Opel-Werk Bochum Eine Schließung wäre keine Katastrophe

Zahlreiche Unternehmen im Ruhrgebiet wollen die Mitarbeiter des Bochumer Opelwerks einstellen, sollte die Anlage schließen. Auch der Bruder eines prominenten Bochumer umwirbt die Angestellten des Autobauers.

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Serkan Ceylan, 23: Bei Opel in Bochum von 2005 bis 2011, jetzt Servicetechniker bei Miele in der Region Moers. Quelle: Andre Zelck für WirtschaftsWoche

Deutschrocker Herbert Grönemeyer war wieder zur Stelle. „Das Opel-Werk Bochum darf nicht sterben“, forderte er noch im Mai bei einem Konzert im Bochumer Fußballstadion. „So geht man nicht mit Menschen um. Die Leute fühlen sich in ihrer Kultur verletzt.“

Andere Töne stimmt der Bruder des Barden, der Bochumer Mediziner und Buch-Autor Dietrich Grönemeyer, an. Puren Protest findet er „eindimensional“. Statt Schwarzmalerei, sagt er gegenüber der WirtschaftsWoche, sei eine „nüchterne Betrachtungsweise“ angebracht. In einer „konzertierten Aktion“, so der Promi-Doktor, gelte es etwa, „alle Möglichkeiten für Opelaner in der Gesundheitswirtschaft auszuloten, konkrete Angebote und die nötigen Umschulungen vorzubereiten“. Medizin sei ein „positiver Wirtschaftsfaktor, gerade in Bochum“, schwärmt er und setzt auf das „Medical Valley Ruhr“ mit fast 300 000 Arbeitsplätzen.

Vision statt Katastrophe. Wenn GM das Werk Bochum wie geplant 2016 dichtmacht, werden 3200 Mitarbeiter vor die Tür gesetzt. Das kann zwar für GM eine der teuersten Werksschließungen aller Zeiten werden, weil bis zu einer halben Milliarde Euro für Abfindungen fällig werden. Doch die Mitarbeiter müssen nicht, wie von Sänger Grönemeyer suggeriert, vor dem beruflichen Nichts stehen. Arbeitsmarktexperten verweisen auf Tausende unbesetzte Stellen in der Region, für die die Opelaner bestens qualifiziert seien, sowie auf zahlreiche Jobs, für die Opel-Mitarbeiter mit Schulungen fit gemacht werden könnten.

Eine Transfergesellschaft für die Entlassenen

Dass der Standort – wie seit Jahren befürchtet – tatsächlich geschlossen wird, hat die GM-Spitze vergangene Woche entschieden. In der 50 Jahre alten Fabrik, deren Mitarbeiterzahl in den vergangenen Jahrzehnten von mehr als 20 000 auf derzeit 3800 schrumpfte, sollen Ende 2016 die Lichter ausgehen. Dann läuft die Produktion der Großraumlimousine Zafira aus. Einen Ersatz für das Modell soll das Werk nach den GM-Plänen nicht bekommen.

In der jüngeren Vergangenheit waren Stellenstreichungen bei Opel aber nicht unbedingt mit sozialem Absturz verbunden. 2010 hatte General Motors bereits beschlossen, Jobs zu kappen, von damals gut 5000 Mitarbeitern in Bochum sollen 1800 gehen. Die Gewerkschaften erzwangen eine Transfergesellschaft, die der TÜV Nord auf dem Werksgelände betreibt. Sie parkt Entlassene bis zu zwölf Monate lang, entlohnt sie, entleiht sie zur Probe neuen Arbeitgebern und versucht sie so fest unterzubringen.

Von den 1800 Mitarbeitern, die das Werk verlassen mussten, sind 300 zu Opel nach Rüsselsheim gegangen. 750 befinden sich derzeit bei der Transfergesellschaft in der Vermittlung. 300 wechseln bis Ende 2012 noch dorthin. 450 Ex-Opelaner haben die Parkstelle jedoch verlassen, rund 340 davon sind in einen neuen Job gewechselt – eine Vermittlungsquote von 75 Prozent. Bei der Transfergesellschaft des 2008 geschlossenen Bochumer Nokia-Werks waren es nur 20 Prozent. Der Vermittlungserfolg bei Opel könnte zur Blaupause für die Schließung 2016 werden.

Mitarbeiter bereuen den Wechsel nicht

Torsten Diwisch, 42: Bei Opel in Bochum von 1991 bis 2011, jetzt Anwendungstechniker beim Schmierstoffhersteller Bremer & Leguil in Duisburg. Quelle: Andre Zelck für WirtschaftsWoche

Viele Opelaner konnten sich ein Leben nach Opel nicht vorstellen. Zum Beispiel Klaus Kleine. Der 53-Jährige arbeitete 30 Jahre in der 1962 eröffneten Bochumer Fabrik. Im Herbst vergangenen Jahres gab er dem Druck seiner Vorgesetzten nach, wechselte in die Transfergesellschaft und heuerte beim größten deutschen Wohnungsvermieter Deutsche Annington als Objektbetreuer an. Derzeit in Köln, bald aber an seinem Wohnort Bochum, vergibt Kleine Reparaturaufträge an Handwerker, kontrolliert, ob Fliesenleger und Anstreicher ordentlich gearbeitet haben, oder schlichtet Streitigkeiten. Zum 1. Juli wird er fest übernommen. „Ich bin ein ganz anderer Mensch geworden. Der psychische Stress ist weg“, sagt der Ex-Opelaner, der nun etwas weniger verdient als zuvor: „Aber das ist es mir wert. Die ständige Angst um den Job ist vorbei.“

Die Jobs, in die Opelaner hineinwachsen können, sind höchst unterschiedlich. Robert Czaplicki, 31, baute am Band jahrelang Airbags, Sicherheitsgurte und Kabelbäume in Astra- und Zafira-Autos ein. Jetzt steuert er für fast das gleiche Gehalt als Triebfahrzeugführer der Deutschen Bahn Regionalzüge durchs Ruhrgebiet. „Mir war klar, dass ich nicht ewig bei Opel bleiben konnte. Die Firma drohte mit Zwangsversetzung nach Rüsselsheim, und irgendwann hatte ich auch keine Lust mehr“, sagt er. Seit dem Jobwechsel ist dem gelernten Energieelektroniker aus Wanne-Eickel „eine Last von den Schultern gefallen“.

Mokka kommt nach Saragossa
Zaragoza Quelle: REUTERS
Bochum Quelle: dpa
Rüsselsheim Quelle: dpa
Eisenach Quelle: AP
Kaiserslautern Quelle: dpa
Ellesmere Quelle: dpa
Luton Quelle: dpa

„Gut aufgehoben“ fühlt sich auch Torsten Diwisch bei seinem neuen Arbeitgeber, dem Schmierstoffhersteller Bremer & Leguil in Duisburg. Der frühere Opel-Industriemechaniker wird dort zum Anwendungstechniker umgeschult. Bei dem mittelständischen Betrieb, sagt der 42-Jährige, „geht es familiärer zu, man kann sich nicht verstecken, aber Leistungen werden auch anerkannt“.

Neue Arbeitgeber prüfen ohne Risiko das neue Personal

„Ich hab das goldene Los gezogen“, glaubt Serkan Ceylan. Der 23-jährige Betriebstechnik-Elektroniker erhielt nach einem Monat bei der Transfergesellschaft zwei Job-Angebote und repariert nun als Miele-Servicetechniker Waschmaschinen, Trockner und Geschirrspülmaschinen im 50-Kilometer-Umkreis von Moers. Mit Dienstwagen und Firmen-Laptop ist er auf Tour. Den notwendigen Umzug von Gelsenkirchen an den Niederrhein bereuen er und seine Familie nicht.

Die Transfergesellschaft erweist sich so als effiziente Jobbörse und Überbrückung. Für die Dauer in der Einrichtung bis zu einem Jahr erhalten ehemalige Opelaner 80 Prozent ihres letzten Gehalts bei der GM-Tochter – den Betrag teilen sich die Arbeitsagentur und Opel. Jeder ehemalige Opel-Mitarbeiter kann einen neuen Job antreten, wird dabei aber bis zu sechs Monate weiterhin von der Arbeitsagentur und Opel bezahlt. Wer vor zwölf Monaten zu einem neuen Arbeitgeber wechselt, bekommt von Opel zusätzlich zur ohnehin vereinbarten Abfindung eine sogenannte Sprinterprämie in Höhe von 1000 Euro für jeden Monat, den der Autokonzern sein Gehalt nicht mehr zahlen muss.

Waschmaschinen-Reparateur Ceylan etwa gehörte der Transfergesellschaft nur ein halbes Jahr an und kassierte so 6000 Euro extra. Neue Arbeitgeber profitieren, weil sie ohne Risiko neues Personal testen können, ohne sofort anstellen zu müssen. Dafür werden 250 Euro Verwaltungsgebühr pro Monat fällig.

Mittelständler und Handwerker zeigen Interesse

Klaus Kleine, 53: Bei Opel in Bochum von 1981 bis 2011, jetzt Objektbetreuer bei der Deutschen Annington in Bochum. Quelle: Andre Zelck für WirtschaftsWoche

Die Chancen, dass die überzähligen Opelaner 2016 ähnlich gute Erfahrungen machen, stehen nicht schlecht. Denn selbst im strukturschwachen Ruhrgebiet gibt es bei Berufen im Metall- und Elektrobereich Fachkräftemangel. Durchschnittlich 1845 neue Stellen werden der Agentur für Arbeit in Bochum und neun umliegenden Arbeitsagenturen Monat für Monat gemeldet (siehe Grafik Seite 54) für 16 verschiedene Berufsbilder, die 80 Prozent der Bochumer Opel-Belegschaft abdecken. Der Sockel freier Stellen ist in diesem Bereich inzwischen auf 4700 Vakanzen angewachsen. Und das ist nur ein Bruchteil der zu vergebenden Jobs, denn 60 Prozent der freien Stellen tauchen in der Statistik der Arbeitsagentur nie auf, weil die Arbeitgeber sie nicht melden.

„Der Markt ist noch nicht gesättigt“, sagt der Bochumer Arbeitsagentur-Chef Udo Glantschnig, „in der Metallbranche ist der Fachkräftemangel bereits spürbar.“ Auch Mittelständler und Handwerker in und um Bochum seien heute an Opelanern mit Metall- oder Elektro-Ausbildung „stark interessiert“. Zudem kennen Opelaner die Härten des Schichtbetriebs und wissen nach vielen Sparrunden die Arbeit bei einem wirtschaftlich gesunden Betrieb zu schätzen.

Die ehemaligen Autowerker sind aber auch für andere Branchen geeignet. „Wir haben unter den ehemaligen Opelanern angehende Erzieher, Altenpfleger und Justizvollzugsbeamte“, sagt Katja Jacobsen, Projektleiterin der Opel-Transfergesellschaft des TÜV Nord.

Typischer Mitarbeiter: Mitte 40, 25 Jahre bei Opel Bochum

Nach der guten Erfahrung mit dem Ex-Opelaner Kleine will Deutsche-Annington-Chef Wijnand Donkers zum 1. September „rund 20 weitere Mitarbeiter aus der Opel-Transfergesellschaft einstellen“. Donkers verdoppelt gerade die Mitarbeiterzahl des in Bochum beheimateten Wohnungsriesen auf bundesweit rund 2000 : „Viele Opelaner“, sagt er, „erfüllen die nötigen Voraussetzungen in besonderem Maß.“

Auch die Bahn hat schon insgesamt 20 Ex-Opelaner wie Czaplicki zu Lokführern für Regionalzüge gemacht und sucht ständig neue. Selbst Erich Staake, Vorstandschef des Duisburger Hafenbetreibers Duisport, prüft bereits, ob er Verwendung für Opelaner findet. Sie könnten künftig im weltgrößten Binnenhafen als Logistikfachkräfte arbeiten oder aber in neu angesiedelten Fabriken zum Einsatz kommen.

Ob ein Jobabbau bei einer Abwicklung des Opel-Werkes 2016 so glimpflich ablaufen würde wie die derzeitige Reduzierungsrunde, hängt aber von vielen Faktoren ab. Die Sozialstruktur zumindest spricht dafür. Das durchschnittliche Alter der Mitarbeiter der gegenwärtigen Transfergesellschaft entspricht dem der aktiven Bochumer Opelaner: Mitte 40, rund 25 Jahre Betriebszugehörigkeit.

So oder so, eine Schließung wird teuer für GM

Robert Czaplicki, 31: Bei Opel in Bochum von 1998 bis 2011, jetzt Triebzeugführer bei DB Regio NRW, Diensstelle Duisburg.

Mit entscheidend für den Vermittlungserfolg sei, ob viele Beschäftigte auf einen Schlag neue Jobs suchen oder ob der Stellenverlust zeitlich gestreckt wird, sagt Transfer-Managerin Jacobsen: „Wechseln alle paar Monate Gruppen von Beschäftigten in die Transfergesellschaft, sind die Vermittlungschancen natürlich besser.“

Ein schrittweiser Personalabbau würde auch zum üblichen Lebenszyklus eines Automodells passen. Zu Beginn werden in der Regel die meisten Fahrzeuge abgesetzt, in den folgenden Jahren geht der Absatz kontinuierlich zurück. Damit dürfte auch Opel in Bochum kalkulieren. So teilte das Unternehmen in der vergangenen Woche mit, dass die Produktion des Opel-Zafira bis zum Ende der Laufzeit 2016 in Bochum bleibt. Mit diesem Datum vor Augen könnten über Jahre Mitarbeiter freiwillig mit einer Abfindung ausscheiden, der Rest könnte nach der Werkschließung in eine Transfergesellschaft wechseln.

Eine Abfindung: Nicht unter 150 000 Euro pro Mitarbeiter

Unabhängig vom zeitlichen Verlauf wäre die Schließung des Bochumer Opel-Werkes auf jeden Fall ein kostspieliges Unterfangen für die Konzernmutter GM. Denn die dortigen Betriebsräte und IG-Metaller werden versuchen, für die gefeuerten Mitarbeiter das Maximum herauszuholen und „alle juristischen und politischen Maßnahmen unterstützen“, droht Betriebsratschef Rainer Einenkel. „Das würde eine langjährige, politisch und finanziell teure Angelegenheit werden, die lange Jahre die Diskussion in der Öffentlichkeit prägen würde.“

Angesichts der massiven Gegenwehr dürfen die Opelaner mit guten Abfindungen rechnen. Kalkuliert würden die Abfindungen wohl nach einer Formel, die auch bislang bei Opel zur Anwendung kam: Lebensalter mal Betriebszugehörigkeit in Jahren mal Monatsgehalt geteilt durch 35. So dürfte ein 45-jähriger Mitarbeiter, der 25 Jahre bei Opel war und 3000 Euro im Monat verdiente, mit einer Abfindung von knapp 100 000 Euro rechnen. Aber es kann leicht auch mehr werden: „Unter 150 000 Euro pro Mitarbeiter wird es bei Opel wohl nicht laufen“, sagt der Manager eines Industrieunternehmens aus der Region.

Bei 150 000 Euro Abfindung pro Mitarbeiter müsste GM für alle dann noch im Werk tätigen 3200 Mitarbeiter 480 Millionen Euro berappen. Hinzu kämen womöglich Sprinter-Prämien für Mitarbeiter, die vorzeitig ausscheiden.

Da könnte Betriebsrat Einenkel recht behalten. Das Ende des Bochumer Werks, kündigte er bereits an, werde „für Opel die teuerste Werkschließung aller Zeiten“.

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