
Zeitenwende, Ende einer Ära, historische Zäsur: Nach dem dreiwöchigen Machtkampf ist bei Volkswagen nichts mehr so, wie es vorher war. Richtig sichtbar wird dies zum ersten Mal an diesem Dienstag, bei der VW-Hauptversammlung – denn der „Alte“ wird aller Voraussicht nach fehlen: Ferdinand Piëch, der Verlierer der Schlacht um die Führungsspitze, langjähriger Vorstands- und Aufsichtsratschef bei Europas größtem Autobauer, ein Patriarch a.D., eine Führungs- und Vaterfigur, die dem Konzern abhandengekommen ist.
Und so dürfte es ein ungewohntes Bild sein, das sich den VW-Aktionären bietet. Nicht Piëch, sondern ein Gewerkschafter leitet die Hauptversammlung in der riesigen Halle 2 auf dem Messegelände in Hannover: Berthold Huber. Seit dem Rücktritt des 78-jährigen Piëchs ist der 65-jährige frühere Chef der IG Metall kommissarischer Vorsitzender des VW-Aufsichtsrats.
Bis vor kurzem noch schien dies kaum vorstellbar: VW ohne Piëch. Jahrzehntelang hatte der Großaktionär als Audi-Chef, später dann Konzernchef und schließlich Aufsichtsratsvorsitzender Volkswagen gelenkt, er war das Machtzentrum bei dem Autobauer, sein Wort war Gesetz – nicht nur, weil er gleichzeitig auch VW-Großaktionär ist.
Vettern in den Schlagzeilen
Seine VW-Anteile hält Piëch über die Porsche SE, die Salzburger Holding der Familien Porsche und Piëch. Genau hier liegt ein Problem, weiß Ekkehard Wenger, Professor für Betriebswirtschaftslehre, Bank- und Kreditwirtschaft an der Universität Würzburg – weshalb er einen Eklat auf der Hauptversammlung für unwahrscheinlich hält. „Bei der Porsche SE gibt es ein ziemlich unübersichtliches Geflecht von Schachtelbeteiligungen mit einem Übergewicht des Porsche-Familienstamms bei Kapital und Stimmrechten, gegen das Piëch nichts ausrichten kann, selbst wenn er den gesamten Piëch-Clan hinter sich hat“, sagte Wenger dem Fachmagazin „Automobil Produktion“. „Darüber hinaus gibt es zwar Konsortialverträge, die die Familien zu einem einvernehmlichen Abstimmungsverhalten anhalten sollen, wobei in der Öffentlichkeit unbekannt ist, wie die Konsortialverträge den Fall regeln, dass ein Einvernehmen nicht herzustellen ist.“
Nach einem Einvernehmen sieht es derzeit aber nicht aus. In der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums über die Zukunft von Konzernboss Martin Winterkorn stand Piëch isoliert da, er verlor die Abstimmung des sechsköpfigen Gremiums mit eins zu fünf. Gegen seinen Standpunkt votierten der Betriebsrat, Gewerkschafts-Vertreter Huber, das Land Niedersachsen – und Piëchs Cousin Wolfgang Porsche.
Piëch und seine Figuren
Auf dem Weg des Ferdinand Piëch vom Audi-Manager auf den Aufsichtsratschefsessel des größten Autokonzerns Europas, blieb so mancher Top-Manager auf der Strecke. Die wichtigsten Stationen zusammengefasst.
Nach fünf Jahren als Vize übernimmt Piëch bei Audi den Chefsessel von Wolfgang Habbel und baut die Marke mit den vier Ringen zur Premiummarke um. In die Ära des Vollblutingenieurs fällt die Entwicklung des Super-Diesels TDI sowie des Allradantriebs Quattro.
Als neuer VW-Chef wirbt Piëch den Einkaufschef José Ignacio López vom Konkurrenten General Motors (GM) ab, der die Preise der Zulieferer drücken soll. Wegen des Verdachts, GM-Betriebsgeheimnisse an VW verraten zu haben, muss Piëch 1996 López fallen lassen.
Piëch heuert das IG-Metall- und SPD-Mitglied Peter Hartz als VW-Personalchef an. Der führt die Vier-Tage-Woche ein und spart so 500 Millionen Euro Lohnkosten. Nachdem auffliegt, dass VW unter ihm Luxusreisen und Bordellbesuche für Betriebsräte finanzierte, muss Hartz gehen.
Als Piëch 2002 VW-Aufsichtsratschef wird, installiert er Ex-BMW-Chef Bernd Pischetsrieder als VW-Lenker. Der agiert eigenständig, macht Piëch-Ideen rückgängig. Fünf Jahre später schweigt Piëch demonstrativ, als er gefragt wird, ob Pischetsrieder im Amt bleibt. Kurz darauf holt er Winterkorn.
Jahrelang versuchte Porsche-Chef Wendelin Wiedeking unter der Aufsicht von Piëch VW zu übernehmen. Als dies scheitert, sagt Piëch auf die Frage von Journalisten, ob Wiedeking sein Vertrauen genieße: „Zurzeit noch. Das ,Noch‘ können Sie streichen.“ Wiedeking muss gehen.
Ferdinand Piëch und Wolfgang Porsche entstammen zwar einer Familie, passen aber zusammen wie Feuer und Wasser, nicht wie Pech und Schwefel. Der Machtpoker in der VW-Spitze hat die beiden Vettern wieder in die Schlagzeilen gebracht – und mit ihnen ihre zwei Familienstämme.
Es liegt Ironie darin, dass mit Wolfgang Porsche ausgerechnet der ruhige und auf Ausgleich bemühte Cousin am Ende eines erbitterten Führungsstreits um die Zukunft von Konzernchef Martin Winterkorn als Sieger dasteht. Jetzt, wo die Medien bei der Hauptversammlung am nächsten Dienstag nicht mehr auf den Patriarchen und seine ebenfalls aus dem Aufsichtsrat zurückgetretene Frau Ursula schauen können, dürften die Kameras vor allem auch immer wieder auf den bisher weniger beachteten Aufsichtsrat Wolfgang Porsche schwenken.
Außerdem im Fokus: Louise Kiesling (57) und Julia Kuhn-Piëch (34). Die beiden Frauen aus der vierten Generation des Porsche/Piëch-Clans waren auf Wunsch des Unternehmens auf die freien Aufsichtsratsplätze nachgerückt.
„WoPo“, wie sie Wolfgang Porsche intern nennen, ist nach dem Abgang der Piëchs der ordnende Faktor auf der Kapitalseite. Er und nicht mehr Piëch hält nun die Fäden zusammen. Und „WoPo“ hat seine Maxime dafür noch an dem Tag erklärt, an dem sein Cousin zurücktrat: „Wir werden weiterhin mit großer Loyalität unsere Verantwortung als Großaktionär für den Volkswagen-Konzern und seine 600.000 Mitarbeiter wahrnehmen.“ Die Art von Piëchs Angriff auf Winterkorn, da sind sie sich an der VW-Spitze einig, hatte mit Verantwortung nicht viel zu tun.