
Dieter Welwei ist ein "Opelaner", wie man ihn sich vorstellt: Er hat sein gesamtes bisheriges Berufsleben bei Opel verbracht, 36 Jahre – dann wurde dem Personalmanager gekündigt.
Nach 52 Jahren im Ruhrgebiet hatte Opel die Produktion in seinem Bochumer Werk vor einem Jahr wegen Überkapazitäten beendet. Von den 3600 Mitarbeitern sind noch 2500 ohne Job, Welwei ist einer von ihnen. Für ihn war die Kündigung ein Schock, "mein Herz hing an dem Unternehmen", sagt er.

In seinem Haus in Witten bei Bochum stehen 35 kleine Modelle in einer Vitrine: Kadett, Astra, Corsa, Manta, GT. Viele von ihnen besaß Welwei selbst, er liebte die Autos und fuhr sie mit Stolz – bis jetzt.
Am Freitag bekam Welwei seit langem mal wieder Post von seinem ehemaligen Arbeitgeber: ein Schreiben zu Weihnachten, der Briefkopf ist von der Opel-Zentrale aus Rüsselsheim. "Ein ereignisreiches und zugleich erfolgreiches Jahr neigt sich dem Ende", heißt es in dem Brief, der WirtschaftsWoche Online vorliegt (s. Foto).

"Hier wurden Tausende Mitarbeiter entlassen!"
Den Empfängern des Briefs werden 20 Prozent Rabatt beim Kauf eines Neuwagens angeboten, nach dem Motto: "Wir bei Opel fahren Opel." Dieter Welwei ist empört: "Das ist blanker Hohn für alle gefeuerten Opel-Mitarbeiter", sagt er. In dem folgenden Brief antwortet Dieter Welwei auf das Anschreiben von Opel und rechnet mit dem Management ab:
Sehr geehrter Karl-Thomas Neumann, sehr geehrter Vorstand der Adam Opel AG in Rüsselsheim!
Stellen Sie sich vor, Sie wären in meiner Lage: 53 Jahre alt, davon 36 im Dienst für Opel. Ihr Herz hängt an diesem Unternehmen – und dann werden Sie plötzlich gefeuert. Überführt in eine sogenannte Transfergesellschaft, die nichts anderes ist als die Verwaltung von Massenarbeitslosigkeit. Sie werden zum ersten Mal in ihrem Leben arbeitslos, in einem Unternehmen, von dem es früher immer hieß: „Wenn du bei Opel anfängst, kannst du bei denen auch in Rente gehen.“ Und dann kommt ein Jahr später, kurz vor Weihnachten, ein Brief, der mit den Worten beginnt: „Ein erfolgreiches Jahr geht zu Ende.“
Wie würden Sie das finden? Was ist das für ein Einfühlungsvermögen? 2015 war ein schreckliches Jahr, hier wurden Tausende Mitarbeiter entlassen! Die Meisten sind über 50 und werden nie mehr einen Job finden. Sie befinden sich im Tal der Tränen und haben Angst vor der Zukunft, Angst vor einem Leben in Hartz IV. Ist Ihnen das klar? Wahrscheinlich nicht, sonst hätten Sie diesen Brief verhindert.
"Ich werde keinen Opel mehr kaufen"
Dass uns Mitarbeitern Rabatte für Opel-Autos angeboten werden, ist ja nichts Neues. Diese Briefe kommen jeden Monat, meistens schmeiße ich sie ungelesen weg. Auch wir ehemaligen Mitarbeiter waren dafür, dass die Rabatte weiterhin für uns gelten – leisten könnten wir sie uns momentan aber sowieso nicht. Doch die Formulierung „erfolgreiches Jahr“ hat das Fass wirklich zum Überlaufen gebracht. Das liest sich für mich wie eine Provokation. Zorn, Wut und Enttäuschung überkamen mich. Ich habe mehr als mein halbes Leben in die Hände dieser Firma gegeben! Dann wurde ich einfach entlassen – und jetzt soll ich Ihnen noch Geld geben für ein neues Auto? Niemals!
Lieber Opel-Chef Neumann, warum sprechen Sie uns „Opelanern“ so kurz vor Weihnachten nicht einfach Ihr Bedauern aus, dass es mit dem Standort Bochum so gekommen ist? Ein Wort des Dankes für die gute Arbeit hätte ich schon erwartet. Dann wäre ich auch bereit, wieder einen Opel zu kaufen – ich brauche nämlich demnächst tatsächlich ein neues Auto. Aber unter den derzeitigen Bedingungen möchte ich keinen Opel kaufen. Es fällt mir momentan schwer, diese Marke zu repräsentieren.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Welwei, Opelaner a.D.
Opel in Bochum von 1962 bis 2014
Das Werk entsteht nach ungefähr zwei Jahren Bauzeit auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Dammbaum. Das erste Auto, das vom Band rollt, ist ein Kadett A. Das Werk ist für 10.000 Beschäftigte konzipiert, viele der damaligen Arbeiter kommen aus dem Bergbau.
Der Mittelklassewagen Olympia kommt ins Programm. Drei Jahre später sind es der Ascona und der legendäre Manta, die ab 1970 in dem Werk vom Band rollen.
Höchststand bei der Beschäftigung: Zum Jahresende arbeiten mehr als 20.000 Menschen im Bochumer Opel-Werk.
Der Personalstand schwankt nach Angaben der Bochumer Werksleitung zwischen 15.000 und 17.000.
Der Astra löst den Kadett ab. Bis 2004 wird das Fahrzeug gefertigt, ab 1999 der Siebensitzer Zafira.
Die Konzernmutter General Motors legt einen drastischen Sparplan für die europäische Tochter auf, bei der bis 2006 rund 10.000 Stellen gestrichen werden sollen. Opel beschäftigt in Bochum noch etwa 9000 Mitarbeiter.
Betriebsrat und Management unterschreiben einen „Zukunftsplan“, der die Existenz des Bochumer Werks sichern soll. In dem Jahr kommt ein neues Zafira-Modell nach Bochum.
GM kündigt einen weiteren drastischen Stellenabbau von Opel in ganz Europa an, rund 9000 der noch 55.000 Stellen sollen wegfallen.
Seit dem Jahr wird der Zafira Tourer in Bochum gebaut. Es ist vermutlich die letzte Produktionslinie an dem Standort.
Opel beschäftigt noch rund 3200 Menschen in Bochum. Seit Bestehen wurden in dem Werk 13,5 Millionen Autos gebaut. Das Werk besteht nun seit 50 Jahren.
Die Bochumer Belegschaft sagt Nein zu einem neuen Sanierungsplan, der die Autoproduktion bis Ende 2016 vorsieht. Der Opel-Aufsichtsrat beschließt darauf das Aus für das Werk. Nur ein Warenverteilzentrum soll erhalten bleiben.
Am 5. Dezember läuft der letzte Zafira vom Band, am 12. Dezember schließt das Werk seine Pforten endgültig.
Opel will sich zu dem Brief nicht äußern
Auf eine Anfrage von WirtschaftsWoche Online, ob Opel für die Empörung der Ex-Mitarbeiter Verständnis hat, antwortete ein Sprecher: "Wir werden uns zu diesem internen Vorgang nicht weiter äußern." Die Transfergesellschaft, in der Welwei und seine rund 2500 Ex-Kollegen überführt wurden, hat derzeit lediglich 102 ehemalige Opelaner in eine neue Festanstellung vermittelt. Das berichtet die Gewerkschaft IG Metall in Bochum. Rund 150 weitere ehemalige Opelaner absolvierten Qualifizierungsmaßnahmen in anderen Unternehmen.
Die 2500 entlassenen Mitarbeiter stehen jetzt auf der Gehaltsliste des Personaldienstleisters TÜV Nord Transfer. Aktuell bekommen die Ex-Opelaner noch 75 Prozent ihres ehemaligen Nettogehalts. Die Bezahlung endet aber dieses Jahr, dann müssen die ehemaligen Mitarbeiter ohne die Transferleistungen auskommen – für viele bedeutet das: Arbeitslosigkeit. Nach Angaben von Opel stehen 380 der rund 2500 entlassenen Mitarbeiter in Kontakt mit potenziellen neuen Arbeitgebern.