Renault-Tochter Dacia Billigmarke wird feste Größe auf deutschem Automarkt

Normal ist anders: Die Billigmarke Dacia ist in zehn Jahren zu einer festen Größe auch auf dem deutschen Automarkt geworden – und zu einer Ertragssäule des Renault-Konzerns.

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Normal ist anders: Die Billigmarke Dacia ist in zehn Jahren zu einer festen Größe auch auf dem deutschen Automarkt geworden – und zu einer Ertragssäule des Renault-Konzerns. Quelle: dpa

Wie viel Auto braucht der Mensch? Beim Dacia Sandero lautet die Antwort: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Elektrische Fensterheber? Es geht auch mit einer Handkurbel. Elektrische Spiegelverstellung? Der Mensch hat zwei Hände. Klimaanlage? Treibt nur den Verbrauch in die Höhe. Radio? Lenkt nur vom Verkehr ab. Leichtmetallräder? Eitler Tand. Abstandsradar, Tempomat, Sitzheizung, Parkautomat – sind alles nur teure Extras für degenerierte und/oder vergreiste Westler, die aufgrund nachlassender Sehkraft Entfernungen nicht mehr zu schätzen wissen, unter Zuckungen an Händen und Füßen leiden und die schon so sehr an den Klimaerwärmung gewöhnt haben, dass sie bei Temperaturen unter 20 Grad Celsius das große Zittern kriegen. Warmduscher eben.

Der Sandero ist da aus ganz anderem Holz geschnitzt, wie schon von außen die unlackierten Stoßfänger und Türgriffe demonstrieren. Beim Komfort und Ästhetik setzt er auf Minimalismus, noch mehr aber beim Preis: In der spartanisch ausgestatteten Basisversion Essentiel (hier gibt der Hersteller wirklich nur alles Wesentliche mit) kostet der Kompaktwagen aus Rumänien gerade einmal 6890 Euro – zu dem Preis gibt es beim Gebrauchtwagenhändler alternativ einen VW Golf mit zehn Jahren und 80.000 Kilometern Laufleistung auf dem Buckel. Dennoch ist der knapp vier Meter lange Viertürer aus dem Renault-Konzern keineswegs aus der Zeit gefallen. Gezogen wird er von einem 75 PS starken Vierzylinder, der die strenge Abgasnorm Euro 5 erfüllt und mit einem Normverbrauch von 5,8 Litern Super in die Effizienzklasse E fällt.

So fährt die Konkurrenz

Er verfügt serienmäßig über ein Antiblockiersystem und den Schleuderverhinderer ESP, vier Airbags und sogar eine Servolenkung. Die Motorhaube wird, wenn sie einmal geöffnet werden muss, von einem Gasdruckdämpfer in die Höhe gehoben: Bei der wesentlich teureren A-Klasse von Mercedes holt man sich da schmutzige Finger, weil für die Aufgabe dort noch wie zu Großvaters Zeiten eine Eisenstange aufgestellt und eingerastet werden will.

Der Sandero ist auch sonst ein vollwertiges Auto. Er bietet fünf erwachsenen Menschen ausreichend Platz; die Rücksitzbank lässt sich in mehreren Schritten zusammenfalten, bis ein Laderaum mit einem Fassungsvermögen von 1200 Litern zur Verfügung steht. Zugegeben: Das kunststoffbezogene Lenkrad klebt an warmen Tagen etwas an den Händen. Und die Türverkleidungen und das Armaturenbrett geben sich gar nicht erst die Mühe, die Anwesenheit von Lederhäuten vorzutäuschen. Aber dafür sitzt es sich auf dem Fahrersitz ganz kommod. Und wer den Sandero nicht zu Beschleunigungsrennen nutzt, wird auch mit den Fahrwerten ganz zufrieden sein: In etwa 15 Sekunden ist Tempo 100 erreicht und über die Autobahn kann man mit bis zu 160 Sachen den übrigen Verkehrsteilnehmern Paroli bieten. Lange Federwege sorgen obendrein dafür, dass man das zunehmend marode deutsche Straßennetz nicht allzu heftig im Rückgrat spürt. So genannte Premiumprodukte anderer Marken, die leider immer öfter mit einer sportlichen Fahrwerksabstimmung zu glänzen versuchen, gehen da wesentlich rücksichtsloser mit ihren Passagieren um.

Ich bin wahrlich kein automobiler Kostverächter. Aber der Sandero versteht es sehr gut, das Grundbedürfnis nach einem zügigen Transport von A nach B zu befriedigen. Mit einer Garantie auch auf das Basismodell von immerhin drei Jahren beruhigt Dacia all die Zweifler, die meinen, ein Auto zu dem Preis könne nicht zuverlässig sein. Dass von den 127.080 Exemplaren des Dacia Sandero, die seit der Modelleinführung 2008 in Deutschland zugelassen wurden, immer noch ein sehr hoher Prozentsatz auf unseren Straßen unterwegs ist, belegt, dass die Mobilitätsgarantie kein leeres Versprechen ist.

Billigmarke ist längst eine feste Größe

Preiswert und robust, zuverlässig und praxisgerecht – diese Grundwerte kommen auch in Deutschland immer besser an: Für 2014 wird mit einem Verkauf von rund 50.000 Fahrzeugen gerechnet. Es sei dahingestellt, ob der Erfolg von Dacia an der schleichenden Enteignung des Mittelstands durch immer höhere Steuerlasten und sinkende Sparzinsen liegt oder dem wachsenden Einfluss der Neosozialisten, die mit scheinökologischen Argumenten auf eine Nivellierung der privaten Fuhrpark dringen – Trabbi und Wartburg hätten im Osten der Republik bis schließlich bis zum Zusammenbruch (des Staates wie der Autos) ja schließlich auch ihren Zweck erfüllt.

Wie auch immer: Die Strategie von Renault, mit der rumänischen Tochtermarke und Low-Budget-Strategie die automobilen Grundbedürfnisse einer wachsende Zahl von Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ost- und Südeuropa, in Afrika, Lateinamerika und Asien zu bedienen, ist voll aufgegangen. In den zurückliegenden zehn Jahren hat Dacia weltweit mehr als sechs Millionen Autos verkauft – Kleinwagen wie den Sandero, Kombis wie den Logan MCV, Vans wie Dokker und Lodgy oder Geländewagen wie den Duster. Letzterer ist derzeit sogar das bestverkaufte Modell der gesamten Renault-Gruppe.

Die beliebtesten Autos der Deutschen
Volkswagen Up Quelle: dpa
Opel Corsa Quelle: GM Company
VW Golf Quelle: dpa
VW Passat Quelle: dpa
VW Tiguan Quelle: dapd
BMW 5er Quelle: dpa/dpaweb
Porsche Panamera Quelle: REUTERS

In Deutschland ist die Billigmarke längst eine feste Größe auf dem Pkw-Markt – neun Jahren seit dem offiziellen Start 2005. Einige Dutzend Exemplare vom Typ Logan mit Stufenheck hatten mutige Renault-Händler 2004 zunächst auf eigene Rechnung und ohne den offiziellen Segen der Konzernzentrale importiert: Der damalige Renault-Chef Louis Schweitzer war der Meinung, für derart primitive (und zunächst auch wenig ansehnliche) Autos geben es in Westeuropa keine Käufer, schon gar nicht in Deutschland.

So kann man sich täuschen. Seit Juni 2005 und Juni 2014 hat Dacia allein in Deutschland knapp 350.000 Autos verkauft und damit einen Marktanteil von immerhin 1,5 Prozent erobert. 2009, im Jahr der Abwrackprämie, kam man mit einem Absatz von rund 80.000 Autos vorübergehend sogar auf einen Marktanteil von zwei Prozent. Kein wunder, dass inzwischen auch andere Autohersteller in das Segment drängen. Opel wird im kommenden Jahr seine Interpretation des Billigautos präsentieren – dem Vernehmen nach eine „entfeinerte“ Version des aktuellen Kleinwagen Corsa. Auch Volkswagen arbeitet an einem Billigauto, das zu einem Preis von etwa 7000 Euro die Mobilitätsbedürfnisse in den Wachstumsmärkten bedienen soll. Ein Verkauf in Deutschland ist nicht vorgesehen. Na ja, warten wir erst einmal ab, wie das Fahrzeug wird – und ob der Preis gehalten werden kann.

Louis Schweitzer hatte für den ersten Dacia noch einen Preis von 5000 Euro angepeilt – im Laufe der Entwicklung wurde daraus ein Einstandspreis von 7200 Euro. Eine Produktion in Rumänien, in einer alten Fabrik von Dacia, die Verwendung längst abgeschriebener Fertigungstechnik sowie altgedienter Renault-Motoren und –Plattformen hatten den niedrigen Preis möglich gemacht. Zudem wurden dem Vertrieb die Fesseln angelegt: Die Händlermarge wurde auf fünf Prozent pro Fahrzeug festgelegt. Zumindest dabei ist es bis heute geblieben: Schnäppchenjäger beißen bei Dacia-Händlern auf Granit.

So sieht das 7000-Euro-Auto aus
Wuchtiger Kühlergrill: Damit liegt der Dacia Sandero schon mal im Trend. So wollen das Autokäufer heute haben. Quelle: Sebastian Schaal
Die günstigste Version (Essentiel) kostet ab 6.990 Euro. Mit Top-Motorisierung und dem besten Ausstattungspaket (Stepway Prestige) kann man aber auch 13.790 Euro ausgeben. Unser Testwagen (Lauréate) kostet 11.890 Euro. Quelle: Sebastian Schaal
Der Dacia Sandero basiert auf dem Renault Clio, außerhalb Europas wird das Modell auch als Renault Sandero angeboten. Quelle: Sebastian Schaal
Die wichtigsten Ausstattungsmerkmale sind serienmäßig: Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP) mit Antischlupfregelung (ASR), Front- und Seitenairbags für Fahrer und Beifahrer, Isofix-Kindersitzbefestigungen. Im NACP-Crashtest machte der Wagen allerdings keine so gute Figur: Nur drei von fünf Sternen. Quelle: Sebastian Schaal
Viel Plastik, wirkt aber nicht billig. Das Cockpit macht einen aufgeräumten Eindruck. Quelle: Sebastian Schaal
Die Höchstgeschwindigkeit des 90-PS-Turbodiesels liegt bei 173 km/h. Er "beschleunigt" von 0 auf 100 in 11,1 Sekunden. Quelle: Sebastian Schaal
Die Motoren stammen von Renault. Der kleinste hat 1,2 Liter Hubraum und 75 PS. Darüber hinaus kommen der Top-Benziner TCe 90 sowie das überarbeitete Dieselaggregat dCi 90 (hier im Bild) zum Einsatz. Außerdem gibt es noch ein 1,2-Liter-Aggregat mit bivalenten Flüssiggas-Triebwerk. Quelle: Sebastian Schaal

Dafür wurde die Fertigung im rumänischen Pitesti in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt modernisiert, weitere Werke unter anderem in Marokko, Kolumbien und in Russland hochgezogen. Vor allem aber wuchs die Angebotspalette auf sieben Modelle – und hielten modernes Design und moderne Technik Einzug. So gibt es jenen Sandero in der zweiten Generation auch mit einem nochmals sparsameren Dreizylinder-Motor, auch mit Klimaanlage, Einparkhilfe und elektrischen Fensterhebern, mit Navigationssystem und Tempomat, Chromzierleisten und sogar Lederpolstern zu ordern. Das freut die Warmduscher unter den Autofahrern, noch mehr aber den Hersteller: Die aufpreispflichtigen Extras treiben nämlich den Verkaufspreis und steigern so den Gewinn. Der Überschuss von 729 Millionen Euro, den der Renault-Konzern im ersten Halbjahr 2014 erwirtschaftete, ist zu einem nicht geringen Teil Dacia zu verdanken. So kommt es, dass Dacia-Fahrzeuge in Basisausstattung hierzulande inzwischen Exoten sind. Bestseller in der Sandero-Baureihe ist nicht der Essentiel, sondern der Stepway in Offroad-Optik und Prestige-Ausstattung. Basispreis: 11.990 Euro. So viel Auto braucht eigentlich kein Mensch. Aber weniger will offenbar auch keiner haben.

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