Razzien im Abgasskandal Was im Fall Audi bekannt ist

Der Dieselskandal in den USA holt Audi mit voller Wucht wieder ein: Die Razzien am Mittwoch zeigen, dass der Abgasskandal noch lange nicht ausgestanden ist. Was über die Ermittlungen und Hintergründe bekannt ist.

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Ein Ermittler bei der Razzia in der Audi-Zentrale in Ingolstadt. Quelle: dpa

Was ist gestern alles passiert?

Am Mittwoch um 7:00 Uhr rückten Ermittler der Staatsanwaltschaften München II und Stuttgart an und durchsuchten mehrere Gebäude. Drei Stunden später begann im firmeneigenen Museum in Ingolstadt die Bilanzpressekonferenz, zu der über 100 Journalisten angereist waren. Die Geschäftszahlen gerieten angesichts der Ermittlungen in den Hintergrund.

Weshalb haben die Ermittler Audi im Visier?

Grund für den Besuch der Ankläger bei Audi sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München II, die nach eigenen Angaben ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung eingeleitet hat. Gegenstand der Untersuchungen ist demnach der Verkauf von insgesamt 83.000 Autos in den USA, die mit von Audi entwickelten großen Dieselmotoren mit drei Litern Hubraum ausgerüstet sind und in den Jahren 2009 bis 2015 verkauft wurden. Es bestehe der Verdacht, dass „technische Vorrichtungen zur Manipulation von Abgaswerten“ in diese Fahrzeuge eingebaut seien. Die Ingolstädter VW-Tochter hatte im November 2015 den Einsatz von Schummel-Software in großen Dieselmotoren eingeräumt.

Nach Angaben von Ken Heidenreich, Sprecher der Staatsanwaltschaft München II, gibt es noch keinen konkreten Anfangsverdacht gegen einzelne Personen. „Es ist heute noch nicht zu prognostizieren, wie sich die Ermittlungen weiter entwickeln.“ Am Mittwoch waren laut Heidenreich 18 Staatsanwälte und 80 Beamte in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen im Einsatz.

von Sebastian Schaal, Annina Reimann

Was sagt Audi?

„Wir kooperieren vollumfänglich. Ich selbst habe größtes Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts“, sagte Stadler. Ähnlich hatten sich zuvor auch bereits zwei Sprecher des Autobauers geäußert. Außerhalb dieser Sprachregelung wollte sich Audi nicht zu den Vorwürfen und den Durchsuchungen äußern.

Was ist alles durchsucht worden?

Die Audi-Zentrale in Ingolstadt, das Werk in Neckarsulm, sowie mehrere Privatwohnungen im Neckarsulmer Umfeld. Auch in der VW-Zentrale in Wolfsburg wurde ein Gebäude durchsucht, dabei sollen aber weniger als zehn Ermittler zugegen gewesen sein. Stadler sagte am Mittwoch, seine Privaträume seien nicht durchsucht worden. „Ich habe noch keinen Besuch gesehen. Ich bin aber auch seit 7.30 Uhr hier, und meine Frau hat noch nicht angerufen.“ Auch sein Büro sei nicht durchsucht worden. Die Razzia lief nach Stadlers Angaben am Nachmittag noch.

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Warum fanden die Razzien am Tag der Bilanzpressekonferenz statt?

Die offizielle Version: Die Behörden hätten erst Anfang der Woche von dem Termin erfahren. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorbereitungen aber bereits so weit vorangeschritten, dass eine Verschiebung nicht mehr möglich war. Glaubhaft erscheint diese Version allerdings nicht – der Termin war bereits lange bekannt und auch auf der Website der Ingolstädter einsehbar. Beobachter halten eine Inszenierung der Staatsanwälte für wahrscheinlicher – die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb von „Partycrashern“, die „FAZ“ bezeichnete den Zeitpunkt der Razzien als „fragwürdige Show der Staatsanwälte“.

Die Aufmerksamkeit der Medien hätten die Staatsanwälte auch ohne die Terminkollision gehabt – eine Razzia bei einem bekannten deutschen Unternehmen und die Vorwürfe gegen Audi sprechen für sich. So konnten sich die Ermittler aber sicher sein, dass die Presse bereits vor Ort ist – selbst im ZDF-Mittagsmagazin wurde live aus Ingolstadt berichtet, was bei einer gewöhnlichen Bilanzpressekonferenz wohl nicht der Fall gewesen wäre.

Kamen die Razzien überraschend?

Im Grunde genommen nicht. Audi gilt seit langem als Keimzelle der umstrittenen Software – bereits 1999 entwickelten die Ingenieure in Ingolstadt eine Software, die laute Geräusche beim Kaltstart eines Dieselmotors unterdrückte. Später stellte sich heraus, dass diese Funktion auch genutzt werden kann, um die Abgasreinigung zu beeinflussen. Mit dem formulierten Verdacht kommt die Staatsanwaltschaft reichlich spät, schließlich hatte Audi die Manipulationen bereits vor anderthalb Jahren eingeräumt. Jetzt gilt es aber zu klären, wo die konkrete Schummel-Funktion ihren Ursprung hatte – bei VW, Audi oder doch dem Zulieferer Bosch?

Neben dieser Frage zum Entwicklungsprozess ist bereits klar, dass Audi die betroffenen Dieselmotoren entwickelt, gebaut und ausgeliefert hat – auch an die Schwestermarken VW und Porsche.

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Ändert sich etwas für deutsche und europäische Kunden?

Nein. Die Staatsanwaltschaft hat klar gestellt, dass das Europa-Geschäft von Audi nicht betroffen sei. Es geht nur um die 83.000 in den USA ausgelieferten Fahrzeuge. Für die Kunden hierzulande ändert sich deshalb nichts. „In Europa wurde unser 3.0 V6 TDI nicht beanstandet“, sagte Stadler in seiner Rede. Dennoch führe man für ausgewählte Modelle eine „freiwillige Serviceaktion“ durch – die Pläne hierfür seinen beim Kraftfahrtbundesamt eingereicht. „Nach dessen Freigabe optimieren wir dank neuester technischer Möglichkeiten die Emissionen mit einem Software-Update.“

Welche personellen Konsequenzen gab es bei Audi wegen der Abgasaffäre?

Bereits zwei Audi-Technikvorstände – Ulrich Hackenberg und dessen Nachfolger Stefan Knirsch – stolperten über die „Diesel-Thematik“. Vier Audi-Mitarbeitern wurde gekündigt. Aktuell ist niemand mehr wegen der Dieselaffäre beurlaubt, wie Personalvorstand Thomas Sigi am Rande der Bilanzpressekonferenz bestätigte. Einer der gekündigten Audi-Mitarbeiter, der frühere Chefentwickler für Dieselmotoren Ulrich Weiß, wehrt sich allerdings gerichtlich gegen seine Entlassung – und hat Audi-Chef Stadler in dem Prozess am Arbeitsgericht Heilbronn schwer belastet.

Steht Stadler wegen der Razzia noch stärker unter Druck?

Vorerst lautet die Antwort jein. Der Druck war in den vergangenen Wochen und Monaten ohnehin hoch, bislang wurden jedoch keine Dokumente bekannt, die Stadler direkt belasten. Auch der Vorwurf des geschassten Diesel-Entwicklers, Stadler habe bereits 2012 von den Manipulationen gewusst, ist an dem Audi-Chef bislang abgeprallt: Eine vom Aufsichtsrat beauftragte Kanzlei hatte die Vorwürfe als nicht haltbar bezeichnet.

Dennoch: Für Stadler kommen die Ermittlungen zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Dem langjährigen Audi-Chef wird schon länger intern zur Last gelegt, dass er bei der Aufarbeitung der Abgasmanipulation keine glückliche Figur abgegeben habe. Auf die vielen Fragen nach personellen Konsequenzen wollte Stadler auf der Bilanzpressekonferenz nicht näher eingehen. Er verwies darauf, dass zwei Entwicklungschefs und Mitarbeiter auf unteren Ebenen hätten gehen müssen. Zu seiner Person habe der Aufsichtsrat „eine klare Aussage“ gemacht. Ob die Ermittler bei den Durchsuchungen belastendes Material gefunden haben, wird die Auswertung in den kommenden Wochen zeigen. Sprich: Jetzt wird es richtig ernst.

Wie teuer wird die Dieselaffäre für Audi?

Der Diesel-Skandal habe Audi bislang 1,86 Milliarden Euro gekostet, weitere Rückstellungen seien nicht mehr notwendig, sagte Finanzvorstand Axel Strotbek am Mittwoch. Der Vergleich in den USA ist gerichtlich abgesegnet – die Einspruchsfrist läuft allerdings noch bis zum 11. Mai. Erst dann ist der Deal fix – und die Umrüst- und Rückkaufaktion könne dann im Juli beginnen, so Audi.

Welchen Einfluss hat Dieselgate auf das Unternehmen Audi?

Da Gewinn und Marge wegen der Belastung sinken, muss Audi sparen. Warum soll Auto weiterhin Zweitürer anbieten, obwohl sie weniger verlangt werden? „Oder Motoren: Warum braucht jeder Vierzylinder vier Leistungsvarianten?“, sagte Stadler. Nach der Dieselkrise „stellen wir bei Audi jetzt alles auf den Prüfstand“ und können „Dinge weglassen, die uns lieb und geläufig geworden sind“.

Zudem gibt es intern neue Positionen und Abläufe. Man etabliere eine neue und erweiterte Compliance-Struktur mit neuen Berichts- und Kontrollsystemen, so Stadler. Zudem habe man in der technischen Entwicklung die Produktentwicklung organisatorisch streng von Homologation und Zulassung getrennt.

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