Präzedenzfall Grammer Das große Zittern der Autoindustrie

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Die Zulieferer sind nicht die einzige Baustelle

Warum kaufen die Autobauer nicht einfach Teile von mehreren Zulieferern?

Weil es teurer ist. Beim „Single Sourcing“ können die Entwicklungskosten auf den Zulieferer abgewälzt werden. Zudem wird es im Einkauf für den Autobauer billiger, wenn er höhere Stückzahlen mit Mengenrabatt kaufen kann. Eine Bestellung über 200.000 Teile ist günstiger als zwei Mal 100.000 Teile zu ordern. Doch darin liegt auch ein Risiko. „Die Einsparungen gegenüber einer Dual-Source-Lösung werden im Schadensfall sofort aufgebraucht“, sagte Marc Staudenmayer, Deutschland-Geschäftsführer der Strategieberatung Advancy, im vergangenen Jahr während des Zulieferer-Streits bei VW.

Was haben die Hastors mit Grammer vor?

Das liegt im Dunkeln. Ihre Vertreter äußern sich nur selten öffentlich. Die Bosnier hielten zuletzt über die Investmentfirmen Cascade und Halog mehr als 20 Prozent an dem Hersteller von Kopfstützen, Armlehnen und Mittelkonsolen. Ziel sei, die Profitabilität zu steigern, sagte ein Insider des weit verzweigten Firmenimperiums der Nachrichtenagentur Reuters. „Bei der Rendite von Grammer hapert es.“

Zuletzt erwirtschaftete die Firma eine operative Marge von 4,9 Prozent. Damit rangiert Grammer nach Ansicht von Prevent hinter vergleichbaren Unternehmen. Die Bayern selbst halten dagegen, die vergleichbare Konkurrenz komme im Schnitt lediglich auf 4,7 Prozent. Der Prevent-Insider verwies etwa auf den Zulieferer Dräxlmaier, der Renditen um die sieben Prozent erziele. Das Unternehmen aus Vilsbiburg selbst macht dazu keine Angaben. Grammer peilt eine Marge in dieser Höhe bis 2021 an. Zum Vergleich: Der Dax-Konzern Continental erzielt mehr als zehn Prozent Rendite.

Warum machen die Autobauer ihre Zulieferer nicht mehr zu Partnern, wenn sie so sehr von ihnen abhängen?

Bei den großen System-Zulieferern, wie etwa Bosch oder Continental, ist das teilweise schon geschehen, weil die Vorteile für die Autobauer hier überwiegen. Bei den kleineren Komponenten-Zulieferern ist das Interesse aber gering, etwas an dem etablierten System zu ändern. Denn die Autobranche steht mit den Megatrends wie dem Autonomen Fahren, Elektroantrieben und Mobilitätsdiensten sowie den ganzen Abgas-Diskussionen und Benziner und Diesel gehörig unter Druck – dann soll wenigstens der „klassische“ Autobau keine teuren Probleme machen.

von Martin Seiwert, Annina Reimann

An welchen Fronten kommen Probleme auf die Autobauer zu?

Akut ist die Lage bei der Diskussion um Abgaswerte und Fahrverbote. Gibt es hier keine rasche Lösung, drohen den Autobauern hier kräftige Einbußen: Die Unsicherheit bei den privaten Autokäufern ist hoch. Lohnt sich jetzt noch der Kauf eines vermeintlich sauberen Euro-6-Diesels oder wird auch der bald aus den Städten ausgesperrt? Was passiert in der neu entflammten Diskussion um Feinstaubwerte bei einigen Benzinern? Bei den für den Absatz wichtigen Firmenwagen ist kaum eine Zurückhaltung zu spüren, allerdings lauert auch hier ein Risiko: Die meisten Dienstwagen sind geleast und stehen nach zwei oder drei Jahren als Leasingrückläufer wieder bei den Händlern – je nachdem, wie sich die Diskussion entwickelt, womöglich als kaum verkäuflicher Wagen mit zu hohem Abgasausstoß.

Was droht bei den Megatrends?

Ganz einfach: Dass die Autobauer den Anschluss verlieren. Tesla hat vorgemacht, wie ein neues Unternehmen den Großkonzernen gefährlich werden kann. Auch Firmen aus China haben erkannt, dass sie den Vorsprung der europäischen Autobauer beim Verbrennungsmotor nicht aufholen können. Sie setzen schon jetzt vermehrt auf die Elektromobilität, während die Autokonzerne noch an ihren funktionierenden Modellen festhalten. Auch bei den Mobilitätsdiensten können sich andere, branchenfremden Player zwischen den Kunden und den Autobauer drängen. Müssen Sie unbedingt den Mobilitätsdienst von Daimler oder Volkswagen nutzen, wenn es auch Uber, Google oder Apple sein kann?

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