Start-up Recogni Dafür springen Continental und Bosch über ihren Schatten

Recogni hat es sich zum Ziel gesetzt, ein von Grund auf neuartiges bildverarbeitendes AI-System zu entwickeln. Das System liefert durch neuartiges Edge-Processing eine beispiellose Inferenzleistung, durch die Fahrzeuge weiter

Das amerikanisch-deutsche Start-up Recogni entwickelt Technologie, die Autos das autonome Fahren ermöglichen soll. Nun steigen Bosch und Continental dort gemeinsam ein – eine Branchenpremiere.

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Das amerikanisch-deutsche Start-up Recogni mit Sitz in San Jose und München hat ein Modul aus Sensoren, Kameras und einem speziell entwickelten Prozessor entwickelt, das besonders leistungsfähig und stromsparend ist. Es ist auf das schnelle und effektive Erkennen der Umgebung getrimmt und soll so autonomes Fahren bis zur höchsten Stufe – dem sogenannten Level 5, wo niemand mehr eingreifen muss – ermöglichen. Nachdem im Mai 2019 bei einer 25-Millionen-Dollar-Runde unter anderem Toyota und BMW eingestiegen waren, hat sich Recogni jetzt weitere 48,9 Millionen Dollar gesichert. Federführend dabei ist das Silicon Valley Wagniskapitalunternehmen WRVI Capital. Die eigentliche Sensation aber ist, dass unter den Geldgebern auch Bosch und Continental sind. Genauer gesagt, ihre Wagniskapitalarme. Es ist das erste Mal, dass Bosch und Continental gemeinsam in ein Jungunternehmen investieren. Sehr ungewöhnlich, denn beide Unternehmen machen sich harten Wettbewerb, gönnen sich normalerweise gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot.

Dass sie jetzt trotzdem gemeinsame Sache machen, beweist, was für ein Druck auf Deutschlands Autobranche lastet. Diese steht vor einer Software-Revolution, die maßgeblich durch amerikanische Technologieunternehmen wie Alphabets Waymo, Intels Mobileye, Nvidia und Tesla vorangetrieben wird. Auch der chinesische Internet-Konzern Baidu mischt dort kräftig mit.

Die Seiteneinsteiger aus der Halbleiter- und Internetbranche bieten schlüsselfertige Lösungen für automatisiertes und autonomes Fahren. Selbst Tesla will seine Selbstfahrtechnologie lizenzieren. Bequem zwar, aber Autohersteller wie Volkswagen, BMW oder Daimler sind damit bei der künftig wichtigsten Technologie auf Partner angewiesen. Was nicht nur ihre Freiheit einengt, sondern auch hohe Lizenzzahlungen mit sich bringt. Obwohl das Umstellen von Verbrennern auf elektrische Motoren Milliarden Euro an Investitionen verschlingt, reift in der deutschen Autobranche die Erkenntnis, dass man dem amerikanischen Vormarsch etwas eigenes entgegensetzen muss, um nicht völlig abhängig zu werden. Und dabei auch die eigene Herangehensweise verändern muss. „Bei Bosch findet ein umfassender Kulturwandel statt“, hat Forrester Analyst Pascal Matzke beobachtet.

Alle Autohersteller und Zulieferer bauen deshalb ihre Softwaresparten aus – am ehrgeizigsten Volkswagen. Angeblich soll der Wolfsburger Konzern an einem eigenen Fahrcomputer-Prozessor fürs Auto der Zukunft arbeiten, der Mitte des Jahrzehnts eingesetzt werden könnte, wenn alles klappt. Tatsächlich entwickeln immer mehr Unternehmen jenseits der Chipbranche eigene Prozessoren, Google etwa oder Amazon und Tesla. Möglich machen das Auftragsfertiger wie Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC).

Recogni, so das Kalkül seiner Investoren, könnte für eine Plattform aus der traditionellen Autobranche das Modul liefern, das hochauflösende Bilder sowie die Daten von Radarsensoren in Echtzeit verarbeitet. Lidar – das mittels Laser Geschwindigkeit und Abstand misst – soll dabei nicht nötig sein. Hinter ihrem Produkt stehen Silicon-Valley-Veteranen aus der Telekommunikations- und Halbleiterbranche sowie ein deutscher Experte für maschinelles Lernen. Ihr Modul schafft nach eigenen Angaben 1000 Billionen Rechenoperationen in der Sekunde (Fachbegriff 1000 TOPS) und benötigt dafür nur acht Watt. „Wir stellen damit alles in den Schatten, was es derzeit auf den Markt gibt“, behauptet Mitgründer Ashwini Choudhary. Das klappt durch Aufteilen der Arbeit. Das Spezialmodul von Recogni kümmert sich um die besonders rechenintensive Analyse der Umgebungsinformationen und leitet sie dann bereits aufbereitet an den Computer, der das Auto steuert, weiter.

Im Recogni Aufsichtsrat sitzt seit November 2019 der deutsche Autoexperte Peter Mertens, ehemaliger Technikchef von Volvo und Audi. „Recogni behebt die Engpässe, die autonomes Fahren derzeit hat“, meint er.

„Für Continental ist die Technologie für das autonome Fahren ein Kernelement zukünftiger Fahrzeugsysteme“, sagt Rouven Spinner, Wagniskapital-Partner bei Continental. „Wir investieren in innovative Start-ups, die die Richtung eines aufstrebenden Marktes mitgestalten können“, erklärt Luis Llovera, Geschäftsführer von Robert Bosch Venture Capital.

Noch muss Recogni beweisen, dass es seine Vorschusslorbeeren verdient. Bislang konnte es die Leistungsfähigkeit seines Moduls nur am Computer simulieren. In den nächsten Monaten soll der Prozessor nun beim Auftragsfertiger TSMC produziert werden.

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Die Erwartungen sind schon mal hoch: „Wir sind davon überzeugt, dass Recogni das Potential hat, zu einem Marktführer in seinem Segment zu werden“, jubelt Sriram Viswanathan, Gründungspartner von WRVI Capital. Oder aber vorher von einem der Großen aus der Autobranche übernommen wird.

Mehr zum Thema: VW und Co. versuchen hektisch, eigene Betriebssysteme zu entwickeln. Denn die Silicon-Valley-Giganten sind schon deutlich weiter.

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