Roland-Berger-Partner Berret hält die Auto-Chefs ebenfalls nicht für gierig, sondern für vorausschauend. Der stagnierende europäische Markt ist nur eine Baustelle von vielen.
Zum einen haben die Hersteller enorme Zusatzbelastungen, damit die Antriebe und Autos die CO2-Vorgaben der EU erreichen. Zum anderen haben alle Hersteller ihre Produktpalette stark erweitert. Das treibt die Komplexitätskosten nach oben. Wer jetzt nicht antizyklisch denkt und spart, riskiert künftig zu hohe Kosten. Doch die vielleicht größte Gefahr ist die große Abhängigkeit vom chinesischen Markt. "Die Hersteller dürfen sich aber nicht darauf verlassen, dass der chinesische Markt weiterhin so stark wachsen wird", mahnt Berret.





Da stellt sich die Frage: Wo sollten sie stattdessen investieren? Außer Nordamerika gibt es keinen Weltmarkt, der ähnlich hohe Wachstumsraten wie China verspricht. Die Hoffnungen auf Brasilien, Indien und Russland haben sich nicht erfüllt. Die Sparsamkeit der Konzerne spiegelt die nackte Angst.
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Daher trimmen sich die Konzerne nun auf Produktivität. CAM-Leiter Bratzel schwört die Hersteller auf Komplexitätsreduktion ein. Man habe Modelle und Ausstattungsvarianten im Überfluss. "Sind drei verschiedene Infotainment-Systeme, fünf Getriebevarianten und zehn verschiedene Zierleisten wirklich kundenrelevant?", fragt er sich. Baureihen würden jahrelang weitergeschleppt, "obwohl sie kaum Käufer finden." Eine Folge: Die Hersteller werden in Zukunft konsequenter ausmisten - oder sich von vornherein beschränken müssen.
Zu wenig Kommunikation
Über zuviel Ähnliches und – noch schlimmer – zuviel vom Gleichen ärgert sich Roland-Berger-Partner Berret. In der Entwicklung würde zu oft doppelt gearbeitet. Die Autokonzerne vergeben Projekte an mehrere Zulieferer, aber nur einer kommt zum Zug. "Das mag aus Sicht der Hersteller wettbewerbspolitisch interessant sein, für die Autoindustrie ist es in der Summe allerdings nicht sinnvoll", moniert Berret.
Riskante Sparmanöver der Edelmarken
Daimler sparte sich die Entwicklung eines eigenen kleinen Nutzfahrzeugs und verkauft stattdessen den leicht modifizierten Renault Kangoo als Mercedes Citan. Bei Qualität und Sicherheit kein Mercedes-Niveau, urteilt „Auto Motor und Sport“.
BMW will aus Kostengründen gleiche Teile in möglichst vielen Modellen verwenden. Die Mini-Modelle und die Fahrzeuge der 1er-Reihe erhalten eine einheitliche Fahrzeugplattform. Die Folge: Beim 1er wird der traditionelle BMW-Heckantrieb dem Frontantrieb geopfert.
Der Kleinwagen Skoda Fabia hat fast die gleiche Technik wie der Audi A1, weil der VW-Konzern mit technischer Gleichschaltung die Herstellungskosten drückt. Der Audi ist wesentlich teurer, aber nur bei Design und Oberflächenmaterial besser, warnen Experten.
Sparen ließe sich, wenn sich Hersteller und Zulieferer schneller über Nachfrageschwankungen informierten oder Prozesse am Computer simulierten anstatt echte Prototypen zu bauen. Mit noch mehr gleichen Bauteilen für noch mehr verschiedene Fahrzeuge und konzernübergreifenden Kooperationen bei Themen wie autonomes Fahren könne man Synergieeffekte in Millionenhöhe heben, so der Berater. Viele der Maßnahmen werden allerdings erst in einigen Jahren ihre Wirkung zeigen.
Womit die Zulieferer zu kämpfen haben
Immer mehr Innovationen müssen von den Zulieferern selbst kommen. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben steigen dadurch stark an. Die Zulieferer müssen stärker in Vorleistung gehen und tragen damit ein höheres unternehmerisches Risiko.
Die Autokonzerne bauen immer mehr Werke in Asien oder Mexiko. Damit steigt der Druck auf die Zulieferer, ebenfalls in neue Standorte zu investieren.
Global agierende Autokonzerne schreiben ihre Aufträge immer öfter für die weltweite Produktion aus. Viele mittelständische Zulieferer können weder die geforderten Stückzahlen herstellen noch den Konzernen einfach ins Ausland nachfolgen.
Autokonzerne wie PSA und GM bilden immer öfter Einkaufsgemeinschaften, gleichzeitig steigt die Zahl von Modulbaukästen für die identische Teile in sehr hoher Stückzahl benötigt werden. Beides führt dazu, dass der Preisdruck steigt. Die Zahl der Zulieferer, die das leisten kann, sinkt.
Zulieferer trifft es zuerst
Doch es muss sofort etwas geschehen. Die Hersteller versuchen - wie schon bei vergangenen Sparrunden - als erste und schnellste Maßnahme ihre Kosten im Einkauf zu reduzieren. Die Lieferanten müssen sich in den kommenden Monaten auf noch härtere Verhandlungen einstellen. Dabei ist deren Lage schon jetzt angespannt.
Autoexperte Guido Hauptmann von Goetzpartners in München kennt die Folgen. "Es wird schnell eskaliert, wenn Probleme mit der Qualität auftreten." Das Beratungshaus befragte kürzlich mehr als 100 Manager aus der Zuliefererbranche zu ihren Erfahrungen mit den Autokonzernen. Mit bitteren Ergebnissen: Nur eine Minderheit bemühe sich um ein konstruktives Miteinander. Die Masse der Zulieferer beklagt, dass die Hersteller ihre Erfahrungen nicht zu schätzen wüssten. So bleiben gute Ideen ungenutzt.
"Die Hersteller müssen den Lieferanten besser zuhören und ihr Wissen stärker in die Produktentwicklung einbinden", sagt CAM-Leiter Bratzel an. "Da liegen noch enorme Potenziale brach." Daher warnt er bei den neuen Sparrunden auch vor der "Rasenmäher-Methode". Es dürfe nicht darum gehen, "noch ein Prozent mehr Rabatt herauszuholen". Vielmehr gehe es jetzt darum, endlich langfristig zu denken. Bleibt abzuwarten, ob die Industrie ihn erhört.