Renault-Nissan-Mitsubishi Die neue Strategie der Dreier-Autoallianz

Die französisch-japanische Autoallianz von Renault, Nissan und Mitsubishi setzt vor dem Hintergrund der Corona-Krise auf milliardenschwere Kostensenkungen Quelle: AP

Die Autoallianz aus Renault, Nissan und Mitsubishi wagt einen Neustart. Lange Zeit hatten Beobachter eher mit einem Bruch der Partnerschaft gerechnet. Nun gibt es neue, sehr konkrete Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Stichwort: „Leader-Follower“-Prinzip. Doch die Nissan-Krise könnte die Aufbruchstimmung trüben.

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Ein orange-gelb-rotes Logo, der Name „Renault Nissan Mitsubishi“ in weißen Versalien auf schwarzem Grund und fünf Männer in drei Bildschirmen zugeschaltet. In der Mitte zu sehen: der Chef der Allianz, Jean-Dominique Senard. So präsentierte sich die französisch-japanische Autoallianz am Mittwochvormittag der interessierten Öffentlichkeit.

Und verkündete eine neue Strategie, um den Herausforderungen in Corona-Zeiten zu trotzen, und nicht zuletzt Vertrauen aufzubauen – in die Stärke der Autobauer, aber vor allem in die Kraft, die aus der Dreier-Allianz hervorgeht. Eines war eigentlich schon vor der Pressekonferenz klar, wenn auch nie laut ausgesprochen: Die Expansionsstrategie, die der Ex-Autoboss Carlos Ghosn damals noch im Blick hatte, ist Geschichte. In ihrem ersten Bündnis hatten sich die drei Konzerne 2017 noch das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2022 der größte Automobilhersteller der Welt zu werden – jetzt geht es ums Überleben.

Denn der japanische Renault-Partner Nissan ist wegen der Corona-Pandemie erstmals seit elf Jahren in die Verlustzone gerutscht und will unter anderem sein Fertigungswerk in Barcelona schließen. Wie der Konzern am Donnerstag bekanntgab, fiel zum Bilanzstichtag am 31. März ein heftiger Verlust von 671,2 Milliarden Yen (5,7 Mrd Euro) an. Im Vorjahr hatte der Konzern noch einen Gewinn von 319,1 Milliarden Yen eingefahren.

Die globalen jährlichen Produktionskapazitäten sollen im Rahmen eines bis März 2024 laufenden „Transformationsplans“ um 20 Prozent auf 5,4 Millionen Autos gesenkt werden. Die Zukunft ist weiterhin unklar“, erklärte Nissan-Chef Makoto Uchida.

Die Produktion in Europa werde sich künftig auf das britische Werk in Sunderland konzentrieren, hieß es. Einzelheiten zu der angekündigten Werksschließung in Barcelona wollte Uchida nicht nennen, man müsse jetzt mit den Gewerkschaften und der spanischen Regierung sprechen. In Barcelona kam es zu Protesten von Nissan-Arbeitern. Im Fernsehen waren brennende Reifen und Möbel vor dem Autowerk zu sehen. Arbeiter blockierten auch eine Autobahn. Man werde „bis zum Ende kämpfen“, zitierte die Zeitung „La Vangardia“ einen der Arbeiter.

Angesichts der schlechten Nachrichten um Allianzmitglied Nissan klingen die Pläne auf den ersten Blick wie der Griff zum letzten Strohhalm. Es könnte aber ausgerechnet diese Partnerschaft nach langem Ringen doch noch zu einem tatsächlich erfolgreichen Miteinander führen – wenn auch gewissermaßen aus der Not durch Corona geboren.
Wie vorab schon in der Branche in Berufung auf Insider berichtet worden war, wollen die unter der Coronakrise ächzenden Autobauer Renault, Nissan und Mitsubishi ihre Zusammenarbeit intensivieren. Die noch engere Kooperation soll vor allem massive Kosten senken. Die Strategie, die die Dreier-Allianz präsentierte, sieht vor, dass die Partner ihre Aufgaben untereinander aufteilen. Je ein Partner soll in einer Region und bei der Entwicklung eines Fahrzeugtyps oder einer Technologie die Führung übernehmen und die anderen ihm folgen. Nahezu die Hälfte aller in der Allianz hergestellten Fahrzeuge sollen künftig nach diesem neuen „Leader-Follower“-Prinzip entwickelt und gebaut werden. Dadurch sollen Kostenvorteile besser genutzt werden können. Der erwartete Effekt scheint immens: Die Entwicklungskosten sollen durch die systematischere Abstimmung um bis zu 40 Prozent sinken, sagte Renault-Präsident Jean-Dominique Senard.

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von Sven Böll

Die neue Strategie soll an die Stelle der von dem früheren Konzernlenker Carlos Ghosn favorisierten Fusion von Nissan und Renault treten. So soll auch der jahrelange Konflikt zwischen den durch Überkreuzbeteiligungen verflochtenen Partnern beigelegt werden. Ghosn war zwar Vater der Allianz, stürzte das Bündnis aber selbst in eine schwere Krise. Er wollte das Autobauerkonglomerat vor allem auf hohe Absatzzahlen trimmen. Ende 2018 wurde der Automanager dann jedoch wegen Vorwürfen in Japan festgenommen und abgesetzt. Auf Kaution entlassen flüchtete er kurz darauf unter dubiosen Umständen in den Libanon. Das Image der Autoallianz und die Beziehungen zwischen den Partnern waren infolgedessen arg angeknackst, drohten sogar zu zerbrechen. Jahrelange Streitigkeiten über Kostenteilung und Kapitalstrukturen führten dazu, dass es dem Bündnis bislang weitgehend nicht gelungen ist, die globale Größe in einen Wettbewerbsvorteil umzuwandeln, der über die gemeinsame Beschaffung von Teilen hinausgeht.

Stabilisierende Gespräche konnten ein Zerbrechen der Allianz im vergangenen Jahr zunächst verhindern, dennoch war es in der zweiten Jahreshälfte eher ruhig geworden um die Partner.

Gemeinsame große Fortschritte blieben aus. Nun bricht mit der Coronakrise gleich die nächste, immense Herausforderung über die Allianz hinein und der scheinen die Konzernlenker nun – zumindest teilweise – gemeinsam begegnen zu wollen. Frei nach den Musketieren: Einer für alle.

Allianz-Chef Jean-Dominique Senard betonte bereits Anfang des Jahres, dass die drei Autohersteller „keine andere Möglichkeit“ hätten, als die Zusammenarbeit zu vertiefen. Dem versucht er mit der neuen Strategie nun gerecht zu werden. Die Probleme, die die Allianz in der Vergangenheit allerdings hatte, blieben: Unterschiede in den drei verschiedenen Unternehmenskulturen und schwelende Spannungen über die Kapitalstruktur der Allianz, stellt Nissan, Renault und Juniorpartner Mitsubishi weiterhin vor Herausforderungen. So hält beispielsweise Renault 43 Prozent an Nissan, Nissan 15 Prozent an dem französischen Autoproduzenten, aber keine Stimmrechte.

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Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hat gemeinsam mit seinem Team das neue Kooperationsmodell analysiert und ist kritisch, ob die Allianz mit der neuen Strategie erfolgreicher sein wird als bislang. „Insgesamt erweckt die eher komplizierte Matrixstruktur den Anschein, dass in einem äußerst mühevollen Koordinationsprozess in einem Gremium der drei Allianzpartner dann wichtige Entscheidungen getroffen werden“, sagt Dudenhöffer. Das Hauptproblem, das nach den Uneinigkeiten der vergangenen Jahre beobachtbar war, ist seiner Einschätzung nach weiterhin nicht gelöst. „Unter Carlos Ghosn hat die Allianz lange funktioniert, weil eben ein Kopf für die Allianzpartner an der Spitze stand. Jetzt muss man weiter mühevolle Absprachen und Entscheidungen erwarten, die durch die komplizierte Matrix nicht einfacher werden“, so Dudenhöffer. Renault bleibe der wichtige Markt in China und in Nord-Amerika nahezu „verschlossen“ und Mitsubishi werde mit den Nischenmärkten in Asien und Ozeanien „vertröstet“. Da sich die Automodelle bei allen drei Partnern bis auf Design-Elemente zudem gleichen würden, verstärke sich außerdem die Kannibalisierung unter den Partnern, wenn sie in gleichen Märkten aktiv sind. „Der große Nachteil der Allianz bleibt“, ist sich Dudenhöffer sicher. „Es ist eine Zusammenarbeit die eben komplizierter und von den Entscheidungen langsamer ist als ein klassischer Konzern.“

Allen Zweiflern zum Trotz, scheint die Corona-Pandemie den Autobauern aber vermutliche keine Chance zu Ausflüchten zu lassen. Die Allianz, zeigen sich die Partner sicher, sei die einzige Chance, die Krise bestmöglich zu überstehen.

Sie sind zu schnellem Handeln gezwungen. Bei allen drei Automobilherstellern sind die Gewinne deutlich zurückgegangen. Mitsubishi hat wegen der Coronakrise den stärksten Gewinneinbruch seit drei Jahren erlitten. Das Betriebsergebnis sackte im vergangenen Geschäftsjahr 2019/20 (per Ende März) um 89 Prozent. Wegen der unklaren Aussichten auf die Weltkonjunktur traute sich Mitsubishi keine Prognose für das laufende Geschäftsjahr zu. Von den drei Allianzpartnern, steht der kleinste Autobauer allerdings wohl noch am besten da.

Vor allem Nissan und Renault sind durch die Coronakrise unter Druck geraten. Wegen der Pandemie und des damit verbundenen Absatzeinbruchs braucht Renault im Heimatland einen staatlich garantierten Kredit von fünf Milliarden Euro. „Renault kämpft um sein Überleben“, sagte Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Le Maire gegenüber der Zeitung „Le Figaro“. Schon 2019 steckte der Autobauer in den roten Zahlen. Laut „Le Figaro“ sollen zwei Milliarden Euro beim Autobauer eingespart und 5000 Stellen gestrichen werden. Auch Werksschließungen sind Berichten zufolge im Gespräch.

Insbesondere bei Renault und Nissan hat die massive Kostensenkung deshalb aktuell oberste Priorität. Sie kündigten beide an, noch in dieser Woche eigene Umstrukturierungspläne vorlegen zu wollen.

Wie stark die Allianz tatsächlich die gewünschten Kosteneinsparungen bringen kann, ist vor allem davon abhängig, ob die Partner ihre Probleme, die sie in der Vergangenheit in der Zusammenarbeit behinderten, überwinden könnten – und wie stark die Corona-Pandemie letztendlich auf die Autoindustrie einprasselt.



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