Rasanter Preisanstieg Preis-Explosion bei Mietwagen: „So etwas habe ich in 30 Jahren noch nicht gesehen“

Die Preise für Mietwagen steigen unter anderem bei Sixt enorm. Quelle: dpa

Preisschock im Urlaub: Ein Auto zu mieten kostet derzeit mehr denn je. Auch der Service lässt zu wünschen übrig. Was dahintersteckt – und wann mit Entspannung zu rechnen ist.

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Wenn sich Urlauber beim Buchen ihrer Ferien bisher um einen Teil fast keine Gedanken machten, dann waren das Mietwagen. An jedem Ort der Welt gab es reichlich Autos. Und weil diese oft für weniger als zehn Euro pro Tag zu haben waren, erschienen sie wie ein unbedeutender Teil des Reisebudgets.

Das ist vorerst vorbei. Wer in den vergangenen Tagen ein Fahrzeug gebucht hat, erlebte einen Preisschock. Denn in diesem Sommer sind die Mietautos in der Regel teurer denn je. Laut einer Übersicht der Kölner Suchmaschine Billiger-Mietwagen.de sind die Preise weltweit im Schnitt gut 50 Prozente teurer als im vorigen Jahr. Und wer jetzt noch für Juli etwa ein Familienauto in Sardinien sucht, zahlt selbst über ein Portal mit „weltweiten Sale, bis zu 20% Rabatt“ (Werbung von Auto Europe) für 18 Tage mit gut 2900 Euro sogar fast vier Mal so viel wie im Sommer 2020 und gut dreimal so viel wie im Vorkrisenjahr 2019. Damit summieren sich die Kosten für ein Auto für eine Familie bei einem Urlaub in Europa in der Regel auf mehr als die Flüge oder die Ferienwohnung. „Eine solche Entwicklung habe ich in meinen 30 Jahren im Geschäft nicht mal in Ansätzen gesehen“, sagt Kai Sannwald, geschäftsführender Gesellschafter des Vermittlers Sunny Cars aus München.

Für die Entwicklung sorgt ein weltweiter Mangel an Mietwagen. Weil die Reisebeschränkungen derzeit oft unerwartet schnell fallen, steigt die Nachfrage derzeit überraschend schnell. Darauf ist die Vermieterbranche nicht vorbereitet. Wegen ihres riskanten Geschäftsmodells steckt sie in einer tiefen Krise. Um ihre Bilanzlöcher zu stopfen, mussten Anbieter von ihrem Fuhrpark im Vergleich zu 2019 bis zu zwei Dritteln schrumpfen. Zudem stellen ihnen die Autohersteller derzeit weniger Wagen zur Verfügung. So gibt es an manchen Orten wie Palma de Mallorca nicht mal ein Drittel des üblichen Angebots.



Dabei führt das Ertragsmanagement der Vermieter automatisch zu höheren Preisen. Die Buchungssysteme teilen das Angebot in Gruppen zu jeweils wenigen Prozent ein. Sobald ein bestimmter Anteil der Autos gebucht ist, werden die günstigeren Preisgruppen geschlossen und der Rest zur nächsthöheren Rate angeboten.

Dabei gibt es keine Grenzen. „Wir werden so hoch gehen, wie es uns der Markt erlaubt“, sagt Erich Sixt, Gründer und Hauptaktionär des gleichnamigen Vermieters. In den USA sind Autos vielerorts so knapp und teuer, dass Urlauber bereits kleinere Umzugswagen für die Fahrt in die Ferien nutzen. An Ostern hat ein Anbieter auf der US-Ferieninsel Hawaii laut Presseberichten für einen einfachen Wagen den Rekordpreis von 1000 Dollar pro Tag aufgerufen – und bekommen. „Es ist ein perfektes Rezept für ein Desaster“, so ein Kenner der Branche.

Das Problem gibt es allerdings nicht in allen Ferienregionen. In vielen deutschen Städten und Flughafenstationen sind die Preise noch wie im Vorjahr unter den Werten aus 2019. Vermieter in derzeit weniger beliebten Ländern wie Dänemark oder Türkei verlangen gar weniger als 2020. Dagegen zeigt laut Billiger-Mietwagen.de Griechenland ein Plus von 168 Prozent. Teilweise völlig unberechenbar sind die Tarife auf Mallorca. „Wo es auf den Balearen vor Corona noch Kleinwagen für 150 Euro pro Woche gab, liegt deren Rate nun in Spitzenzeiten bei oft weit mehr als 1100 Euro“, sagt Kai Sannwald von Sunny Cars. Dafür sorgen auch große Anbieter wie Marktführer Sixt, der sich gern das Image des Preisbrechers gibt. Bei ihm kostet in Mallorca im August der Kleinwagen VW Up pro Tag teilweise sogar rund 200 Euro – das Vierfache im Vergleich zu einem Auto ab der Sixt-Station am Flughafen Köln. Für ein BMW-Cabrio kann auch mehr als das Zehnfache fällig werden.

von Malte Fischer, Julian Heißler, Rüdiger Kiani-Kreß, Annina Reimann, Peter Steinkirchner

Zudem leidet oft auch der Service. So haben viele Anbieter ihre Präsenz gekappt. „Stadtstationen in mittelgroßen Städten wurden geschlossen oder die Öffnungszeiten drastisch reduziert“, berichtet ein Manager der Branche. Selbst Vielbucher, die als Elitekunden bislang mit den neusten Modellen und dem kostenlosen Aufstieg in eine bessere Wagenklasse rechnen durften, bekommen nun schonmal Pseudo-Upgrades auf Autos mit mehr als 140.000 gefahrenen Kilometern.

Immerhin eine Kundengruppe kann sich freuen, weil sie das alles nur am Rande betrifft: Geschäftskunden aus größeren Firmen. „Einige Unternehmen, die Rahmenverträge mit Mietwagenanbietern besitzen, haben außer einem ‚Corona-Aufschlag‘ für ausgeweitete Hygienemaßnahmen keine Preissteigerungen festgestellt“, heißt es beim Geschäftsreiseverband VDR.

Das Mietwagen-System war schon vor Corona an der Grenze

Die Probleme rühren vor allem aus dem merkwürdigen Geschäftsmodell der Autovermieter. Sie lebten bisher auch davon, dass sie im Frühjahr vor der Hauptreisesaison Neuwagen in großen Mengen kauften. Darauf gewährten ihnen die Hersteller angesichts ihrer hohen Überkapazitäten Rabatte von bis zu 40 Prozent – unter anderem, weil damit auch für ihre Ladenhüter die Zulassungszahlen besser aussahen. Die Wagen überließen die Vermieter dann Urlaubern oder Geschäftsreisenden so lange, bis der Wagen nur noch so viel wert war wie der Kaufpreis. Dann verkauften sie weite Teile der Flotte entweder zurück an Hersteller und Großhändler oder sie vermarkteten sie direkt an Konsumenten. „Damit bekamen die Vermieter die Autos praktisch für lau“, so ein Kenner der Branche.

Zwar mussten die Firmen ihre Flotten auf Kredit finanzieren. „Doch das schlug kaum zu Buche angesichts der niedrigen Zinsen und weil die Vermieter mit den Abschreibungen auf die Autowerte ihre Steuerlast drücken konnten“, so ein Kenner der Branche. Die Betriebskosten und etwas mehr deckten dann die Einnahmen aus der Vermietung, den Verkauf der vergleichsweise teuren Versicherungen plus dem Umsatz aus Nebengebühren für zusätzliche Fahrer oder Extras wie Winterausrüstung oder Navigationssysteme – sowie dem Geld aus vom Kunden bezahlten aber selten vollständig reparierten Unfallschäden.

Das System kam schon vor Corona an seine Grenzen. „Richtig profitabel arbeitet derzeit kein Vermieter – und schon gar nicht in Europa“, urteilte eine Studie des US-Marktforscher Skift bereits im Boomjahr 2019. Denn anders als in anderen Branchen waren die Vermieter von Avis über Enterprise und Europcar bis zu Hertz und Sixt in ihrem Angebot kaum zu unterscheiden. Egal was Kunden buchten, in der Regel bekamen sie ein mehr oder weniger neues Auto von einem Typ, der meist nicht der Reservierung entsprach. Dazu gab es oft ein nicht leicht nachvollziehbares Upgrade, etwa von einem Mittelklassekombi auf einen Mini-SUV.



Als ob das nicht reicht, verlagerten die Vermieter fast ihr ganzes Geschäft abseits der Firmenkunden in den vergangenen Jahren an Vermittlerfirmen wie Auto Europe oder Drive FTI. Denen zahlen sie für die Vermittlung nicht nur bis zu knapp 20 Prozent des Umsatzes. Dazu verschreckten sie Direktbucher, weil sie die Autos auf ihren eigenen Webseiten in der Regel teurer verkauften als die Mittler – anders als Hotels, die ihre Zimmer zum gleichen oder einem niedrigeren Preis anbieten wie Vermittler wie Booking.com, HRS oder Expedia. „So wirken die Vermieter noch austauschbarer als Billigflieger“, sagt ein ehemaliger Manager der Branche. „Darum ist der Wettbewerb noch härter als im Flug und geht fast nur über den Preis.“

In der Pandemie kollabierte das Geschäftsmodell endgültig. Nachdem alle Vermieter Anfang 2020 in Erwartung eines Rekordjahres reichlich Autos geordert hatten, blieben die im folgenden Lockdown weitgehend untätig geparkt. Also versuchten alle Anbieter in der kurzen Sommersaison mit Rekordrabatten wenigstens etwas Geld in die Kasse zu bekommen. Das gelang nur begrenzt. Und weil gleichzeitig im vorigen Herbst die Gebrauchtwagenpreise niedriger waren als erwartet, beendeten fast alle Vermieter 2020 mit hohen Verlusten. Gesellschaften wie Hertz und Europcar rutschten gar in ein Insolvenzverfahren.

Als nun im Frühjahr 2021 die nächsten Bestellungen anstanden, hielten sich alle Vermieter beim Autokauf deutlich zurück. Dafür sorgte nicht nur der unsichere Ausblick auf die Saison. „Auch ihre Geldgeber wollten angesichts der geringeren Bonität meist weniger und wenn dann nur teurere Kredite geben“, so Sunny-Cars-Chef Sannwald .

Doppelte Belastung an Geldmangel und teuren Autos

Auch die Autohersteller zögerten wie nie zuvor. Zum einen wollten sie für die Autos mehr Geld als früher. „Wegen der erhöhten Risiken haben sie die Zahlungsziele für Neuwagen verschärft“, sagt Frieder Bechtel, der bei Billiger-Mietwagen.de das Management der Vertriebspartner leitet. Gleichzeitig konnten und wollten die Autobauer auch weniger Wagen zur Verfügung stellen.

Dafür sorgt zum einen der Mangel an Rechenchips für die immer mehr computerisierten Autos, weswegen fast alle Hersteller die Produktion kürzen mussten. Gleichzeitig setzen die Autobauer vermehrt auf aus ihrer Sicht lukrativere Absatzwege als die Vermieter wie eigene Leasingangebote oder Autoabos, die wie kürzere Leasingverträge bis zu einem Jahr lang laufen. „Das konkurriert mit dem Verkauf an die Autovermieter“, sagt Billiger-mietwagen-Manager Bechtel.

Die Folgen der doppelten Belastung aus Geldmangel und teureren Autos sind weltweit kleinere Flotten. So verkaufte Hertz laut Studie der Ratingagentur Fitch bereits rund 194.000 seiner einst 473.000 Autos und will bis September 2021 weitere 121.000 loswerden. Damit wäre das Unternehmen auf rund ein Drittel seiner Größe geschrumpft. Auch der viele Jahre stark wachsende Münchner Anbieter Sixt hatte zuletzt mit gut 93.000 Fahrzeugen fast 38.000 Autos weniger im Angebot als vor einem Jahr.

Das schlägt vor allem auf die Ferienziele durch. Während die Vermietungsriesen Großstädte und Flughäfen noch vergleichsweise gut ausstatten, kürzen sie besonders das Angebot auf den oft nur mühsam mit Autos zu beliefernden Ferieninseln. So berichtet Ramón Reus, Präsident des Balearischen Mietwagenverbandes Aevab, dass seine Mitglieder auf Mallorca derzeit nur 30.000 Fahrzeuge haben. Und selbst wenn wie versprochen bald 10.000 weitere Wagen kommen, ist dies deutlich weniger als vor der Coronapandemie, wo es durchschnittlich 100.000 Autos waren.

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Eine schnelle Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Anders als andere Produkte lassen sich die Autos schwer von einer Überflussregion in eine Mangelzone verlagern. „Es ist bereits fast zu aufwändig ein Auto von einem Teil des Landes in einen anderen zu bringen“, so ein Branchenkenner, „Und aus Skandinavien ans Mittelmeer ist es praktisch unmöglich.“ Aber auch im kommenden Jahr wird das Angebot wohl kaum wachsen. „Weil sich weder die finanzielle Lage der Vermieter noch das Neuwagen-Angebot wesentlich bessern, können nur wenige ihre Flotten entscheidend erweitern.

Das das ist den gebeutelten Unternehmen auch nicht ganz unrecht, gesteht Michael Brabec, Geschäftsführer des Bundesverbands der Autovermieter Deutschlands. „Hohe Mietwagenpreise sind für die Unternehmen derzeit eher Segen als Fluch.“

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