sogenannte Sprinter-Prämie: Für jeden Monat, den der Autokonzern das Gehalt nicht mehr zahlen musste, gab es 1000 Euro für die Ex-Mitarbeiter. So sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass sich die Mitarbeiter nicht zwölf Monate lang weiterbezahlen lassen und dann erst aktiv nach Jobs suchen.
Dem TÜV Nord standen Gelder aus dem Europäischen Globalisierungsfonds (EGF) in Höhe von 6,9 Millionen Euro zur Verfügung, um die Mitarbeiter weiterzubilden und zu vermitteln. „Wir hatten 4,3 Millionen Euro von Opel und die Möglichkeit bei Bedarf bis zu 6,9 Millionen Euro vom EGF abzurufen“, sagt Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer.
„Beim EGF gab es zwei Fördertöpfe. Einen für die klassischen Qualifizierungsmaßnahmen und einen für sonstige arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Job-Speed-Datings mit Arbeitgebern, Job-Messen und so weiter.“
Abgerufen wurde laut dem Bundesarbeitsministerium jedoch nur 3,182 Millionen Euro für Qualifizierung, Beratung und Betreuung der Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Hinzu kamen nochmal 430.000 Euro für Verwaltungskosten des TÜV Nord. Nach den EU-Vorgaben habe der TÜV Nord zuerst das von Opel zur Verfügung gestellte Geld ausgeben müssen. „Danach wurden mit EGF -Gelder alle weiteren Maßnahmen ermöglicht, die für die berufliche Zukunft sinnvoll waren“, sagt er. „Mit dem Mittelabruf liegen wir im Durchschnitt vergleichbarer Transfergesellschaften. Dies hat das Bundesarbeitsministerium bestätigt."
Dabei hat der TÜV Nord, der die Transfergesellschaft betreibt, bei Opel in der Vergangenheit überzeugt: Schon im Jahr 2010 nahmen 1800 Opelaner in Bochum mehr oder weniger freiwillig ihren Hut. Der Mutterkonzern GM hatte Stellenkürzungen angeordnet, die Vorgesetzten sollten ihren Angestellten nahe legen, zu kündigen. 300 gingen direkt nach Rüsselsheim, gut 1000 wurden in einer sogenannten Transfergesellschaft betreut, für die sich die Gewerkschaft IG Metall eingesetzt hatte.
Der TÜV Nord qualifizierte die Ex-Opelaner beziehungsweise vermittelte sie direkt an neue Arbeitgeber. Der Bedarf war da: Im Ruhrgebiet herrschte Fachkräftemangel in den Metall- und Elektroberufen. Die WirtschaftsWoche sprach damals außerdem mit Ex-Opelanern, die als Objektbetreuer bei der Deutsche Annington, Triebfahrzeugfahrer bei der Bahn, Servicetechniker bei Miele oder als Erzieher, Altenpfleger und Justizvollzugsbeamte glücklich geworden sind. Die Vermittlungsquote des TÜV Nord lag bei 75 Prozent.
Hoffen auf Jobs bei Daimler
„Vielleicht sorgt ja die geringere Größe der Gruppe für eine individuellere Betreuung und damit für bessere Vermittlungschance“, hofft Giesler mit Blick auf die verbliebenen Ex-Angestellten. Wirklich überzeugt ist er nicht. „Wenn der TÜV Nord mit Vermittlungsquoten von mehr als 50 Prozent wirbt, liegt das daran, dass wir gut 800 Kollegen und Kolleginnen mit 80 Prozent in den vorzeitigen Ruhestand geschickt haben“, sagt er.
Der Fall Opel Bochum
Im Juni 2012 beschloss die Opel-Mutter GM, den Standort Bochum dicht zu machen. Ende 2016, wenn die Produktion des Zafira auslaufe, sollte Schluss sein.
Im April 2013 teilten der Opel-Vorstand und die Bochumer Werksleitung die Schließung den Mitarbeitern mit. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von Opel und die IG Metall stimmten dagegen.
Einen Monat später wurde verkündet, dass der Opel Zafira künftig in Rüsselsheim produziert werden solle. Damit war die Sache besiegelt. "Bochum schließen um andere Werke zu erhalten", erklärte damals der Opel-Vorstand.
Im August reichte Rainer Einenkel Klage gegen die Schließung des Werks in Bochum ein. Der Betriebsratschef und Mitglied des Aufsichtsrates klagte, dass der Aufsichtsrat bei der Schließung übergangen und ihm wichtige Informationen zur Zafira-Verlagerung nach Rüsselsheim verweigert wurden.
Am 10. Dezember 2014 rollte der letzte Zafira vom Band, für 3000 Opelaner war das der letzte Arbeitstag.
Bei Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer, klingt die gleiche Bilanz deutlich optimistischer: „Es sind maximal 700 Leute arbeitslos“, sagt er. Und für die gebe es Hoffnung. Daimler wolle sein Werk in Düsseldorf ausbauen. Bis 2020 sollen 300 Millionen Euro in das Sprinter-Werk investiert werden. „Das wäre ideal für die Ex-Opelaner“, so Oecking.