




Der 28. Oktober 2008 ist ein Tag, der in die deutsche Wirtschaftsgeschichte eingeht. Innerhalb weniger Stunden schießt der Kurs der Volkswagen-Aktie von 520 auf 1005 Euro. Der Wolfsburger Autokonzern ist plötzlich 296 Milliarden Euro wert, mehr als alle Autobauer in Europa und den USA zusammen. Allein Großaktionär Porsche, dem zu diesem Zeitpunkt 42,6 Prozent von VW gehören, verbucht nach Schätzungen der Deutschen-Bank-Tochter DWS zwischen 10 und 40 Milliarden Euro Gewinn. Für Anleger, die auf sinkende Kurse gesetzt haben, ist die irrwitzige Rally an der Börse jedoch eine Katastrophe. Bis zu 30 Milliarden Euro Vermögen verdunsten aus ihren Büchern. Schnell keimt unter Börsianern ein schlimmer Verdacht: Porsche könnte illegal den VW-Kurs getrieben haben.
Wulffs Schlüsselrolle
Bundespräsident Christian Wulff ist zu dieser Zeit Regierungschef des Landes Niedersachsen, das damals rund 20 Prozent an dem Wolfsburger Autokonzern hielt und bis heute über eine Sperrminorität verfügt. Als Ministerpräsident gehört der Christdemokrat zugleich dem VW-Aufsichtsrat an und verfolgt die Kurskapriolen am 28. Oktober 2008 deshalb auch aus dieser Perspektive. Dass ihm dies jetzt, dreieinhalb Jahre später, eine Schlüsselrolle bei der juristischen Aufarbeitung des Börsengeschehens bescheren würde, kann Wulff zu dem Zeitpunkt nicht ahnen.
Wann Wulff was wusste
Der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking präsentiert Ferdinand Piech und der Porsche-Piech-Familie den Plan, VW schrittweise und teilweise mit verdeckten Aktienkäufen zu übernehmen.
Porsche erhöht seinen Anteil an VW auf 31 Prozent und kauft danach weiter zu. Indirekt - über Optionen - sichert sich Porsche zusätzlich den Zugriff auf weitere VW-Aktien.
Bei einem Treffen in Berlin hätten Porsche-Anwälte die Absicht geäußert, mehr als 75 Prozent an VW sowie einen Beherrschungsvertrag anzustreben. Das berichtete 2009 Mathias Middelberg, damals Chef der Wirtschaftsabteilung der niedersächsischen Staatskanzlei und heute CDU-Bundestagsabgeordneter, der WirtschaftsWoche. Heute bestreitet er, dass er im Februar 2008 Kenntnis der Übernahmepläne hatte.
Porsche widerspricht Berichten, es gebe die Absicht, den VW-Anteil auf 75 Prozent zu erhöhen, und dementiert dies in der Folgezeit immer wieder.
Porsche kündigt plötzlich an, den VW-Anteil doch auf 75 Prozent erhöhen zu wollen. Der Kurs der VW-Aktie steigt dadurch zeitweise auf über 1000 Euro.
Die WirtschaftsWoche berichtet von Middelbergs Treffen mit Porsche-Vertretern in Berlin am 28. Februar 2008 und der angeblich geäußerten Übernahmeabsicht.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) leitet aufgrund des WirtschaftsWoche-Berichts eine Untersuchung wegen möglicher Marktmanipulation durch Porsche ein. Der damalige Chef der niedersächsischen Staatskanzlei und heutige Leiter des Bundespräsidialamtes, Lothar Hagebölling, schreibt an die Bafin, die Porsche-Vertreter hätten bei dem Treffen in Berlin nicht erklärt, einen Beherrschungsvertrag mit VW anzustreben. Einen Kommentar dazu lehnt er heute ab: Es handele sich um Vorgänge in der niedersächsischen Staatskanzlei.
Der damalige niedersächsische Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Christian Wulff sagt gegenüber der WirtschaftsWoche Middelberg sei im Gespräch mit den Porsche-Anwälten am 28. Februar 2008 klar geworden, dass durch Porsche „reihenweise Aktionäre beschissen werden“. Er frage sich, warum Middelberg mit seine Wissen „Wiedeking nicht in den Knast bringen“ wolle. Das Verhalten von Porsche sei „kriminell“ gewesen. Wulff will die Äußerungen nicht kommentieren. Auch Wiedeking lehnt einen Kommentar dazu ab, widerspricht jedoch dem Vorwurf der Marktmanipulation.
Porsche hat die Übernahmeschlacht verloren, ist hoch verschuldet und soll nun ein Teil des VW-Konzerns werden.
Investoren fordern von Porsche und VW vor deutschen Gerichten insgesamt mehr als vier Milliarden Euro Schadensersatz wegen Marktmanipulation durch Porsche. Porsche und VW weisen sämtliche Vorwürfe und Forderungen als unbegründet zurück.
Doch die Situation hat sich inzwischen gravierend verändert. Porsche ist längst mit dem Versuch gescheitert, Volkswagen zu übernehmen. Nach einer der verbissensten Übernahmeschlachten des vergangenen Jahrzehnts steht der Sportwagenbauer davor, seinerseits in den VW-Konzern eingegliedert zu werden. Vor allem aber sind die Kursbewegungen von damals Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen geworden.
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Verdacht auf Marktmanipulation
In Stuttgart ermittelt die Staatsanwaltschaft seit Sommer 2009 gegen Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, den früheren Finanzchef Holger Härter sowie weitere Manager des Sportwagenbauers wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Mehr als 80 Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen haben Ende 2011 Porsche und VW auf Schadensersatz von über vier Milliarden Euro verklagt. Und seit rund vier Wochen verlangen deren Anwälte sogar von Wulff persönlich 1,8 Milliarden Euro Wiedergutmachung.
Dadurch gewinnen Äußerungen eine neue Bedeutung, die Wulff im Juli 2009 gegenüber der WirtschaftsWoche über die gescheiterten Porsche-Attacken auf VW sowie über mögliche Marktmanipulationen durch Wiedeking und Härter machte. Die Äußerungen lassen den Schluss zu, dass Wulff bereits während der Schlacht um VW tiefe Kenntnisse über die Übernahme-Absichten von Porsche hatte, die nun Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sowie der Schadensersatzklagen sind.
Vor allem aber drängt sich der Verdacht auf, dass er dieses Insiderwissen für sich behielt – also nichts unternahm, um das Kurschaos an der Börse zu verhindern. Nicht nur, dass Anleger vom Bundespräsidenten deswegen Milliarden wollen. Wulff könnte sogar mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt geraten. Der Bundespräsident lehnt mit Verweis auf die laufenden Ermittlungsverfahren und Schadensersatzprozesse sowie seine Schweigepflichten als Ex-VW-Aufsichtsrat jeglichen Kommentar ab.