WirtschaftsWoche: Herr Müller, herzlichen Glückwunsch.
Matthias Müller: Wozu?
Zur Berufung in den Vorstand des Volkswagen-Konzerns.
Das darf man nicht überbewerten: Es ist nur konsequent, dass nach der erfolgreichen Integration von Porsche in den VW-Konzern die Marke auch im Konzernvorstand vertreten ist. Für mich ändert sich erst einmal gar nichts, weil ich ohnehin schon versucht habe, die Dinge mitzugestalten.
Zur Person
Müller, 61, steht seit Oktober 2010 an der Spitze des Sportwagenherstellers Porsche, der seit 2009 zum Volkswagen-Konzern gehört. Nach einer Ausbildung zum Werkzeugmacher bei Audi studierte der gebürtige Chemnitzer Informatik. Später leitete er bei Audi, Seat, Lamborghini und Volkswagen das Produktmanagement.
Es heißt, dass Sie als Leiter eines neuen Vorstandsressorts künftig für alle sportlichen Marken im Konzern verantwortlich sein werden, also auch für Lamborghini und Bentley?
Ach wissen Sie, das ist mal wieder ein neues Gerücht. Ich gehe als Vorstandsvorsitzender der Marke Porsche in den Konzernvorstand, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Alles, was sich ansonsten an Gestaltungsoptionen ergeben sollte, werden wir zu gegebener Zeit sehen.
So oder so – Ihr Terminplan wird mit der neuen Aufgabe nochmals verdichtet: Sie leiten parallel die Porsche AG, sitzen im Aufsichtsrat der Porsche-Holding. Aus dem Rennen um die Nachfolge von Martin Winterkorn als Konzernchef haben Sie sich aber kürzlich selbst genommen, mit der Erklärung, Sie seien zu alt dafür.
Meine Meinung ist, und die vertrete ich auch hier, dass man auch über einen Generationswechsel nachdenken sollte, wenn sich die Frage eines Tages stellt. Und wenn man über einen Generationswechsel spricht, dann denke ich nicht, dass ich dafür dann noch der richtige Mann bin. Im Moment fühle ich mich überhaupt nicht alt, sondern pudelwohl hier bei der tollsten Firma der Welt. Und ich habe bereits drei Aufgabenstellungen. Denen werde ich mich weiter mit vollem Einsatz widmen.
Sie bringen jedenfalls gute Daten mit: Porsche hat im vergangenen Jahr 189.850 Autos verkauft, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Der Gewinn stieg um gut 5 Prozent. Geht die Rekordfahrt so weiter?
Wir sind mit der Gewinnentwicklung zufrieden: Unser Ziel bleibt eine durchschnittliche operative Rendite von 15 Prozent – aktuell liegen wir bei 16 Prozent. 2014 haben wir auch eine ordentliche Kapitalrendite von 27 Prozent. Wir sind also im grünen Bereich. Aber man muss auch sehen, dass Porsche in einer Investitionsphase steckt: Wir müssen unsere Produkte pflegen, neue Technologien entwickeln und den Stau auflösen, den der frühere Vorstand hinterlassen hat. Das alles kostet eine Menge Geld.
Wo gibt es denn einen Stau aus der Ära von Wendelin Wiedeking?
Das Geschäftsmodell bei meinem Vorvorgänger war ein anderes als unseres heute. Sein Streben ging dahin, die Wertschöpfungstiefe von Porsche geringzuhalten und möglichst wenig zu investieren. Er hat deshalb Autos fremd entwickeln und extern bauen lassen. Zu der Zeit mag das richtig gewesen sein: 2003 hatte Porsche ganz wenig Geld zur Verfügung. Infolge dieser Strategie hat man sich aber in eine starke Abhängigkeit gebracht von den großen Zulieferern. Das hat das Geschäft teuer und unhandlich gemacht. Heute wollen wir das Kerngeschäft selbst beherrschen.
"Das Apple-Modell ist nicht auf uns übertragbar"
Was zählen Sie zum Kerngeschäft?
Ich nenne ein einfaches Beispiel: So komplizierte Blechbauteile, wie wir sie verwenden, kann nicht jeder herstellen. Und die Werkzeuge, die man dafür braucht, auch nicht. Beim neuen Panamera, der kommendes Jahr auf den Markt kommt, haben wir größte Mühe gehabt, Werkzeugbauer und Lieferanten zu finden, die diese Teile zu guter Qualität und akzeptablen Kosten herstellen. Da sollte man überlegen, ob es nicht Sinn macht, mittelfristig Kompetenzen in die Werke zurückzuholen, um bei den aus unserer Sicht 10 oder 20 qualitäts- und markenbestimmenden Bauteilen wieder unabhängiger zu werden. Und die großen Zulieferer warten nicht auf uns, für die sind wir nur ein kleiner Fisch.
Die Fertigungstiefe bei Porsche soll also eher steigen als sinken? Einige Experten raten dagegen, die Autofertigung nach dem Vorbild der Smartphone-Hersteller sogar komplett auszulagern.
Das Apple-Modell ist nicht auf uns übertragbar. Die Autoindustrie ist sozial sehr entwickelt. Wir könnten uns nicht erlauben, unsere Produkte unter derartigen Bedingungen herstellen zu lassen wie etwa Apple bei Foxconn in China.
Warum beteiligt sich Porsche am Düsseldorfer Zulieferer Capricorn?
Das Unternehmen hat sehr hohe Kompetenzen zur Fertigung von Leichtbauteilen, die für uns im Rennfahrzeug 919 Hybrid eine Rolle spielen. Dieses Know-how möchten wir uns sichern.
Noch mal zurück zum „kleinen Fisch“: Wird Porsche 2015 die Schwelle von 200.000 verkauften Autos überschreiten?
Das werden wir kaum verhindern können.
Wo würden Sie sagen: Jetzt ist genug?
Die natürliche Grenze liegt für mich nicht in irgendeiner absoluten Absatzzahl von 190.000 oder 210.000 Autos, sondern in einem Marktanteil. Wenn wir heute bei einem Weltmarkt von mehr als 70 Millionen Pkws auf einen Anteil von nicht einmal 0,3 Prozent kommen, ist das doch nichts. Und es kommt nicht bloß auf die Stückzahl, sondern auf den Modellsplit an: Wie viele Cayenne verkaufen wir in Relation zum 911 und welche Motorisierungen in welchen Autos?
Es gibt relevante Menschen in Ihrem Unternehmen, die über Ihren sportlichen Geländewagen Macan nicht glücklich sind, weil Porsche pro Stück damit weit weniger verdient als etwa mit dem 911.
Aber stellen Sie sich doch Porsche mal ohne den Macan vor. Wir würden einen riesigen Markt herschenken. Drei Viertel der Käufer sind Neukunden, in China geht fast jeder zweite Macan an eine Frau. Diese Volumenmodelle bringen uns junge Kunden und das Geld, das wir brauchen, um uns die markenprägenden Modelle auch weiterhin leisten zu können.
"Wir müssen uns mit dem E-Auto beschäftigen"
Zur Rentabilität von Porsche soll der neue Standortsicherungsvertrag beitragen. Die Gespräche darüber ziehen sich bald fünf Monate hin. Wann kommt die Einigung?
Die Sondierung beginnt gerade erst jetzt, sodass wir vor den Sommerferien einen unterschriftsreifen Vertrag haben werden. Ich erwarte keine großen Auseinandersetzungen, sondern einen kreativen und konstruktiven Dialog.
Und wann steht die Entscheidung über die siebte Baureihe von Porsche an?
Unsere Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen. Und wir lassen uns nicht zu einer Entscheidung drängen. Was gibt es denn schon groß für Möglichkeiten?
Porsche könnte zum Beispiel einen kleinen Panamera auflegen.
Ja, warum nicht, ich habe mich dem nie verschlossen. Das Problem ist nur: Wie schaut denn so ein kleiner Panamera aus? Wie viel Kopffreiheit sollte man im Fond haben, und was für einen Antrieb kriegt der Wagen? Einen Hybridantrieb, oder fährt er rein elektrisch?
Letzteres wäre nicht schlecht...
Ja. Aber gerade auf dem Gebiet gibt es viele Unwägbarkeiten: Wie leistungsfähig werden in vier oder fünf Jahren die Batterien dafür sein, und was werden sie kosten? Heute kostet ein Akkupack immer noch sehr viel – und keiner wird damit so recht glücklich. Die Kunden nicht, weil die Reichweite zu gering ist und der Wiederverkaufswert nicht akzeptabel ist. Und wir nicht, weil wir damit kein Geld verdienen. Wir müssen uns aber mit dem Thema E-Auto beschäftigen, um für jede Eventualität gewappnet zu sein.
Porsche ist Teil eines Großkonzerns, das hilft doch?
Das hilft sicherlich. Aber auch dort hat man keine Glaskugel und kann nicht sicher sagen, wie der Antriebsmix der Zukunft aussieht.
Eine Unwägbarkeit für die Porsche-Holding sind die Schadensersatzklagen von Investoren. Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein?
In den USA konnten wir die Rechtsstreitigkeiten vollständig beenden, und in Deutschland haben die Gerichte in den vier Zivilverfahren, in denen es bisher ein Urteil gab, der Porsche SE recht gegeben. Wir sind deshalb zuversichtlich, auch wenn sich die Klärung der Vorwürfe noch länger hinziehen sollte.