Preisschock bei Second-Hand-Autos Wenn Gebrauchte plötzlich teurer sind als Neuwagen

Quelle: imago images

Lieferengpässe bei Material und Rohstoffen führen zu einer außergewöhnlichen Situation auf dem Automarkt: Gebrauchte steigen im Wert – und kosten teils mehr als Neuwagen. Was Autokäufer jetzt wissen müssen.

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Wenn der BMW-Automobilhändler Tammo Kayser heute einen Neuwagen verkaufen will, dann muss er Überzeugungsarbeit leisten. Nicht, weil ihm die Kunden fehlen. Die Nachfrage ist sogar gewaltig. Aber Kayser kann nicht mehr jedem Kunden, der sich für einen Neuwagen interessiert, auch genau den Wagen verkaufen, den der sich wünscht. Denn BMW, sein Autolieferant, hat einige Modellvariationen begrenzt - oder kann wie derzeit alle Autobauer bestimmte Typen gar nicht liefern. Dann empfiehlt Kayser auch mal braune Ledersitze, obwohl sich ein Kunde schwarze wünscht. Oder er bietet einen Gebrauchten. Der Geschäftsführende Gesellschafter der BMW Freese-Gruppe deckt sich für den Andrang jedenfalls mit Second-Hand-Fahrzeugen ein: auf dem freien Markt, sogar im europäischen Ausland. „Ich muss halt schauen“, sagt Kayser, „dass ich nicht trocken laufe“.

Gebrauchtwagenpreise liegen teilweise „über Listenpreisen der Vergangenheit“

Das Geschäft mit Gebrauchtwagen läuft bombig: Gerade bei jungen Gebrauchten bis zu einem Jahr werde die Lücke zu den Neuwagenpreisen deutlich enger, sagt Kayser. In Einzelfällen liegen die Preise sogar höher - gerade bei Elektroautos. Grund dafür sind die Engpässe bei Material und Rohstoffen. Die Hersteller kommen mit der Produktion kaum nach. Das steigert den Wert der Gebrauchtfahrzeuge.

Die Hochpreis-Ära ist laut Experten sogar historisch. Für die Hersteller ist das ein gute Entwicklung. Sie müssen ihre Neuwagen derzeit mit weniger Rabatt in den Markt drücken. Händler positionieren sich neu - und Privatleute kaufen, was sie kriegen können. Gebrauchtwagen wechseln inzwischen in Rekordgeschwindigkeit den Eigentümer. 

Die Finanzchefs der Autobauer jubeln: „Die außergewöhnlich gute Situation auf den weltweiten Gebrauchtwagenmärkten hält an und führt weiterhin zu hohen Vermarktungserlösen für Leasingrückläufer“, sagt BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter. „Wir haben gesehen, dass Veränderungen im Marktgefüge bei den Neufahrzeugen auch einen sehr positiven Effekt auf den Gebrauchtwagenmarkt hatte und nach wie vor hat“, sagt Harald Wilhelm, Finanzvorstand bei Mercedes. Die Gebrauchtwagenpreise lägen teilweise sogar „über Listenpreisen der Vergangenheit“. Im Klartext: Die Autos sind im Wert gestiegen.

Laut Branchenverband VDA ging die Pkw-Produktion in Deutschland zuletzt zurück. Die deutschen Hersteller fertigten seit Jahresbeginn 1,1 Millionen Pkw in Deutschland - zwölf Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Aufgrund des Krieges in der Ukraine oder der Corona-Lockdowns in China fehlen Bauteile wie Kabelbäume – der Halbleitermangel kommt noch obendrauf. Immer wieder steht die Produktion in den Autowerken. Mal nur für Tage, mal für Wochen. Unter anderem diese Knappheit treibt die Preise für Neuwagen.

Niedrigste Internetrabatte für Verbrennerautos seit 123 Monaten

Und so geben die Autobauer zweitens nun weniger Rabatte als früher. Bei Tageszugelassenen, jungen Gebrauchtwagen und den Rückläufern aus dem Vermietgeschäft sei das Fahrzeugangebot im April „äußerst eng“ gewesen, schreibt Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center Automotive Research in einer Studie. Er machte die niedrigsten Internetrabatte für Verbrennerautos seit 123 Monaten aus. Das unterstreiche, dass „der weltweite Automarkt durch eine Angebotskrise geht, die in der Vergangenheit in diesem Ausmaß seit den 60-iger Jahren nicht beobachtbar war“. Im April seien individuell konfigurierte Neuwagen im Durchschnitt nur noch mit lediglich 16,3 Prozent Rabatt bezuschusst worden – ein neuer Tiefstand unter den 30 meistverkauften Neuwagen. 

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Dudenhöffer nennt auch Beispiele: So würden etwa VW Golf-Modelle als Tageszulassungen bei Internetvermittlern teurer angeboten als Neufahrzeuge. Und auch Fahrzeuge wie der Renault seien etwa beim größten Internet-Vermittler Meinauto als Tageszulassung genauso rabattiert wie Neuwagen. Ähnliches gelte für den Nissan Qashqai, der nahezu mit gleichem Rabatt als direkt verfügbare Tageszulassung oder Bestellfahrzeug als Neuwagen mit entsprechender Lieferzeit angeboten würde. „Neuwagen mit langer Lieferzeit können für den Käufer günstiger sein als Kurzzulassungen.“ Das sei schon äußerst ungewöhnlich – „eine Markt-Kapriole, wenn man will“, so sein Fazit. 

Im Schnitt dauert es nur noch 72,5 Tage, bis ein Gebrauchter einen Käufer findet – Rekord!

Die Lieferzeiten für Neuwagen sind lang. Für Autos wie die G-Klasse von Mercedes etwa gibt es gar einen Bestellstopp für deutsche Kunden. Und wer sein Auto aus dem Leasing kaufen will, erzählt ein Händler, der erlebt mitunter Kurioses: Weil sich die gebrauchte G-Klasse derzeit einer so hohen Nachfrage erfreut, ist es derzeit teurer, sein geleastes Auto aus dem Leasing herauszukaufen als einen neuen Wagen zu bestellen. Doch den gibt es in Deutschland ja derzeit eh nicht.

Und so steigt die Nachfrage nach den vermeintlich kurzfristig verfügbaren Gebrauchten immer weiter an. Im April verzeichnete Deutschlands Fahrzeugmarkt mobile.de in allen Fahrzeugsegmenten so wenige Standtage wie noch nie für Gebrauchtwagen: Im Schnitt dauerte es nur noch 72,5 Tage, bis ein Gebrauchter seinen Käufer fand. Rekord! Besonders Sportwagen, BMW-Minis und Kleinwagen wechselten im Vergleich zum Vormonat noch schneller den Besitzer.

Und auch die Preise steigen: Mit durchschnittlich 31.801 Euro erreichten die Preise laut mobile.de einen neuen Höchstwert. Insbesondere Fahrzeuge der Oberklasse litten im April unter einem weiteren Preisanstieg. In einer Auswertung für die WirtschaftsWoche fand das Autoportal heraus, dass die Durchschnittspreise von Gebrauchtwagen im ersten Jahr der Pandemie 2020 kaum angestiegen sind, bevor die Fahrzeuge über den Jahresverlauf 2021 dann merklich teurer wurden. Insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2021 sind die Preise laut mobile.de im Schnitt deutlich angestiegen. Von Januar 2020 bis April 2022 sind Gebrauchte im Schnitt 28 Prozent teurer geworden. Allein in den letzten sechs Monaten sind sie um rund zehn Prozent teurer geworden.

„So nah waren die Preise für gebrauchte Autos den Listenpreisen von Neuwagen vielleicht noch nie“

Der Markt spielt verrückt: „So nah waren die Preise für gebrauchte Autos den Listenpreisen von Neuwagen vielleicht noch nie“, sagt Andreas Geilenbrügge, Restwert-Experte von Schwacke. „Sechs bis zwölf Monate alte junge Gebrauchte kommen dem Neuwagenpreis relativ nah – sie liegen teilweise bei 90 Prozent des Listenpreises von Neuwagen, also eigentlich bei dem Preis, den das neue Fahrzeug mit Rabatt auch kosten würde.“

Ein Ende ist nicht in Sicht: Neuwagen werden vorerst knapp bleiben. Den Autobauer gefällt das, sie verdienen gut am Mangel, verkünden Rekordergebnisse – und treiben sogar die Preise. Die jährliche Listenpreiserhöhung zog Mercedes laut Finanzvorstand Wilhelm sogar vor – und machte sie schon im Herbst. Im Frühjahr habe man jetzt „weitere Schritt“ unternommen. Das sei durch „inflationäre Tendenzen getrieben“, die im Fall von Mercedes im Markt aber auch aufgenommen würden.

Der Mangel an Halbleitern wird noch bis mindestens 2023 erhalten bleiben, ein Ende des Ukrainekrieges oder von Corona und Lockdowns in China ist nicht in Sicht. Die weltweite Lieferkette ist aus dem Gleichgewicht geraten – und sie wird sich nicht so schnell wieder einpendeln. Die Preise für Rohstoffe, Logistik und Energie steigen – Zulieferer erhöhen die Preise. Und so werden auch die Autobauer schon bald die nächste Preisrunde einläuten.

Bei Elektroautos, die mit hohen Prämien in den Markt gedrückt werden, sieht es nicht besser aus: Dort ist das Preisgefüge derzeit besonders paradox. Früher hatten dort junge Gebrauchte unter heftigen Wertverlusten gelitten. Die Hersteller hatten vielfach die Batterien und damit die Reichweite der Modelle erweitert. Dann erhöhte die damalige Bundesregierung auch noch die staatliche Kaufprämie. Folge: Abzüglich der Förderung von bis zu 9000 Euro konnten Kunden ein neues, technisch besseres Auto oft billiger bekommen als einen zwei bis drei Jahre alten Gebrauchten. Inzwischen hat sich das Bild komplett umgedreht, beobachtet Stefan Moeller, Chef von Nextmove. Das Leipziger Unternehmen ist der größte Mietwagenanbieter von E-Autos. „Der Gebrauchtmarkt für Elektroautos spielt vollkommen verrückt“, sagt Moeller. 

„Der Markt ist völlig ausgetrocknet“

Er kennt den Markt wie kaum ein anderer: So gut wie jedes E-Auto hat er getestet, die meisten gängigen Modelle aus Europa, den USA und Asien hat er in seiner Mietwagenflotte im Einsatz. Nach ein bis drei Jahren verkauft Moeller die E-Autos aus seiner Mietwagenflotte dann auf dem Gebrauchtwagenmarkt, Dutzende Autos im Jahr, meist mit hoher Laufleistung. Derzeit bekommt er für sie trotzdem sehr viel Geld. Der Markt sei „völlig ausgetrocknet“ und sauge „alles auf, was noch vier Räder hat“, sagt Moeller. „Viele E-Modelle kann man als junge Gebrauchte sogar weit über dem Preis der entsprechenden Neuwagen verkaufen.“ 

Vom e-Niro des koreanischen Hyundai-Konzerns etwa gibt es in der beliebten Topausstattung auf dem Markt bundesweit gebraucht ganze vier Stück; für das günstigste davon will der Besitzer 37.000 Euro haben. „Das liegt über dem Straßenpreis für Neuwagen“, sagt Moeller. Mit Straßenpreis meint er: Listenpreis minus staatliche Kaufprämie. „Nach dem ersten Lockdown vor rund zwei Jahren bekamen wir zum Beispiel für einen zwei Jahre alten Nissan Leaf aus unserer Flotte knapp 20.000 Euro“, erinnert sich Moeller, „heute, zwei Jahre später, bringen die gleichen Autos mit doppelter Laufleistung meistens sogar mehr Erlös.“

Diese Autos eignen sich besonders für Fahranfänger
 Vermutlich steht der 4,43 Meter lange VW Sportsvan nicht ganz oben auf der Liste von jungen Menschen Quelle: Volkswagen
 Der 4,30 Meter lange Suzuki SX4 S-Cross gehört der Gattung handliche und übersichtliche SUV und sieht auch noch recht schick aus Quelle: Suzuki
Der Mazda2 (Typ DE, 2007 bis 2014) ist mit seiner Länge von 3,89 Metern ein kurzer Kleinwagen, der dank seiner Linienführung eine gute Figur abgibt Quelle: Mazda
Der 4,30 Meter lange Crossover punktet eher durch innere Werte als mit schicken Formen Quelle: Mitsubishi
Der Toyota Auris (Typ E18, 2012 bis 2019) ist noch so ein Kandidat, der mehr durch Sein als Schein punktet Quelle: Toyota

Warum das so ist, ist schnell erzählt. Das liege an den langen Lieferfristen für Neuwagen. Die Hersteller könnten schlicht kaum liefern. Volkswagen ist bei Elektroautos laut Konzernchef Herbert Diess „für dieses Jahr in Europa und den USA im Grunde ausverkauft“, da anhaltende Engpässe in der Lieferkette die globale Produktion beeinträchtigen. Kunden, die jetzt in Europa und den USA Bestellungen für Elektroautos aufgeben, würden ihre Fahrzeuge nicht vor 2023 geliefert bekommen. 

Lieferfristen liegen derzeit zwischen 6 und 18 Monaten

Das Vermittlungsportal Carwow ermittelt diese Lieferfristen regelmäßig, so auch vor wenigen Tagen: Die Lieferfristen liegen derzeit demnach zwischen 6 und 18 Monaten; bei vielen beliebten Modellen gibt es sogar einen kompletten Bestellstopp, darunter die beliebten Modelle Renault Zoe und Kia e-Niro. Moeller beobachtet noch einen anderen Trend: „Die Hersteller nehmen zunehmend die günstigen Modellvarianten aus dem Verkehr; ein Angebot von unter einem Jahr kriegt häufig nur, wer eine teure Version mit möglichst vielen Extras bestellt.“

Bei Tesla etwa zeige der Online-Konfigurator derzeit umgehend eine kürzere Lieferfrist an, wenn teure Extras wie Felgen dazugebucht würden; andere Hersteller hätten die günstigen Varianten sogar vorübergehend ganz aus dem Programm genommen.

Die Situation könnte sogar noch extremer werden: Weil die Neuwagen fehlen, kommen auch immer weniger Gebrauchte auf den Markt. In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt in Deutschland nur noch rund 806.000 Pkw neu zugelassen. Das sind neun Prozent oder 80.000 Autos weniger als im Vorjahreszeitraum.  Und auch bei der Zahl der Besitzumschreibungen gab es einen starken Rückgang: Von Januar bis April wechselten 1,9 Millionen Pkw die Besitzer, das sind zwölf Prozent oder rund 261.000 Halterwechsel weniger als im Vorjahreszeitraum.

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Autohändler Kayser von BMW ist jedenfalls erleichtert, dass das Geschäft mit den Gebrauchten ihn auffängt: Ein stabiles Geschäft mit Gebrauchtwagen bräuchten die Händler „dringend, um die fehlenden Deckungsbeiträge aus dem kaum vorhandenen Neuwagengeschäft auszugleichen“, sagt er. Sein Geheimnis sieht er in seinen Stammkunden: Die zeigten in diesen Zeiten Verständnis- „auch wenn es am Ende des Tages mal etwas teurer wird“.

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